Medizin Wie man Studierende mit Onlinelehre wirklich erreicht
Der Körper reagiert anders auf Online- als auf Präsenzlehre. Bochumer Forschende zeigen, wie digitale Formate gestrickt sein müssen, um mit Präsenzformaten mithalten zu können.
Auch wenn die Noten von Studierenden durch Onlinelehre nicht schlechter geworden sind als mit Präsenzlehre, berichten viele von einem nicht ausreichenden Lernprozess. Bochumer Forschende aus der Medizinischen Fakultät haben 2022 nachgewiesen, dass der Körper auf Onlinelehre tatsächlich anders reagiert als auf Präsenzformate, nämlich mit einem verminderten physiologischen Erregungszustand. In einer aktuellen Studie zeigt das Team um Morris Gellisch und Prof. Dr. Beate Brand-Saberi, dass der physiologische Erregungszustand während der Lehre beeinflusst werden kann, indem das Format interaktiv gestaltet wird. Die Forschenden der Arbeitsgruppe Anatomie und Molekulare Embryologie berichten über die Ergebnisse zusammen mit dem Team der Arbeitsgruppe Kognitionspsychologie in der Zeitschrift „Annals of Anatomy“ vom 26. Januar 2023.
„Diese Ergebnisse sind aus unserer Sicht sowohl für die Evaluation bisheriger digitaler Lehrkonzepte also auch für die Entwicklung künftiger Formate relevant“, sagt Morris Gellisch. „Da digitale Lernanwendungen immer mehr in den Fokus rücken, sollten die Lernumgebungen bedarfsorientiert und effektiv gestaltet sein.“
Physiologische Parameter und Fragebogen zum Lernerleben
In der Vorgängerstudie hatte das Bochumer Team mit Hormonanalysen und Untersuchungen der Aktivierung des autonomen Nervensystems belegt, dass der physiologische Erregungszustand von Studierenden bei einem digital abgehaltenen Anatomie-Kurs stark vermindert ist. Für die aktuelle Studie entwickelten die Forschenden drei verschiedene Darbietungsformen des Kurses: klassischen Präsenzunterricht, passive Onlinelehre und interaktive Onlinelehre. Insgesamt nahmen 104 Studierende an der Studie teil. Während des Kurses maßen die Forschenden die Herzratenvariabilität der Studierenden als Indikator für die Aktivierung des autonomen Nervensystems sowie die Konzentration bestimmter Enzyme und Hormone im Speichel. Außerdem befragten sie die Teilnehmenden nach dem Kurs zu ihrem Lernerleben.
„Die Ergebnisse zeigen, dass der physiologische Erregungszustand von Studierenden in digitalen Lernumgebungen beeinflussbar ist“, fasst Morris Gellisch zusammen. Im Vergleich zur passiven Onlinelehre wiesen die Studierenden bei der interaktiven Onlinelehre erhöhte Konzentrationen des Stresshormons Cortisol im Speichel auf – ein Zeichen für eine höhere physiologische Erregung. Außerdem zeigte sich bei der interaktiven Onlinelehre eine verminderte Herzratenvariabilität, was ein Zeichen dafür ist, dass der Sympathikus im autonomen Nervensystem aktiviert wird, und der Körper somit in einen Zustand höherer Leistungsbereitschaft gelangt. Messungen des Enzyms alpha-Amylase im Speichel bestätigten die Sympathikus-Aktivierung. Die Werte für die interaktive Onlinelehre waren vergleichbar mit denen für die Präsenzlehre.
Befragung zeigt deutliche Unterschiede zwischen Lernbedingungen
Im Fragebogen zum Lernerleben gaben die Studierenden nach dem Kurs mit signifikanter Mehrheit an, sich bei der interaktiven Onlinelehre – im Vergleich zur passiven Onlinelehre – stärker in das Kursgeschehen und die Lernmaterialien eingebunden sowie aufmerksamer gefühlt zu haben. Sie gaben allerdings auch an, mehr Angst verspürt zu haben, zum Beispiel davor, falsche Antworten zu geben. Diese Angst war stärker ausgeprägt in der Gruppe, die interaktiv online teilnahm, als in der Präsenzgruppe.