Geschichtswissenschaft Wie ein afrikanisches Königreich im späten Mittelalter Europa entdeckt
Europa, fern und sonderbar: Gesandte aus Afrika bereisten im Mittelalter europäische Höfe, um exotisch-religiöse Objekte zu sammeln. Ein Buch räumt auf mit dem Bild des geschichtslosen Afrika.
Lange nahm man an, dass afrikanische Königreiche wie Äthiopien erst im Zeitalter europäischer Entdeckungsfahrten in Kontakt zum christlichen Europa traten. Ein neues Buch von Prof. Dr. Verena Krebs, Historikerin und Mediävistin an der RUB, zeichnet ein anderes Bild: Eine Vielzahl königlich-äthiopischer Gesandtschaften bereiste im 15. und frühen 16. Jahrhundert verschiedenste kirchliche und fürstliche europäische Höfe, von Venedig und Valencia bis Konstanz am Bodensee. Die afrikanischen Gesandten hatten den Auftrag, exotisch-religiöse Objekte für den ebenfalls christlichen äthiopischen König zu akquirieren – aus dem fernen, fremden Europa.
Wo keine Quellen, da auch keine Geschichte
Noch immer gilt das vormoderne Afrika in der populären Wahrnehmung als der geschichtslose Kontinent. In Geschichtsbüchern taucht es, wenn überhaupt, erst dann auf, wenn es von Europäern entdeckt und bereist wird — seine Geschichte wird häufig auf Versklavung und Kolonialisierung reduziert. Diese Fehlannahme hat ihre Wurzeln in den Anfängen der Afrikaforschung: Europäische Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sprachen den vorwiegend mündlich geprägten Kulturen des Kontinents ab, Schriftquellen zu ihrer Historie zu besitzen. Und wo keine Quellen, da auch keine Geschichte, so das verfrühte Urteil.
Exotischer Souvenirladen
Mit ihrem Buch „Medieval Ethiopian Kingship, Craft, and Diplomacy with Latin Europe“ deckt die Mediävistin Verena Krebs die Schwächen dieses geschichtlichen Mythos auf. Aufbauend auf neuen Strömungen in der Mediävistik und Afrikanistik stellt sie bisher geltende Grundüberzeugungen auf den Kopf: Ihre Untersuchung der diplomatischen Beziehungen des christlichen Königreichs Äthiopien im 15. und 16. Jahrhundert zeichnet das Bild eines selbstbewusst agierenden afrikanischen Großreichs, das den europäischen Mächten seiner Zeit nicht als Bittsteller entgegentritt, sondern als selbstbestimmter, gleichwertiger Partner. Ihre Quellen bekunden, dass die lokalen europäischen Herrscherhäuser reihenweise um die Gunst des erträumten christlichen Wunderreichs am Horn von Afrika buhlten, wenn äthiopische Pilger und Gesandte im Auftrag ihres Königs vom Bodensee bis zur spanischen Atlantikküste zogen. Für Verena Krebs eine klare Verkehrung angenommener Machtstrukturen: „Eine Dynastie afrikanisch-christlicher Könige behandelt hier Europa im späten Mittelalter als eine Art exotischen Souvenirladen. Für sie scheint es darum zu gehen, möglichst viele religiöse Kostbarkeiten aus dem fernen, fremden Europa zu besorgen, welche später lokal als Zeichen des globalen christlichen Herrschaftsanspruchs der äthiopischen Könige genutzt werden.“