Die Hallersche Schaumkresse kann enorme Mengen giftiger Schwermetalle in ihren Blättern speichern. © Gemeinfrei

Biologie Schaumkresse als Schwermetall-Staubsauger

Pflanzen derselben Art weisen in ihrem natürlichen Lebensraum erstaunlich unterschiedliche Eigenschaften auf. Diese Entdeckung ist verheißungsvoll für die Forschung und die Entwicklung nachhaltiger Umwelttechnologien.

Die Hallersche Schaumkresse ist dafür bekannt, dass sie lebensfeindliche Schwermetall-verseuchte Böden besiedeln kann. Sie speichert außergewöhnlich hohe Konzentrationen bestimmter giftiger Schwermetalle in ihren Blättern, eine seltene Eigenschaft. Bochumer und Bayreuther Forscherinnen und Forscher haben nun rund 2.000 Exemplare dieser Art an 165 Standorten in Europa untersucht.

Dabei entdeckten sie eine überwältigende Vielfalt von Eigenschaften, welche die Pflanzen derselben Art im Laufe der Evolution entwickelt haben. Ihr Ergebnis trägt dazu bei, das enorme Potenzial von Pflanzen für Zukunftstechnologien zu erschließen, die in diesem Fall der Entgiftung von Böden dienen oder helfen, wirtschaftlich interessante Metalle aus dem Boden zu gewinnen.

Verblüffende Extreme biologischer Leistungen

„Die natürlichen Prozesse der Evolution haben insbesondere unter Pflanzen die verblüffendsten Extreme biologischer Leistungen und eine überwältigende biologische Vielfalt hervorgebracht“, sagt Prof. Dr. Ute Krämer vom Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie der Ruhr-Universität Bochum. „Sie sind jedoch bis heute nur ausschnitthaft beschrieben, und erklären können wir sie noch viel weniger.“

In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stephan Clemens aus Bayreuth haben die Bochumer Forscher jetzt eine Studie von beispiellosem Umfang an der Hallerschen Schaumkresse (Fachbezeichnung: Arabidopsis halleri (L.) O’Kane and Al-Shehbaz) durchgeführt. Im Mittelpunkt stand die gepaarte Analyse von Blatt- und Bodenproben zur Bestimmung der Konzentrationen einer Reihe von Schwermetall- und nicht-Schwermetallelementen für jedes einzelne von etwa 2.000 Individuen an 165 Standorten in Europa.

Der Evolution vor Ort auf die Finger schauen

So konnten die Forscher der Evolution wesentlich besser auf die Finger schauen als im Gewächshaus. Denn die Individuen mit den vorteilhaftesten Eigenschaften in ihrer lokalen Umwelt sind besser angepasst und haben mehr Nachkommen, und so breiten sich günstige Mutationen aus. Außerdem erlaubte ihre Strategie den Wissenschaftlern, die Zusammensetzung der Blätter direkt in Beziehung zu setzen zur Zusammensetzung des Bodens. Daraus konnten sie besser Rückschlüsse auf die Eigenschaften einzelner Pflanzenindividuen ziehen.

Forscher messen neue Rekordwerte

Die Zusammensetzung des Bodens schwankte zwischen den verschiedenen Standorten für die Schwermetalle Blei, Cadmium, Zink und Kupfer über fast fünf Größenordnungen. Daraus ergab sich eine enorme Bandbreite der Anpassung innerhalb der Pflanzenart. Die in den Blättern der Hallerschen Schaumkresse angereicherten maximalen Konzentrationen giftiger Schwermetalle erreichten Rekordwerte von bis zu 5,4 Prozent Zink und 0,3 Prozent Cadmium relativ zum Trockengewicht.

Mit Schwermetall gegen Blattfraß

„Einige Pflanzen waren in der Lage, aus lediglich Spuren im Boden die Schwermetalle Cadmium und Zink geradezu herauszusaugen“, beschreibt Ute Krämer und beantwortet auch die Frage, warum: „Hier handelt es sich um einen ungewöhnlichen Verteidigungsmechanismus gegen Feinde oder Konkurrenten, wobei es bislang vor allem experimentelle Nachweise für eine Wirkung gegen Blattfraß gibt.“

Zudem fanden die Wissenschaftler geografische Strukturen in den pflanzlichen Eigenschaften auf unterschiedlichen Größenskalen. Zum Beispiel konnten Pflanzen entlang der deutsch-tschechischen Grenze sehr viel besser Cadmium anreichern als Pflanzen in Norditalien. Und an einer Untergruppe von Standorten unterschieden sich Pflanzenindividuen an ein und demselben Standort besonders stark in ihrer Schwermetallanreicherung, ganz unabhängig von der Zusammensetzung des Bodens.

Die Forscher vermuten, dass es sich dabei um Ergebnisse von Evolution handelt, nämlich einer Vielzahl von Anpassungen der Pflanzen an standortabhängige ökologische Bedingungen.

Jetzt können genetische Studien folgen

Um zu belegen, dass die an natürlichen Standorten beobachteten Unterschiede in der Schwermetallanreicherung tatsächlich Ergebnis unterschiedlicher Eigenschaften einzelner Individuen der Art sind, bestätigten die Autoren exemplarisch ihre Resultate im Laborexperiment unter kontrollierten einheitlichen Bedingungen. „Alles in allem ergibt sich eine überraschende Individualität von Merkmalen in Pflanzen ein und derselben Art“, sagt Ute Krämer. „Nun sind genetische Studien möglich, um aufzudecken, wodurch diese Unterschiede bestimmt werden und wie sie in der Pflanze zustande kommen.“

Zukunftstechnologien auf Pflanzenbasis

Die Ergebnisse der Studie bedeuten einen weiteren Schritt hin zur Erschließung des enormen Potenzials, das in natürlicher Vielfalt verborgen liegt, für die Entwicklung nachhaltiger pflanzenbasierter Zukunftstechnologien. In diesem Fall ist zum Beispiel denkbar, Pflanzen einzusetzen, um wirtschaftlich interessante Metalle aus Böden anzureichern. Experten sprechen von Phytomining. Außerdem könnte man Pflanzen nutzen, um Schwermetall-verseuchte Böden zu reinigen, eine Technologie namens Phytoremediation.

Ursprünge besser verstehen

„Besonders bedeutend sind diese speziellen biologischen Phänomene aber für uns Menschen, um allgemeingültige Erkenntnisse über Evolutionsprozesse im Wechselspiel mit einer seit jeher höchst veränderlichen und oft lebensfeindlichen Umwelt zu gewinnen“, unterstreicht Ute Krämer. „Abgesehen von der äußerst wichtigen Befriedigung des menschlichen Erkenntnisbedürfnisses, unsere eigenen Ursprünge und die der uns umgebenden Natur besser zu verstehen, könnte das Überleben der Menschheit abhängen von einer erfolgreichen Entwicklung dieser allgemeinen Erkenntnisse in der nahen Zukunft.“

Förderung

Die Arbeiten wurden im Schwerpunktprogramm „Adaptomics“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, deren Koordinatorin Ute Krämer ist.

Originalveröffentlichung

Ricardo J. Stein, Stephan Höreth, J. Romário F. Melo, Lara Syllwasschy, Gwonjin Lee, Mário L. Garbin, Stephan Clemens Ute Krämer: Relationships between soil and leaf mineral composition are element-specific, environment-dependent and geographically structured in the emerging model Arabidopsis halleri, in: New Phytologist, 2016, DOI: 10.1111/nph.14219

Pressekontakt

Prof. Dr. Ute Krämer
Lehrstuhl Pflanzenphysiologie
Fakultät für Biologie und Biotechnologie
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 28004
E-Mail: ute.kraemer@rub.de

Unveröffentlicht

Von

Meike Drießen

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