Devrimi Kaya leitet den Bochumer Lehrstuhl für Corporate Governance, Auditing und Accounting. © RUB, Marquard

Wirtschaftswissenschaft Mittelständische Unternehmen bremsen freiwillig ihr Wachstum

Was für etablierte Unternehmen ein Problem darstellt, ist für Gründer nützlich.

In der Europäischen Union sind Kapitalgesellschaften ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihre Jahresabschlüsse detailliert offenzulegen. Um sich dieser Pflicht zu entziehen, bremst der Mittelstand in Deutschland und Europa bewusst sein Wachstum, um wettbewerbsrelevante Informationen nicht preisgeben zu müssen. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Devrimi Kaya von der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit Kollegen der London Business School und der University of Washington nach einer empirischen Analyse, in die Daten von hunderttausenden Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern eingingen.

In einer zweiten Studie zeigten die Forscher allerdings auch positive Effekte von veröffentlichten Bilanzen auf: Gründerinnen und Gründer nutzen die Daten, um über die Kapitalstruktur ihres eigenen Unternehmens zu entscheiden.

Die Ergebnisse der ersten Studie sind 2018 im „Journal of Accounting and Economics“ erschienen, die zweite Studie ist vorab auf der Plattform SSRN online veröffentlicht.

Verzicht auf sieben Prozent Wachstum

Je kleiner ein Unternehmen ist, desto weniger Geschäftsinformationen wie Umsatzerlöse oder Gewinnmargen muss es offenlegen. Die empirischen Analysen zeigen, dass Unternehmen auf rund sieben Prozent Wachstum verzichten, um sich bewusst klein zu halten. Viele nehmen sogar Ordnungs- und Bußgelder zwischen 2.500 und 25.000 Euro in Kauf, um ihre Bilanzen verspätet zu veröffentlichen. So vermeiden sie, dass die Konkurrenz Einblick in die Geschäftsbücher erhält.

Außerdem bleiben Firmen unter einer gewissen Unternehmensgröße, um teure und zeitintensive Abschlussprüfungen durch externe Wirtschaftsprüfer zu vermeiden.

Nachteil zu Nordamerika und Asien

„Unsere Studie zeigt, dass viele mittelständische Unternehmen einen klaren Wettbewerbsnachteil durch die Offenlegung von Geschäftszahlen befürchten. Besonders profitable Unternehmen haben dabei hohe Anreize, durch Bilanzpolitik ihre Unternehmensgröße zu verzerren“, stellt Devrimi Kaya vom Bochumer Lehrstuhl für Corporate Governance, Auditing und Accounting fest.

Solche bilanzpolitischen Instrumente sind etwa der Einsatz von Leiharbeitern, um unterhalb von Schwellenwerten für Mitarbeiter zu bleiben, oder das Spalten eines Unternehmens in zwei bis drei kleinere. „Diese Instrumente verursachen jedoch echte Kosten für Mittelständler“, sagt Kaya. „Beispielsweise verlangen Zeitarbeitsfirmen Aufschläge von 100 bis 200 Prozent im Vergleich zu unternehmenseigenen Mitarbeitern.“ Umstrukturierungen können hohe Kosten für Notare, Rechtsanwälte und Steuerberater nach sich ziehen.

„Während die Geschäftszahlen von deutschen Mittelständlern öffentlich einsehbar sind, müssen ausländische Partner und Konkurrenten in Nordamerika und Asien überhaupt keine Daten preisgeben“, ergänzt Kaya. So sei die Pflicht zum Offenlegen des Jahresabschlusses eine echte Wachstumsbremse für den deutschen Mittelstand.

Nützlich fürs Benchmarking

Von den veröffentlichen Jahresabschlüssen profitieren hingegen Gründerinnen und Gründer. „Welche Kapitalstruktur man für das eigene Unternehmen wählt, zum Beispiel wie viel Eigen- und wie viel Fremdkapital man einbringt, ist eine weitreichende Entscheidung“, erklärt Devrimi Kaya. „Denn es zeigt sich, dass diese Struktur im Zeitverlauf konstant bleibt. Wer beispielsweise mit 60 Prozent Fremdkapital gründet, behält diesen Anteil auch später bei.“

Die Wirtschaftswissenschaftler untersuchten die Kapitalstruktur von etablierten und neu gegründeten Unternehmen vor und nach 2007 – das Jahr, in dem in Deutschland die Pflicht zur Bilanzveröffentlichung strikt umgesetzt wurde. Nach 2007 glichen sich die Kapitalstrukturen von etablierten und neuen Firmen innerhalb gleicher Industrien in Deutschland stärker an als vorher. Dieser Effekt war in anderen europäischen Ländern nicht zu finden. Ein Hinweis, dass deutsche Gründer die veröffentlichten Jahresabschlüsse nutzten, um sich an der Kapitalstruktur von bestehenden Unternehmen zu orientieren.

Originalveröffentlichungen

Darren Bernard, David Burgstahler, Devrimi Kaya: Size management by European private firms to minimize proprietary costs of disclosure, in: Journal of Accounting and Economics, 2018: DOI: 10.1016/j.jacceco.2018.03.001

Darren Bernard, Devrimi Kaya, John Wertz: Entry and capital structure mimicking in concentrated markets: the role of incumbents’ financial disclosures, 2018, Online-Vorabveröffentlichung auf SSRN

Pressekontakt

Prof. Dr. Devrimi Kaya
Lehrstuhl für Corporate Governance, Auditing und Accounting
Fakultät für Wirtschaftswissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 22377
E-Mail: devrimi.kaya@rub.de

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Veröffentlicht

Dienstag
12. Februar 2019
10:06 Uhr

Von

Julia Weiler

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