Philosophie Wie Menschen Vorurteile verdrängen
Auch Personen, die sich als liberal und weltoffen beschreiben, können einen unbewussten Rassismus in sich tragen.
Warum Menschen sich ihrer Vorurteile oft nicht bewusst sind, hat die Bochumer Philosophin Dr. Beate Krickel mithilfe der Psychoanalyse hinterfragt. Ihre Ausführungen zeigen, wie Vorurteile im Unbewussten landen. In der Fachzeitschrift „Philosophical Psychology“ vom 15. Mai 2018 beschreibt die Forscherin vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum ihre Theorie.
Tolerant und doch voller Vorurteile
Ein hypothetisches Beispiel: Ein weißer Professor sagt von sich selbst, eine liberale, tolerante Weltsicht zu haben. Er bestätigt, dass es unsinnig und wissenschaftlich unhaltbar sei, generelle Intelligenzunterschiede zwischen Personen verschiedener Ethnien anzunehmen. Trotzdem widerspricht sein Verhalten scheinbar seinen geäußerten Überzeugungen: Beispielsweise ist er überrascht, wenn eine dunkelhäutige Studentin eine kluge Frage in seinem Seminar stellt. Außerdem hat er intuitiv den Eindruck, dass seine weißen Studierenden klüger aussehen.
Wenn die geäußerten Überzeugungen vom intuitiven Verhalten abweichen, sprechen Wissenschaftler vom „implicit bias“ oder von impliziten Vorurteilen. Mit bestimmten psychologischen Tests lassen sich diese bestimmen.
Unbewusst oder nicht?
„In der Sozialpsychologie und Philosophie ist ein Streit darüber entbrannt, ob die mit solchen Tests gemessenen Vorurteile unbewusst sind oder nicht“, sagt die Bochumer Forscherin. Die Tatsache, dass Personen trotz impliziter Vorurteile liberale und tolerante Überzeugungen äußern, scheint dafür zu sprechen. Allerdings ergaben frühere empirische Studien auch, dass Versuchspersonen unter bestimmten Bedingungen ihre impliziten Vorurteile bemerken können. „Interessanterweise sind die Probanden in der Regel überrascht bis schockiert, wenn sie feststellen, dass sie implizite Vorurteile haben“, weiß Krickel.
Um diese Daten zu erklären, bediente sich die Forscherin der Psychoanalyse. Genauer gesagt zeigt sie, dass ein philosophisch aufgeklärter Begriff der Freud’schen Verdrängung eine plausible Erklärung der zunächst widersprüchlich scheinenden Daten liefert.
Passt nicht ins Selbstbild
Nach Krickels Analyse verdrängt der Professor im Beispiel die Gefühle, die seine negativen Assoziationen hervorrufen, weil diese nicht mit seinem Selbstbild zusammenpassen. Daher ist er sich nicht bewusst, dass er implizite Vorurteile hat. Prinzipiell kann er sich diese Gefühle aber unter geeigneten Bedingungen bewusst machen. „Die Rolle der Philosophie ist dabei vor allem, genauer zu analysieren, was Verdrängung ist“, sagt Krickel. „Aufbauend auf verschiedenen philosophischen Bewusstseinstheorien ergibt sich ein plausibles Modell, wenn man Verdrängung im Sinne einer Aufmerksamkeitsverschiebung versteht, die man sich im Laufe der Zeit antrainiert.“