Universitätsarchiv Wenn der Blick zurück auch nach vorn gerichtet ist
Katrin Klimetzek löst Jörg Lorenz ab. Gemeinsam blicken die beiden auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Universitätsarchivs.
Nach über 26 Jahren als Leiter des Universitätsarchivs der RUB ist Jörg Lorenz zum 30. April 2021 in den Ruhestand gegangen. Seine Nachfolgerin kennt er bereits seit 15 Jahren. 2006 schnupperte Katrin Klimetzek erstmals Archivluft. Nun tritt sie ein großes Erbe an, denn ohne Jörg Lorenz würde es an der RUB kein Uniarchiv geben. Andererseits drängen sich für die Zukunft neue Themen auf, die Katrin Klimetzek angehen wird, darunter die Digitalisierung der Verwaltung. Wir sprachen mit beiden, dabei heißt es ausnahmsweise „Gentlemen first!“
Herr Lorenz, wie sah das Archiv aus, als Sie 1995 an die RUB gekommen sind?
Jörg Lorenz: Nun, ich habe schon vor meiner Einstellung, schon vor dem Vorstellungsgespräch versucht, mich ein wenig zu informieren, um gewappnet zu sein. Im UV-Gebäude habe ich auch gleich einen Wegweiser „Universitätsarchiv“ gefunden, stand dann dort aber vor verschlossener Tür, einen Hinweis auf Öffnungszeiten gab es nicht. Damals gab es auch keine Info-Theke und Informationen im Internet erst recht nicht.
Am Tag meiner Einstellung wurde ich zwar genau in diesen Raum geführt, aber faktisch gab es ein regelrechtes „Archiv“ gar nicht. Es schien sich hier um nicht mehr als einen Ort für die Unterbringung der Altregistratur der Verwaltung zu handeln. Prof. Weber, der Rektoratsbeauftragte für das Universitätsarchiv, erzählte mir später, dass er, als er mit der Erstellung der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Ruhr-Universität beauftragt war, feststellen musste: „Wir haben ja gar kein Archiv“, weshalb er dann die Initiative ergriff, die Stelle eines Universitätsarchivars überhaupt erst einzurichten.
Damit waren allerdings nur ganze elf Quadratmeter Magazin geschaffen, was schon sehr bald nicht mehr ausreichte.
Jörg Lorenz
Was war die größte Baustelle?
Jörg Lorenz: Ich nehme „Baustelle“ mal wörtlich: Neben dem erwähnten Raum gab es einen weiteren in den Tiefen von GA, auf der Ebene 05, sowie – hier hatte die Verwaltung im Vorfeld durchaus etwas unternommen und zwischen zwei Hörsaaleingängen im HZO eine Mauer mit Tür ziehen lassen. Damit waren allerdings nur ganze elf Quadratmeter Magazin geschaffen, was schon sehr bald nicht mehr ausreichte. Mein Arbeitsplatz befand sich in einem Großraumbüro der UB, mit Stellwänden von den Kollegen abgetrennt. Alles also ein wenig improvisiert, und stellen Sie sich die Wege vor … Das änderte sich, als das Archiv zu Anfang der 2000er Jahre in der UB richtige Büroräume und fünf Magazinräume beziehen konnte – übrigens die früheren Seminarräume der Ostasienwissenschaften.
Ansonsten: Sie müssen sich klarmachen, dass in einem Archiv sehr viele und unterschiedliche Aufgaben anfallen, und ein OPA (= One Person Archive), was ich anfangs ja war, muss alles leisten: Einwerbung und Übernahme von Archivgut (das heißt auch: die Karre über den Campus schieben), Verzeichnen, einer konservatorischen Behandlung unterziehen, Benutzer beraten, Akten vorlegen, Anfragen beantworten, Öffentlichkeitsarbeit betreiben … Da war es schon ein kleiner Segen, dass bald, 1998, eine Wissenschaftliche Hilfskraft beschäftigt werden konnte.
Ein großes Manko in unserer Überlieferungsbildung ist die Tatsache, dass wir von sehr vielen Fakultäten noch nicht ein einziges Blatt übernehmen konnten.
Jörg Lorenz
Welche Lücken existieren noch heute?
Jörg Lorenz: Ein großes Manko in unserer Überlieferungsbildung ist die Tatsache, dass wir von sehr vielen Fakultäten noch nicht ein einziges Blatt übernehmen konnten. Dabei gilt zum Beispiel auch für die Dekanate die gesetzliche Pflicht, abgeschlossene Akten dem zuständigen Archiv zur Übernahme anzubieten.
Vielfach herrscht hier sicherlich Unkenntnis, ich denke aber auch Desinteresse, vielleicht auch die Scheu, dass eine Abgabe möglicherweise mit Arbeit verbunden ist. Das ist alles sehr bedauerlich. Gleichzeitig habe ich nämlich oft erlebt, dass forschenden Archivbenutzern genau diese Akten fehlten. Außer Schulterzucken konnte ich nur raten, es bei den Fakultäten selbst zu versuchen. Ob die Bemühungen von Erfolg gekrönt waren, weiß ich nicht, ich habe da schon etwas meine Zweifel.
Was ich übergeben habe, ist, denke ich, ein funktionierendes Archiv, aber auch eine Menge Arbeit.
Jörg Lorenz
Und welche Art Archiv können Sie Katrin Klimetzek übergeben?
Jörg Lorenz Es ist eine Menge Aufbauarbeit geleistet worden, woran Frau Klimetzek im Übrigen auch mitgewirkt hat, aber ein Archiv wird ja eigentlich nie mit seiner Aufbauarbeit fertig. Übernahmen, ob es nun die analogen oder die digitalen sind, wird, muss es in Zukunft weiterhin geben. Und die müssen für die Benutzung erschlossen werden.
Unser Archiv ist ein Archiv, in und mit dem Forschungsarbeit betrieben werden kann, trotz der Lücken. Ich würde sogar sagen: Das ist der Hauptzweck unserer Arbeit, alles andere, die Übernahmen, die Verzeichnung und so weiter ist die Vorbereitung hierfür. Und es gibt sehr bedeutende, und auch nachgefragte Bestände: Da ist die umfangreiche Überlieferung der akademischen Selbstverwaltung mit den zentralen Gremien, bei uns sind die Unterlagen des früheren Bauamts zur Planung und Errichtung der Uni hinterlegt, vor wenigen Jahren haben wir die größten Teile des Nachlasses Prof. Hans Mommsens übernehmen können. Und da ist eine immense Fotosammlung.
Alles in allem: Was ich übergeben habe, ist, denke ich, ein funktionierendes Archiv, aber auch eine Menge Arbeit.
Alle archivischen Abläufe, die hier bei uns anfallen, waren mir bereits spätestens in meiner Zeit als Wissenschaftliche Hilfskraft vertraut.
Katrin Klimetzek
Frau Klimetzek, hätten Sie sich vor 15 Jahren vorstellen können, einmal dieses Archiv zu leiten?
Katrin Klimetzek: Wenn man einen Studentenjob beginnt, geht man, glaube ich, nie davon aus, dass er einen für so lange Zeit begleiten wird. Andererseits bewirbt man sich natürlich schon auf eine Stelle, die einen interessiert, und da ich hier an der RUB Geschichte studiert habe, war das Berufsbild des Archivars ein Bereich, in dem ich mir meine berufliche Zukunft vorstellen konnte.
Ich blieb dann als studentische und später auch als Wissenschaftliche Hilfskraft im Uniarchiv, habe aber auch neben dem Studium die Arbeit im Landesarchiv und diversen anderen Archiven sowohl als Nutzer als auch als Mitarbeiter vertiefen können. 2015 wurde eine weitere Stelle im Universitätsarchiv eingerichtet, auf die ich mich bewarb. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der Wunsch, einmal das Archiv zu leiten, natürlich da.
Wie gestaltete sich der Übergang von Jörg Lorenz?
Katrin Klimetzek: Herr Lorenz hat bereits früh Einblicke in alle Tätigkeitsfelder des Archivars vermittelt. Alle archivischen Abläufe, die hier bei uns anfallen, waren mir bereits spätestens in meiner Zeit als Wissenschaftliche Hilfskraft vertraut. Er hat von Beginn an ein Archiv geführt, in dem alle Mitarbeiter als Team zusammengearbeitet haben, und es lag ihm immer viel daran, möglichst viel Wissen über die Tätigkeiten an die hier arbeitenden Studierenden weiterzugeben, eine Arbeitsweise, die ich kennen und schätzen gelernt habe und auch gerne so weiterführen möchte.
Seit 2015 lernte ich dann auch noch mehr über die Verwaltungsaufgaben des Archivs und übernahm seine Vertretung. In den letzten Wochen ging es mir noch einmal besonders darum, das Wissen, das er über 26 Jahre über die Universität, ihre Entstehungsgeschichte, Menschen, Besonderheiten und so weiter gesammelt hatte, zu sichern. Es waren sehr intensive Wochen mit vielen Informationen, viel tippen und vielen neuen Dateien mit dem herrlichen Titel aide-mémoire, den kleinen und großen Gedächtnisstützen.
Mit dem Umzug haben wir uns erhofft, mehr in den tagesaktuellen Informationsfluss der Verwaltung mit eingebunden zu werden.
Katrin Klimetzek
Gleichzeitig zog das Archiv auch organisatorisch um und Sie gehören jetzt zum Dezernat Hochschulkommunikation. Wie wurden Sie und Ihr Team dort aufgenommen?
Katrin Klimetzek: Das Archiv war bisher organisatorisch keinem Dezernat zugeordnet. Mit dem Umzug haben wir uns erhofft, mehr in den tagesaktuellen Informationsfluss der Verwaltung mit eingebunden zu werden. Bisher geht dieser Plan gut auf. Wir fühlen uns gut aufgenommen und es ist schön, nun auch Teil eines größeren Teams zu sein, in dem es Ansprechpartner für verschiedene Themen gibt und nette Arbeitskollegen. Wir als Archiv haben jetzt auch die Möglichkeit, mehr ins Bewusstsein der Mitarbeiter der RUB zu rücken und freuen uns auf die Zusammenarbeit.
Welches sind Ihre kurzfristigen Ziele?
Katrin Klimetzek: Die meisten Aufgaben in einem Archiv sind langfristige Projekte und Arbeiten. Es ist viel Erschließungsarbeit zu leisten, und letztendlich dient diese immer dem Zweck, die Bestände für die Forschung bereit stellen zu können. Nichtsdestotrotz haben wir mehrere große Projekte und Änderungen, die anstehen. Einige davon werden eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
Unter anderem wollen wir Fakultäten, Einrichtungen und Verwaltungsstellen beraten und unterstützen und zeigen, in welcher Weise wir unsere Hilfe anbieten können, um die Geschichte der Universität zu sichern, Archivgut sicher unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Schutzfristen zu bewahren, zu verzeichnen und zu konservieren. Leider mussten wir, wie Jörg Lorenz schon gesagt hat, in der Vergangenheit oft feststellen, dass Unterlagen schon vernichtet oder noch nicht an uns abgegeben wurden. Wir möchten den abgebenden Stellen die Scheu nehmen, sich an uns zu wenden und zeigen, dass wir beratend und unterstützend für alle Fragen zur Verfügung stehen.
So können wir unseren Teil zur Bewahrung der Geschichte der RUB beitragen.
Katrin Klimetzek
Und wie soll das Uniarchiv in zehn Jahren aussehen?
Katrin Klimetzek: Weitere große Veränderungen werden besonders im Bereich der Digitalisierung liegen. Wir werden neue Archivprogramme einführen, welche uns bei der Übernahme elektronischer Daten unterstützen sollen und besonders auch die Verzeichnung und Durchsuchbarkeit der bisherigen Bestände erleichtern werden.
Zusätzlich hoffe ich darauf, dass wir in zehn Jahren neue Räumlichkeiten hier auf dem Campus bezogen haben werden, da es ganz natürlich ist, dass ein Archiv mit der Zeit weiterwächst. Es ist ein Irrglaube, dass Digitalisierung bedeutet, künftig Platz einzusparen.
So können wir – von der Übernahme, über die Verzeichnung bis hin zur Nutzbarmachung – unseren Teil zur Bewahrung der Geschichte der RUB beitragen und weiterhin allen Interessierten ein Archiv bieten, das zur Forschung und Veröffentlichung offensteht.