Sportwissenschaft Mit dem Körper lernen
Sport im klassischen Sinne lernen die Studierenden in den Kursen von Antje Klinge nicht. Dafür aber viel über sich selbst.
Antje Klinge bildet als Professorin für Sportpädagogik und Sportdidaktik zukünftige Lehrerinnen und Lehrer aus. Ihr ist es wichtig, diese dafür zu sensibilisieren, dass Sport mehr ist als körperliche Hochleistung, fitte Körper und vor allem Wettkämpfe. Statt von Sport spricht sie daher lieber von Bewegung und spielerischem Bewegungshandeln. Ihre Kursteilnehmer fordert sie gerne auf, neue Perspektiven einzunehmen – wortwörtlich, denn das kann dazu führen, dass sich Männer und Frauen um Betonblöcke winden, ihre Köpfe in Regalfächer stecken oder sich in die Schließfächer der Bibliothek hineinsetzen. Der Effekt: Sie lernen über ihre Körper etwas Neues über sich und die Umwelt. Über die Arbeit von Antje Klinge berichtet Rubin, das Wissenschaftsmagazin der RUB.
Sorge, sich lächerlich zu machen
Leistungssportlerin war Antje Klinge nie, der kreative Tanz ist ihre Profession. Nicht bestimmte Tanzstile stehen hierbei im Vordergrund, sondern Improvisation und das Entdecken der eigenen Bewegungs- und Spielräume. Vor allem die Studierenden, die lange Jahre Wettkampfsport betrieben haben, äußern oft Vorbehalte gegen solche Übungen. Aus Angst, sich ungeschickt anzustellen, sich schlimmstenfalls lächerlich zu machen. „Die meisten merken aber schnell, dass diese Sorgen unbegründet sind. Einige blühen regelrecht auf“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Beim Spiel entwickelt sich die Identität
Ihre Beobachtungen in den Kursen wie auch im Schulsport zeigten ihr, dass das Tanzen etwas mit den Menschen macht: „Da passiert etwas mit ihrer Identität. Sie stellen sich anders dar als im herkömmlichen Sport, individueller“, so Klinge. Über diesen Zusammenhang zwischen spielerischer Bewegung und Identitätsentwicklung wollte Antje Klinge mehr herausfinden. Sie studierte die Fachliteratur und wurde sich dadurch bewusst, welche Rolle der Körper als Instrument der Bildung hat. „Wenn wir über ihn neue Erfahrungen machen, stutzen wir vielleicht zunächst und akzeptieren dann, dass wir umlernen und neue Perspektiven einnehmen müssen“, sagt Antje Klinge. Ihren Studierenden versucht sie das ganz plastisch klarzumachen.
Warum immer nur im Kreis laufen?
Das fängt schon damit an, sich in der Sporthalle anders zu bewegen, als man es üblicherweise tut. „Wenn ich die Studierenden zu Beginn einer Stunde auffordere, sich warm zu machen, laufen nahezu alle automatisch links herum im Kreis. Dann mache ich ihnen klar, dass das nicht sein muss. Man kann genauso gut rechtsherum oder rückwärtslaufen, im Zickzack hüpfen oder die Halle ohne jegliches Muster durchqueren“, so Klinge, die sich sicher ist, dass schon mit dieser simplen Übung Bildungsprozesse angestoßen werden.
Ungewohntes bringt Denkprozesse in Gang
Eine Vielperspektivität in die Köpfe und Körper ihrer Studierenden zu bringen, ist Antje Klinge vor allem im Hinblick auf das Berufsfeld Schule sehr wichtig, denn die Sportlehrerinnen und -lehrer in spe sollen keineswegs als Trainer fungieren, sondern als Lehrende und Vermittler von Bewegung, Spiel und Sport. „Sportlehrkräfte haben einen Doppelauftrag“, erklärt die Professorin. „Sie sollen einerseits Kindern die Möglichkeit eröffnen, sich die außerschulische Bewegungskultur selbstständig zu erschließen, sprich beim Sport mitspielen zu können, und andererseits sollen die Kinder die Möglichkeit bekommen, sich selbst zu entfalten und ihre Bewegungsmöglichkeiten kennenzulernen.“
Mit ihren Kursen und Seminaren will Antje Klinge dieses Bewusstsein schärfen und setzt auf die Potenziale des Lernens mit dem Körper.