Krieg und Raketen – die beiden beliebtesten Themen in den Zukunftsromanen der 1920er- und 1930er-Jahre.
© Roberto Schirdewahn

Deutsche Geschichte Zweiter Weltkrieg schien die einzige Chance auf eine bessere Zukunft

Zukunftsromane aus den 1920er- und 1930er-Jahren geben einen Einblick in das damalige Lebensgefühl der Deutschen. Gesucht wurde ein Held, der das Land in eine neue Ära führt.

Der Zweite Weltkrieg erschien vielen Deutschen unausweichlich. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Projektgruppe der Ruhr-Universität Bochum, die seit 2017 zu deutschsprachigen Zukunftsromanen der 1920er- und 1930er-Jahre forscht. Die Mitglieder kommen aus den Bereichen Komparatistik, Germanistik, Geschichts- und Politikwissenschaft sowie Sozialpsychologie.

In den Büchern, darunter unter anderem der große Roman „Berge Meere und Giganten“ von Alfred Döblin und Werke von Hans Dominik, verbinden die Autoren technische Neuerungen mit Bevölkerungsfragen, Landfragen und der Idee der Gestaltung eines neuen Menschen. Besonders interessieren sich die Mitglieder der Projektgruppe für die politischen Bilder in den Romanen.

Große Sorge um die Zukunft der nachfolgenden Generationen

„Uns hat überrascht, dass die Texte sehr deutlich zeigen, wie sich die politische Öffentlichkeit in den 1920er-Jahren in Deutschland verändert hat“, sagen die beiden Projektgruppenleiterinnen Dr. habil. Kristin Platt und Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans. Die Menschen fragten nicht nur nach der Zukunft des Wissens und nach neuen technischen Möglichkeiten, sondern, so Kristin Platt, besonders nachhaltig nach der Zukunft der folgenden Generationen.

„Der Raum für gesellschaftliche Fragen veränderte sich in den 1920er-Jahren deutlich. Vor allem wurde er öffentlich. Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und politischer Lager diskutierten darüber. Dieses Reden über Zukunft führte dabei oftmals direkt zu der Idee, dass sie nur erreicht werden kann, wenn einer – nahezu immer ist dies ein Mann – die Entscheidung in die Hand nimmt und einen Bruch herbeiführt. Ganz radikal wird in den Büchern thematisiert, dass eine Zukunft nur durch einen Krieg erreicht werden kann. Das hat uns schon überrascht“, so Kristin Platt.

Monika Schmitz-Emans (links) leitet zusammen mit Kristin Platt die zehnköpfige Projektgruppe, die zu deutschsprachigen Zukunftsromanen der 1920er- und 1930er-Jahre forscht.
© Roberto Schirdewahn

Bei ihrer Recherche erkannten die Mitglieder der Projektgruppe, dass es sich keineswegs um wenige einzelne Romane handelte. „Das gesamte Korpus, das wir zusammenstellen konnten, enthält 450 bis 500 zentrale Werke“, so Platt. Die Autoren kommen sowohl aus dem rechten wie auch dem linken Lager.

Die Bücher zu finden war eine Herausforderung für sich, denn obwohl sie in den 1920er- und 30er-Jahren in großer Auflage erschienen, findet man sie heute nur noch schwerlich, viele sind im Krieg zerstört worden oder verloren gegangen.

Werks- und Fachzeitschriften druckten Auszüge aus den Büchern ab

Damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit auch nach der Projektphase von den Erkenntnissen der Bochumer Gruppe profitieren können, nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Bücher systematisch auf, schreiben Zusammenfassungen und versuchen, die Auflagenstärke und das Schicksal des Autors zu rekonstruieren.

Dabei zeigte sich, dass einige der Romane oder auch Kurzgeschichten der Autoren sogar in Werks- und Fachzeitschriften wie der Zeitung des Vereins für Raumschifffahrt besprochen beziehungsweise in Auszügen abgedruckt worden waren. Obwohl die Geschichten allesamt fiktiv sind, interessierte sich in der Nachkriegszeit sogar die Fachwelt für die Ideen der Autoren, bei denen Raketen, Ingenieure und Raumfahrt eine große Rolle spielten.

Nationalsozialisten gaben den Menschen die gesuchten Antworten

Dass sich heute die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Bochumer Projektgruppe intensiv mit den Texten auseinandersetzen, ist nicht ganz selbstverständlich. „Historiker könnten sagen, dass es sich ja nur um Literatur handelt“, so Kristin Platt. „Das stimmt natürlich. Dennoch gibt sie uns Einblick in die Gedankenwelt der Menschen, die damals gelebt haben. Wir erfahren viel darüber, wie die Stimmung und das Lebensgefühl damals im Land waren. Beim Lesen der Romane wird offensichtlich, dass die Menschen das Gefühl hatten, nach dem Ersten Weltkrieg etwas wiederhaben zu wollen. Sie empfanden einen politischen Stillstand, fühlten sich nicht mehr als Teil der weltpolitischen Entwicklung.“ So interessiert die Projektgruppe nicht zuletzt, dass die Texte zeigen, wie der Nationalsozialismus versuchte, eine Antwort gerade für diese Empfindungen zu geben. Aber auch, wie sicher ein neuer Krieg erwartet worden ist.

Ausführlicher Beitrag in Rubin

Einen ausführlichen Beitrag zu dem Thema finden Sie im Wissenschaftsmagazin Rubin. Texte auf der Webseite und Bilder aus dem Downloadbereich dürfen unter Angabe des Copyrights für redaktionelle Zwecke honorarfrei verwendet werden.

Die Projektgruppe

Das Forschungsprojekt trägt den Titel „Der verdichtete Raum. Sprache, Text und weltanschauliches Wissen in deutschsprachigen Zukunftsromanen der 1920er- und 1930er-Jahre“. Gefördert wird sie von Mai 2017 bis April 2020 von der Fritz-Thyssen-Stiftung.

Pressekontakt

Dr. habil. Kristin Platt
Institut für Diaspora- und Genozidforschung
Fakultät für Geschichtswissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: 0234 32 29701
E-Mail: kristin.platt@rub.de

 

Veröffentlicht

Montag
07. Oktober 2019
09:23 Uhr

Von

Raffaela Römer

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