Interview Große Liebe oder fahrbarer Untersatz
Warum kaufen Menschen welches Auto und was sagt das über sie aus? Der Bochumer Psychologe Rüdiger Hossiep kann zu diesem Thema Bände erzählen.
Dr. Hossiep, auf den Gedanken, dass sich ausgerechnet Psychologen mit Autos beschäftigen, kommt man nicht gleich. Was haben Sie also eigentlich mit Autos zu tun?
„Gefühl ist alles“, sagte schon Goethe. Und er hat recht, ganz besonders, was Autos betrifft. Der Autokauf ergibt an sich ja kaum Sinn: Die Anschaffung eines Neuwagens ist extrem teuer, der Wertverlust enorm. Wenn ein Mittelklassewagen mit Extras 70.000 Euro gekostet hat, verliert er im Monat von Anfang an um die 1.000 Euro an Wert, so dass er nach vier oder fünf Jahren nur noch ein Drittel wert ist. Trotzdem kaufen die Leute neue Autos.
Das daraus resultierende Unbehagen, die kognitive Dissonanz, überlisten sie dann, indem sie Argumente finden, warum es gut war, dieses und kein anderes Auto zu kaufen. Da heißt es dann zum Beispiel „Ich kann in keinem anderen Auto sitzen“. Die Autowerbung zielt im Übrigen auch hauptsächlich darauf, Nachkaufentscheidungskonflikte zu minimieren: Ich sehe den Werbespot für mein Auto und fühle mich in meiner Kaufentscheidung bestätigt.
Was treibt denn die Leute zum Kauf eines bestimmten Autos?
Das Auto ist sozusagen ein Raum zum Mitnehmen, quasi das gepanzerte Selbst. Die Hauptrolle beim Kauf spielt das Image. Technisch sind sich die heutigen Autos sowieso alle ähnlich. Aber ich verkaufe mich mit dem Auto, das ich fahre, und selbst wenn ich mit meinem Auto keine Aussage treffen will, treffe ich eine. Eben dass mir das Auto nichts bedeutet.
Es gibt Personalchefs, die begleiten Bewerber nach dem Gespräch zum Parkplatz, nur um einen Blick auf das Auto zu werfen.
In bestimmten Berufen kann man es sich auch einfach nicht leisten, kein teures Auto zu fahren. Man muss mit dem Auto Erfolg suggerieren. Es gibt Personalchefs, die begleiten Bewerber nach dem Gespräch zum Parkplatz, nur um einen Blick auf das Auto zu werfen, in dem die Aspiranten gekommen sind. Ich erwerbe mit dem Auto, das ich fahre, ein bestimmtes Image.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel geben?
Sehr viele erfolgreiche junge Frauen fahren beispielsweise den neuen Mini. Objektiv vermessen ein unattraktives Auto: Es ist relativ teuer, nicht besonders gut verarbeitet, hat eine schlechte Raumökonomie, verursacht hohe Werkstattkosten, weil es in die BMW-Werkstatt muss. Aber es ist smart.
Unsere Befragung hat gezeigt, dass die Fahrerinnen und Fahrer des neuen Mini von sich selbst sagen, sie hätten überhaupt keine Ahnung von Autos. An den Original-Mini hätten sie sich daher nicht herangetraut, weil der ohne Autoschrauberkenntnisse nicht lief, jetzt trauen sie sich. Wobei das Image des neuen Mini erstaunlicherweise immer noch davon profitiert, dass der Original-Mini in den 1960er-Jahren eine Sensation fertiggebracht hat: Er gewann dreimal die Rallye Monte Carlo und ließ damit die etablierten Wettbewerbsfahrzeuge Ferrari und Porsche alt aussehen. Der Sieg eines Underdogs gegen das Establishment.
Es gibt auch Werbung für ein Auto speziell für Leute, die ein Anti-Statussymbol wollen.
Ein ähnliches Beispiel ist übrigens der Fiat Cinquecento: Mit dem Vorbild, dem Fiat 500, hat er technisch überhaupt nichts mehr zu tun. Er ist qualitativ eher minderwertig und wird nicht in Italien, sondern in Polen gebaut. Aber er ist niedlich und retro, daher wird er als eine Art Selbstergänzung gekauft. Der Fiat Panda zum Beispiel kann alles besser, aber keiner weiß, wie er aussieht, daher hat er auch keinen so großen Erfolg.
Oder nehmen Sie BMW: Die Autos sind eng, unpraktisch und teuer – aber sie strahlen „Freude am Fahren“ aus. Und BMW ist die erfolgreichste Premiumautomarke weltweit. Es gibt übrigens auch Werbung für ein Auto speziell für Leute, die ein Anti-Statussymbol wollen: Dacia.
Wenn man aber der Werbung und dem Image nicht auf den Leim gehen will, welches Auto fährt man dann? Was wäre vernünftig?
Seit Ende der 1980er-Jahre hat praktisch keine nutzerrelevante technische Weiterentwicklung im Automobilbereich mehr stattgefunden. Wenn man vergleicht, sieht man, dass damals die Instrumente klarer ablesbar waren, die Haltbarkeit war auch besser. Ende der 1990er-Jahre verschwand aus den Lastenheften die sogenannte Durabilität, und zwar weil Leasingmodelle aufkamen. Das Konzept der geplanten Obsoleszenz wurde eingeführt: Konsumgüter sind darauf auslegt, nach bestimmter Zeit kaputt zu gehen, damit sie wieder neu gekauft werden müssen.
Wenn sie vernünftig und umweltfreundlich fahren wollen, fahren sie einen 15 bis 20 Jahre alten Benziner, bis er auseinanderfällt.
Wenn sie vernünftig und umweltfreundlich fahren wollen, fahren sie einen 15 bis 20 Jahre alten Benziner, bis er auseinanderfällt. Die Reparaturen daran werden nur einen Bruchteil der Kosten für ein modernes Fahrzeug betragen. Und so erhalten Sie die Arbeitsplätze in den kleinen Handwerksbetrieben.
Das leuchtet mir aber nicht ein – warum ist ein altes Auto besonders umweltfreundlich?
Weil 70 Prozent der Umweltbelastung bei der Herstellung und Entsorgung des Autos anfallen, nicht im Betrieb. Das gilt übrigens auch und besonders für Elektrofahrzeuge. Da sind es sogar deutlich höhere Zahlen, weil die Batterietechnik hohe Umweltbelastungen mit sich bringt. Die ganze Umweltdebatte wird neben der Kappe geführt, weil die Leute schlicht nicht informiert sind.
Wenn man sich den Kraftstoffverbrauch anschaut, müsste man eigentlich auch den Öffentlichen Personennahverkehr abschaffen. Gut sieben Liter Sprit pro 100 Kilometer und Person stehen da etwa fünf Litern beim Autofahren gegenüber. Zudem ist der Kraftstoffverbrauch bei aktuellen Fahrzeugen laut Katalog zwar geringer, aber die Schadstoffe sind häufig deutlich aggressiver – das gilt für Diesel wie auch Benziner.
Sie sind ja in Sachen Autoliebe inzwischen ein viel gefragter Spezialist – dabei beschäftigen Sie sich hauptsächlich mit ganz anderen Dingen. Wie kam das Thema Auto zu Ihnen?
Das ist in der Tat für uns nur eine Nebenbeschäftigung; hauptsächlich entwickeln wir Instrumente für die angewandte Personalpsychologie. Eine frühere Diplomandin suchte dann mal ein Thema zur Marktforschung und untersuchte, wie die Persönlichkeitsstruktur mit der Autowahl zusammenhängt. Da kamen ganz überraschende Ergebnisse heraus, zum Beispiel eine auffällige Ähnlichkeit zwischen den Fahrerinnen von Mazda und Porsche Boxster. Bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass das interessanterweise nicht auf alle Mazda-Fahrerinnen zutraf, sondern auf die des Mazda MX5, dem Sportflitzer der Marke.
Dann habe ich mal in der FAZ das „Werkstattgespräch“ gelesen, in dem sich der Redakteur beschwerte, dass sein Saab seit zwei Wochen in der Werkstatt stünde, und ankündigte, sich stattdessen einen Audi A6 zu kaufen. In der folgenden Woche hatten sich die Leserzuschriften gehäuft, die den Saab glühend verteidigten. Da habe ich mich gefragt: Wie kann man das untersuchen – die Liebe der Leute zu ihrem Auto?
Wir haben die Daten des Kfz-Bestands vom Kraftfahrzeugbundesamt in Beziehung gesetzt zu den Beiträgen der Mitglieder des Forums Motortalk, wo millionenfach gepostet wird. Die genaue Methode ist natürlich Betriebsgeheimnis, aber das funktioniert so gut, dass sich inzwischen die Autowelt an unseren Ergebnissen orientiert.
Wir veröffentlichen seitdem jedes Jahr den sogenannten Involvement-Index – einfacher ausgedrückt: das Ranking der Automarken, die von ihren Besitzern am meisten geliebt werden. Das sagt sehr viel aus über den Markenwert und erlaubt auch Prognosen über dessen Entwicklung.