Religionskonflikte Zwischen Verfassungstreue und Glaubensfreiheit
Um eine Grundsatzfrage moderner Gesellschaften zu klären, forscht der Bochumer Theologe Georg Essen ein Jahr lang am Wissenschaftskolleg in Berlin.
Wie machen Religionen so etwas? Auf diese schlicht formulierte, aber keinesfalls triviale Frage lässt sich das laufende Forschungsprojekt von Prof. Dr. Georg Essen zuspitzen. Seit Oktober 2017 verbringt er einen einjährigen Forschungsaufenthalt am Wissenschaftskolleg Berlin, gefördert von der Wissenschaftsstiftung Ernst Reuter.
Vom sogenannten Kruzifix-Beschluss über die Leitkulturdebatte bis zu religiös begründeter Gewalt: Als katholischer Theologe forscht Essen an einem Spannungsfeld: Die Rückkehr religiöser Akteure in den öffentlichen Raum stellt den Rechtsstaat vor Herausforderungen, die längst bewältigt schienen.
Hoch aktuelle Grundsatzfrage
Essen ist Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Sein Projekt ist hoch aktuell und berührt eine grundsätzliche Frage freiheitlich-demokratischer Staaten: Wie bewältigen Religionen den Spagat zwischen Verfassungstreue und Glaubensfreiheit? Die Frage stellt sich umso drängender, je mehr sich Religionskonflikte in modernen Gesellschaften verschärfen. Sie wird derzeit viel und kontrovers diskutiert.
Was der Wissenschaftler Essen als theologisches Thema angeht, hat letztlich auch eine fachübergreifende und gesellschaftliche Bedeutung und ist möglicherweise gar verfassungsrechtlich relevant. Schließlich nimmt die Zahl höchstrichterlicher Entscheidungen zur staatlichen Religionsneutralität zu – sei es am Bundesverfassungsgericht, am Europäischen Gerichtshof oder am Supreme Court in den USA.
Fallbeispiel Katholizismus
„Der Katholizismus dient in meinem Projekt als eine Fallstudie, um die religionsinterne Verarbeitung von säkularen Verfassungsprinzipien zu analysieren“, so Essen. Die römisch-katholische Kirche kennzeichne bis in die Gegenwart hinein eine widersprüchliche Gleichzeitigkeit von modernitätsaffinen über modernitätskritische bis zu antimodernen Glaubenshaltungen. Am Beispiel des Katholizismus lasse sich das hohe Maß an Doppel- oder Zweideutigkeit studieren, mit der sich Religionen auf der Basis ihrer Glaubensvorstellungen und Symbolsysteme in den Autonomiewelten moderner Rechtskulturen zu verorten suchen.