Psychologie Den Feierabend zurückerobern
Feierabend. Rechner aus. Aber der Kopf rattert weiter. Wenn dann noch das Diensthandy verführerisch aufleuchtet, ist man schnell wieder bei der Arbeit. Wie man dieser Spirale entkommt, erforscht Marcel Kern.
„Meine Forschung ist eigentlich entstanden, weil ich selbst betroffen war“, erzählt Marcel Kern, Professor für Arbeit und Gesundheit an der RUB. „Ich konnte abends oft nicht abschalten und hab mich gefragt: Warum kann ich nicht loslassen?“ Dass die Gedanken auch nach Feierabend um die Arbeit kreisen, hält viele vom Einschlafen ab. Marcel Kern geht diesem Phänomen in seiner Forschung nach. Er erhebt, wie sich digitale Technologien und mobile Arbeit auf das Wohlbefinden auswirken und entwickelt Strategien, die Menschen helfen, den Stress durch die Arbeit zu reduzieren. Dabei kooperiert er seit Längerem intensiv mit Prof. Dr. Sandra Ohly von der Universität Kassel.
„Es gibt viel Forschung dazu, dass die Nutzung digitaler Technologien erschöpft“, sagt Marcel Kern. Oft wird angenommen, dass Menschen aufgrund der digitalen Erreichbarkeit nicht von der Arbeit abschalten können. Aber liegt das wirklich an den digitalen Medien per se? Das wollten Marcel Kern, Clara Heißler und Sandra Ohly herausfinden. An fünf aufeinanderfolgenden Tagen ließen sie Beschäftigte aus unterschiedlichen Wirtschaftsunternehmen dreimal täglich einen Fragebogen ausfüllen. Wie viele Stunden wurde das Handy für die Arbeit genutzt? Gab es bei Feierabend noch viele unerledigte Aufgaben? Wie gut konnte abends abgeschaltet werden? 340 Personen beantworteten diese und viele weitere Fragen.
Digitale Technik allein stresst nicht
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten ein Diensthandy und ein privates Handy haben. „So konnten wir die Effekte leichter trennen“, erklärt Kern. „Eigentlich sollte ein separates Diensthandy es sogar leichter machen, von der Arbeit abzuschalten – aber es gelang vielen trotzdem nicht.“ Der Stress entstand aber nicht durch die reine Nutzung der digitalen Technik, sondern nur dann, wenn ein Berg an unerledigten Aufgaben wartete, der eine Nutzung der Technik erforderte. Um sinnvolle Gegenmaßnahmen empfehlen zu können, ist es für die Forschenden wichtig zu unterscheiden, ob Menschen nicht abschalten können, weil sie das Handy nutzen, oder ob sie zum Handy greifen, weil sie nicht abschalten können. Letzteres scheint der Fall zu sein.
„Nach Feierabend sollte das Diensthandy ausgeschaltet werden oder man sollte Push-Nachrichten auf ein Minimum reduzieren“, rät Marcel Kern. Es sei normal, dass man manchmal Gedanken an die Arbeit mit in den Feierabend nehme. „Oft bleiben diese Gedanken unter der Oberfläche – bis das Handy aufleuchtet und einen daran erinnert“, sagt er. Dann ist der Griff zum Smartphone schnell getan, und schon ist der Kopf wieder bei der Arbeit.
Vier Tipps für entspannteres Arbeiten und leichteres Abschalten
Der Bochumer Psychologe sucht nach Wegen, wie man Menschen davon abhalten kann, sich selbst durch zu viel Arbeit zu schaden. „Gesetzgeberisch ist kaum etwas zu machen“, weiß er. „Es gibt keine globale Regelung, die für alle Arbeitgeber funktioniert.“ Er gibt ein Beispiel: „Volkswagen hat abends seine Mailserver abgeschaltet. Das führte dazu, dass die Leute E-Mails in ihrem Postausgang aufbewahrten oder sogar über ihre privaten Accounts verschickten.“
Nicht alle wollen Berufliches und Privates trennen
Bedenken muss man, dass die Nutzung von Technologien am Abend auch gewinnbringend sein kann. So ist es für manche Personen leichter, erst die Kinder ins Bett zu bringen und dann in Ruhe noch etwas für die Arbeit zu erledigen. „Manche Menschen möchten auch, dass Beruf und Privatleben verschmelzen“, berichtet Marcel Kern. In Deutschland trifft das allerdings nur auf ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und -nehmer zumindest teilweise zu. Zwei Drittel wünschen sich eine klare Trennung von Beruf und Privatleben. In der Praxis gelingt diese Trennung aber nur bei einem Drittel. Der Rest muss auch außerhalb der Dienstzeiten für den Arbeitgeber erreichbar sein – oder empfindet das zumindest so.
Wie Marcel Kern in weiteren Befragungen herausfand, kommt das Gefühl, erreichbar sein zu müssen, in der Regel durch das Verhalten der Führungskräfte zustande. Die Mitarbeitenden orientieren sich an dem, was die Führungskräfte tun. Und wenn diese spät abends noch Mails verschicken, erzeugt das im restlichen Team den Eindruck, ebenfalls erreichbar sein zu müssen. In einer Studie – erneut in Kooperation mit dem Kasseler Team von Sandra Ohly – untersuchte Marcel Kern, wie man gegensteuern kann.
Mehr Zufriedenheit nach Führungskräfte-Schulung
23 Führungskräfte eines Wirtschaftsunternehmens nahmen an einem Training teil. In diesem sensibilisierten die Forschenden sie dafür, wie das eigene Verhalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beeinflussen kann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfahlen beispielsweise, feste Vereinbarungen zur Erreichbarkeit mit dem Team zu treffen. Oder auch zu erklären, warum eine Führungskraft spät abends noch E-Mails versendet – zum Beispiel weil es so für sie leichter mit den Pflichten in der Kinderbetreuung zu vereinbaren ist.
Den Führungskräften war gar nicht bewusst gewesen, wie sich ihr Verhalten ausgewirkt hatte.
Marcel Kern
Vor dem Training und ungefähr sechs Wochen danach befragten die Forschenden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Führungskräfte: Wann glaubten sie, für ihr Unternehmen erreichbar sein zu müssen? Konnten sie abends abschalten? Wie gestresst waren sie von der Arbeit? „Die Ergebnisse waren eindeutig“, resümiert Marcel Kern. „Einige Zeit nach der Intervention fühlten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich besser. Die Führungskräfte waren davon überrascht. Ihnen war gar nicht bewusst gewesen, wie sich ihr Verhalten ausgewirkt hatte.“
Informationsflut im Mailpostfach
Kleine Veränderungen können also einen großen Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit haben. Neben Vereinbarungen zur Erreichbarkeit kann Marcel Kern weitere Stellschrauben nennen: „Viele Menschen empfinden einen E-Mail-Overload, und das Gefühl der Informationsüberflutung beeinflusst ihr Wohlbefinden“, weiß er. Auch zu diesem Thema hat er zusammen mit Sandra Ohly geforscht.
Es gab zwar bereits Studien zum E-Mail-Overload; aber diese hatten alle Arten von E-Mails in einen Topf geworfen. Ohly und Kern unterschieden hingegen zwischen E-Mails mit direkten Aufgabenbezügen – „Bitte die Präsentation bis kommende Woche fertigstellen“ – und kommunikativen E-Mails, in denen beispielsweise ein neuer Prozess erklärt wird. „Kommunikative E-Mails sind oft die typischen Cc-E-Mails“, sagt Kern. Und genau diese erzeugen das Gefühl der Informationsüberflutung.
Menschen können schlecht mit Unterbrechungen umgehen.
Marcel Kern
Als Gegenmaßnahme empfiehlt er: „Es ist sinnvoll, im Team zu verabreden, wer welche Informationen bekommen soll. Manche Mitarbeiter setzen die Führungskraft immer in Cc, weil sie denken, das tun zu müssen, um ihre Arbeit sichtbar zu machen. Hier kann eine Absprache helfen.“ Eine andere Lösung könne sein, E-Mails zu bündeln. Eine Infomail pro Woche oder pro Monat mit gesammelten Informationen könne besser verdaut werden. Hinzu kommt: „Menschen können schlecht mit Unterbrechungen umgehen“, so Marcel Kern. „Das Ping einer E-Mail reicht schon aus, um uns aus dem rauszureißen, was wir tun; wir sind halt neugierig.“
Weniger Push, mehr Entspannung
Die Ergebnisse seiner Studien hat er mittlerweile auch in sein eigenes Verhalten einfließen lassen – und merkt positive Effekte. „Ich habe Push-Nachrichten weitestgehend ausgeschaltet“, verrät er. „Manchmal dauert es 24 Stunden, bis ich auf eine WhatsApp-Nachricht reagiere.“ Anfangs habe das sein Umfeld irritiert. Mittlerweile hätten sich alle daran gewöhnt. Das Ergebnis: „Ich kann inzwischen auf jeden Fall besser abschalten.“