Synodaler Weg der katholischen Kirche Reformen und der Wunsch, wieder Vertrauen einzuwerben
Matthias Sellmann erklärt die Ergebnisse der Vollversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt und was sie seiner Meinung nach für die Zukunft der Kirche bedeuten.
Als Mitglied der Synodalversammlung und Mitarbeiter im „Forum I Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ nahm Prof. Dr. Matthias Sellmann, Inhaber des Lehrstuhls für Pastoraltheologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB), an der dritten Vollversammlung des Synodalen Wegs vom 3. bis 5. Februar 2022 in Frankfurt teil.
Herr Prof. Sellmann, was ist das Reformprojekt Synodaler Weg?
Die katholische Kirche ist schon seit 2010 darüber informiert, dass in ihren Reihen zu wenig Schutz gegen sexuelle Gewalt und andere Formen von Missbrauch besteht und hat auch darauf reagiert. Aber die Mannheim-Heidelberg-Gießen (MHG)-Studie von 2018 hat aus externer Sicht noch mal klarer benannt, an welchen systemischen Stellen der Kirchenorganisation die Anfälligkeit für derartige Übergriffe liegt. Der Synodale Weg ist das Bearbeitungsinstrument, mit dem man genau diese systemischen Ursachen des Missbrauchs innerhalb der eigenen Strukturen bekämpft. Er ist also der Versuch, innerhalb der katholischen Kirche auf ein höheres Level von Transparenz, Kontrolle, aber auch von Freiheit, Selbstbestimmung und Kreativität zu kommen, insgesamt zu weniger Diskriminierung – und so wieder die Sicherheit der Schutzbefohlenen zu garantieren, aber auch wieder Vertrauen einzuwerben.
Da geht es für mich aber nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch um Klugheit.
Welche Stellen der Kirchenorganisation müssten verändert werden?
Die Studie identifiziert vier Bereiche: Der erste ist die generelle Neuordnung der Machtverteilung zwischen Klerikern und Laien, der Zweite die rechtliche Stellung der Frau in der Kirche, hier besonders die Zugänglichkeit aller Ämter und Positionen für Frauen. Wir haben in den obersten Entscheidungsbereichen der Bischöfe und Pfarrer ja eine rein männliche Besetzung. Da geht es für mich aber nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch um Klugheit. Es ist führungstheoretisch einfach unklug, wenn ausschließlich Männer oder ausschließlich Frauen etwas entscheiden. Weil dann wesentliche Dinge nicht in die Entscheidung mit einfließen.
Der dritte Bereich ist die Sexualmoral und Sexualethik der katholischen Kirche. Wie kann die Kirche die positiven Energien, die Sexualität freisetzen kann, besser und passender berücksichtigen? Zuletzt fordert die Studie eine Überprüfung der priesterlichen Existenzform.
So könnte jeder Priester selbst wählen, wie er leben möchte.
Könnte Letzteres die Abschaffung des Zölibats bedeuten?
Diskutiert wird in der Tat die Abschaffung des Pflichtzölibats. So könnte jeder Priester selbst wählen, wie er leben möchte. Nicht der Zölibat als Ganzes steht zur Debatte, und das aus gutem Grund. Ich bin selbst verheiratet, und meine Frau und ich haben sehr profitiert von den Erfahrungen derer, die freiwillig im Zölibat leben. Diese haben oft eine ganz andere Sicht auf das Ganze: auf das Leben, die Familie, auf Sexualität, aber auch auf die Instrumentalisierung anderer Menschen im Rahmen eigener Strategien – was sehr schnell passieren kann.
Es gibt ja jetzt schon Ordensleute, die den Zölibat freiwillig gewählt haben. So gesehen finde ich den Zölibat sehr wertvoll. Es wäre klug und wichtig, dass es ihn weiterhin gibt. Ich finde es aber sehr viel überzeugender, wenn sich derjenige oder diejenige selbst dafür oder dagegen entscheiden könnte. Hierüber wird die Synodalversammlung im kommenden Herbst entscheiden.
Auf welche Weise soll der Synodale Weg die Missstände in der katholischen Kirche beheben?
Der Synodale Weg ist einem parlamentarischen Prozess nachempfunden; er arbeitet mit Geschäftsordnungen, Mandatierungen, Foren, Anträgen, Beschlussempfehlungen und quotierten Mehrheiten. Die Beschlüsse sollen dann in den einzelnen Diözesen umgesetzt werden.
Synodaler Weg mit RUB-Beteiligung
Was haben die Synodalen in Frankfurt beschlossen?
Wir haben verbindlich entschieden, die Gläubigen an der Wahl ihres Bischofes zu beteiligen. Bisher war dieser Prozess ausschließlich dem Domkapitel vorbehalten. Das geschah in Gremien und Versammlungen, über die Stillschweigen zu bewahren war. Da kommen jetzt Laien hinzu. Die anderen, eher internen Beschlüsse betrafen Dinge, die als Grundlage für weitere Beschlüsse wichtig waren. All das geschah mit erstaunlich großen Mehrheiten.
Wie geht es nach der Synode weiter?
Wir haben insgesamt fünf Synodalversammlungen geplant. Spannend wird es im Herbst 2022 bei der Vierten Versammlung. Da werden sehr viele konkrete Beschlüsse in zweiter, also verbindlicher Lesung verhandelt – und hoffentlich mit den nötigen Mehrheiten verabschiedet.
Die Kunst des Synodalen Wegs ist es, eine neue Architektur der politischen Bearbeitung des kirchlichen Föderalismus hinzubekommen.
Was genau bedeutet „verbindlich“?
Jeder einzelne Bischof fährt hinterher in sein Bistum zurück und setzt dort die gefassten Beschlüsse um. Wir haben jedoch kein System in der katholischen Kirche, das die Bischöfe zu irgendetwas zwingen könnte. Das kann tatsächlich nur der Papst. Deswegen kommt es jetzt darauf an, dass sich der einzelne Bischof selbst verpflichtet fühlt und diese Dinge dann auch in seiner Diözese umsetzt.
Politisch gesehen ist die katholische Kirche föderal aufgestellt, so ähnlich wie die Bundesländer in Deutschland, nur dass die Bundesländer einen Bundesrat haben. Den hat die Kirche nicht. Sie hat am Ende nur die 27 Bistümer, in denen etwas passieren kann.
Die Kunst des Synodalen Wegs ist also eigentlich, eine neue Architektur der politischen Bearbeitung dieses kirchlichen Föderalismus hinzubekommen – ohne dass man ein Rechtsbuch hätte, mit dem man einzelne Bischöfe zu irgendetwas verpflichten könnte. An diesem Prozess sind auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Praktizierende aus der Politik und den Rechtswissenschaften beteiligt.
Und was passiert, wenn ein Bischof die Beschlüsse nicht umsetzt?
Zurzeit gibt es eine sehr starke öffentliche und politische Beobachtung der Bischöfe. Wenn etwa eine leistungsfähigere Finanzkontrolle der Bischöfe beschlossen worden ist und ein Bischof diese in seinem Bistum nicht durchführt, dann hoffen wir, dass sich vor Ort eine starke Öffentlichkeit bildet, die ihm das nicht durchgehen lässt. Aber juristisch verpflichtbar ist er nicht.
Es wird eine Art Rechenschaftsbericht der einzelnen Diözesen geben.
In welchem Zeitraum sollen die Beschlüsse der Frankfurter Synode realisiert werden?
Es sind Zeitangaben in den Beschlüssen drin. Diese sind aber sehr unterschiedlich, da manche Dinge erst noch über Rom laufen müssen. Da ist es schwierig, Zeitangaben hinzuschreiben, weil man einen Partner hat, den man nicht zur Schnelligkeit zwingen kann.
Wir lernen aber aus den Weltklimakonferenzen, die hohe Ähnlichkeit in der Grundsituation mit unserem Synodalen Weg haben, dass man mit den Beschlüssen auch einen Monitoring-Prozess vereinbaren muss. Es wird also eine Art Rechenschaftsbericht der einzelnen Diözesen geben. So wird die Verbindlichkeit dadurch unterstützt, dass die deutsche Öffentlichkeit regelmäßig darüber Auskunft erhält, wie weit die einzelnen Bistümer die Beschlüsse verwirklicht haben.
Was würde denn passieren, wenn der Papst einen Beschluss ablehnt?
Ich bin Mitglied des Forums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ und einer der Autoren verschiedener Texte des Synodalen Wegs. In ihnen haben wir meistens die Strategie verfolgt, innerhalb des geltenden Kirchenrechtes zu bleiben, dieses aber proaktiv zu interpretieren. Das bedeutet, dass ein Bischof für die meisten vorgeschlagenen Dinge Rom gar nicht braucht.
Es gibt aber natürlich Themen wie den Zugang der Frau zum Priesteramt oder die Verbesserung von bestimmten Formulierungen im Weltkatechismus: zum Beispiel die über Homosexualität oder andere sexuelle Orientierungen. Dafür braucht man den römischen Partner.
Wenn die entsprechende Zustimmung nicht kommt, dann erwarte ich eine weitere Implosion der katholischen Kirche in Deutschland. Es wird keine Revolution geben, dafür ist die Energie wohl schon gar nicht mehr da.
Viele würden sich in ihrem Urteil bestätigt sehen, die Kirche sei einfach nicht in der Lage, reale Lebensverhältnisse kreativ abzubilden. Speziell Frauen und Menschen mit anderer sexueller Orientierung würden sagen, dass sie diskriminiert werden und sich das nicht länger gefallen lassen.
Natürlich muss jetzt der Staat die oberste Autorität der Aufklärung sein.
Wie bewerten Sie die Rückmeldungen, die momentan aus Rom kommen?
Da bin ich sicher kein neutraler Gesprächspartner, aber ich bewerte sie vorsichtig als positiv. Reformen könnten in die Richtung laufen, dass der Vatikan in der weltweiten Kirche je nach Region verschiedene Lösungen erlauben könnte.
Meine Hoffnung ist, dass der Papst sagen könnte: Wir bleiben eine Kirche und in demselben Zielfokus, aber die pastorale Verantwortung vor Ort kann sehr verschieden sein. Dann müssten die Bischöfe je nach Ort auch verschiedene Rechte und andere Handlungsspielräume bekommen. So wäre es denkbar, den Pflichtzölibat für Priester in Westeuropa aufzuheben, während es gleichzeitig in anderen Ländern gar nicht das Begehren dafür gibt.
Wie gut funktioniert heute die Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und der staatlichen Exekutive bezüglich der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen?
Natürlich muss jetzt der Staat die oberste Autorität der Aufklärung sein. Diese Einsicht wird auch von der Kirche geteilt, sodass man inzwischen gut kooperiert, etwa Akteneinsicht gewährt und die Staatsanwaltschaften informiert.
Je mehr man aufarbeitet, desto stärker merkt man aber, dass sexuelle Gewalt auch ein großes gesellschaftliches Problem ist: in Familien, in Sportvereinen, im Umgang mit Behinderten. Da stehen uns noch riesige Aufklärungs-Verstörungen bevor.
Die Kirche hat Teil an einem gesamtgesellschaftlichen Komplex, der weit darüber hinaus streut. Natürlich haben wir uns als Kirche diesbezüglich und in besonderer Weise um die internen Probleme zu kümmern. Aber meiner Meinung nach deutet alles darauf hin, dass es gesamtgesellschaftlich ein ungelöstes grassierendes Problem mit männlicher Sexualität gibt, das wir uns als Ganzes genauer ansehen müssen. Zumeist sind es ja Männer, die solche Taten begehen.
Wir haben in Deutschland jetzt die riesige Chance zusammenzubleiben.
Passiert auch auf der Ebene des Arbeitsrechtes etwas? Momentan darf die katholische Kirche Angestellte ja aufgrund ihrer sexuellen Orientierung entlassen.
In Frankfurt gab es eine große Mehrheit dafür, diese Grundordnung komplett zu ändern. Das wird mit den staatlichen Stellen zusammen gemacht, die jüngsten Äußerungen von elf Generalvikaren und einigen Bischöfen zeigen deutlich, dass es hier schnell zu einer Änderung kommen wird. Unser Bischof im Bistum Essen, Franz-Josef Overbeck, geht hier und auch in anderen Reformfragen übrigens entschlossen voran.
Denken Sie, dass die Umsetzung der Beschlüsse in Zukunft ausreichen wird, um wiederholten sexuellen Missbrauch zu verhindern?
Ja, das glaube ich definitiv. Man merkt es jetzt schon am Inhalt der eingereichten Texte. Sie führen exakt darauf hin, diese Dinge zu verändern. Zudem sind im Synodalen Weg so kluge und eingearbeitete Leute dabei – ich bin sicher, dass sie die zentralen Stellen gesehen haben, an denen man jetzt etwas ändern muss.
Es wird aber vor allem darauf ankommen, was wir in der nächsten Synode beschließen werden. Der Synodale Weg hat seine Daseinsberechtigung ausschließlich darin, die Wahrscheinlichkeit sexueller Gewalt zu senken. Ich bin überzeugt, dass sich sexueller Missbrauch mit der Umsetzung der Dinge, die wir nach und nach beschließen, auch wirklich verhindern lässt.
Dann war die Synode in Frankfurt aus ihrer Sicht also erfolgreich?
Ja. Alle eingereichten Texte sind beschlossen worden, und das auch noch mit erstaunlich großen Mehrheiten. Natürlich gibt es Mitglieder der Synode, denen die Beschlüsse zu radikal sind und andere, für die sie nicht weit genug reichen. Beiden Gruppen rechne ich es hoch an, dass sie trotzdem zugestimmt haben.
So bewegen wir uns vielleicht für die einen zu schnell und die anderen zu langsam, aber wir bewegen uns. Das ist in anderen Ländern teilweise ganz anders. Wir haben in Deutschland jetzt die riesige Chance zusammenzubleiben. Wir gehen den Weg langsam, aber gemeinsam. Die deutsche Kirche zeigt sich handlungs- und reformfähig.
Ohne Kirche wird die Rede von Gott nicht komplett stumm, aber doch erheblich leiser.
Werden die erzielten Beschlüsse ausreichen, um das Vertrauen in die katholische Kirche wiederherzustellen?
Tatsächlich hoffe ich das. Es wäre eine echte Großzügigkeit der Bürgerinnen und Bürger, der Kirche noch mal eine Chance zu geben. Das Gefühl, radikal enttäuscht worden zu sein, ist sehr berechtigt.
Um ein Beispiel zu nennen, möchte ich an dieser Stelle etwas wiederholen, was jemand sehr prominent in der Synodenaula gesagt hat: Die Kirche hat 30 bis 40 Jahre lang den Menschen ein schlechtes Gewissen im Schlafzimmer gemacht. Jetzt zeigt sich im Extremfall, dass derselbe Pfarrer, der das in der Predigt und im Beichtstuhl getan hat, sich selbst nicht daran hielt und sogar sexuelle Verbrechen beging. Das ist zu Recht ein Skandal und empörend.
Deshalb ist für die Kirche jetzt die Stunde der Bescheidenheit. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, und dann muss man hoffen, dass es noch den einen oder die andere gibt, die der Kirche noch eine Chance geben. Denn Kirche hat etwas zu sagen, was sonst niemand sagt. Ohne Kirche wird die Rede von Gott nicht komplett stumm, aber doch erheblich leiser. Deshalb hoffe ich, dass die Menschen anerkennen, dass die Kirche sich bewegt, und ihr wieder vertrauen können.