Carsten Saft ist Leiter des klinischen Bereichs am Bochumer Huntington-Zentrum.
© RUB, Kramer

Neurowissenschaft Positiver Effekt von Huntington-Gen-Veränderung auf Kognition

Die Gen-Veränderungen, die zu Morbus Huntington führen können, scheinen sich Jahrzehnte vor Symptombeginn unter Umständen positiv auf bestimmte kognitive Funktionen auszuwirken.

Eine erhöhte Anzahl von Wiederholungen der Basenabfolge CAG im Huntingtin-Gen wird üblicherweise mit Morbus Huntington in Verbindung gebracht. Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum und der University of Iowa erbrachte nun Hinweise, dass eine vermehrte Zahl von CAG-Wiederholungen im gesunden Bereich oder leicht oberhalb der pathologischen Schwelle positive Effekte auf die kognitive Leistung haben könnte. Menschen mit mehr CAG-Wiederholungen schnitten bei verschiedenen Tests der kognitiven Leistungsfähigkeit besser ab als Menschen mit weniger CAG-Wiederholungen. Das ergab eine statistische Analyse von Daten aus der Enroll-HD-Kohorte, in die mittlerweile rund 21.000 Personen eingeschlossen sind. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Neurology vom 10. Mai 2021 veröffentlicht.

„Die Ergebnisse legen nahe, dass die Verlängerung des Huntingtin-Gens vielleicht einmal einen evolutionären Vorteil mit sich gebracht hat“, sagt Prof. Dr. Carsten Saft von der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum am St. Josef-Hospital. Er kooperierte für die Arbeiten mit Prof. Jordan Schultz und Prof. Peggy Nopoulos von der University of Iowa.

Vor Krankheitsbeginn oft erfolgreich

Bei gesunden Menschen enthält das Huntingtin-Gen üblicherweise etwa 8 bis 26 Wiederholungen der Basenabfolge CAG. Bei Patientinnen und Patienten mit der Erbkrankheit Morbus Huntington können es weit mehr als 40 Wiederholungen sein. „Solche Triplet-Wiederholungen kommen in verschiedenen Genen vor, und schon länger besteht die Hypothese, dass ihnen eine entscheidende Rolle in der Evolution zukommen könnte“, erklärt Carsten Saft, der in seinem Klinikalltag viele Morbus-Huntington-Patienten behandelt. „Schon immer war ich beeindruckt davon, was meine Patientinnen und Patienten geleistet hatten, bevor sie krank wurden“, schildert er. „Viele hatten wichtige Positionen inne oder hatten Firmen gegründet, waren darüber hinaus gesellschaftlich aktiv, sportlich erfolgreich oder haben mehrere Sprachen gesprochen – und das obwohl sie aufgrund der Erkrankung in der Familie oft schwere Ausgangsbedingungen gehabt hatten.“

Tests lange vor den ersten Symptomen

Ob diese Beobachtungen Zufall sind oder nur an einer höheren Motivation der Mutationsträger liegen, wollte Carsten Saft mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Iowa herausfinden. Frühere Studien hatten bereits Hinweise ergeben, dass eine vermehrte Anzahl an CAG-Wiederholungen mit einem höheren IQ bei Kindern und Jugendlichen zusammenhängen oder sich auf die Hirnentwicklung auswirken könnte. Neurologinnen und Neurologen der Ruhr-Universität aus dem St. Josef-Hospital um Carsten Saft und aus dem Knappschaftskrankenhaus um Prof. Dr. Sabine Skodda stellten eine schnellere Sprachleistung fest.

Das Team aus Iowa und Bochum arbeitete mit Daten aus der Enroll-HD-Kohorte, die rund 21.000 Huntington-Patienten, Mutationsträger ohne Beschwerden sowie Kontrollpersonen aus den betroffenen Familien umfasst. Im Rahmen der Studienteilnahme hatten die Personen der Kohorte an verschiedenen kognitiven Tests teilgenommen. In ihre Analyse bezogen die Forscherinnen und Forscher Menschen mit und ohne die pathologische Verlängerung des Huntingtin-Gens aus der Kohorte ein. Alle Datensätze waren Jahre bis Jahrzehnte, bevor sich Krankheitssymptome manifestieren würden, aufgezeichnet worden.

Bessere Testergebnisse bei mehr CAG-Wiederholungen

Die Anzahl der CAG-Wiederholungen korrelierte signifikant mit der Leistung bei verschiedenen kognitiven Aufgaben, nämlich den Trail Making Tests, Stroop Colour Naming und Stroop Interference Tests sowie dem Symbol Digit Modalities Test. Mit diesen Tests werden exekutive Funktionen und Aufmerksamkeit erfasst. Menschen mit mehr CAG-Wiederholungen schnitten durchschnittlich besser ab.

Für Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen ist der sogenannte frontostriatale Bereich des Gehirns verantwortlich. „Also genau der Bereich, in dem das Huntingtin-Protein, das bei Morbus Huntington verändert ist, seinen größten Einfluss hat – auch pathologisch im Rahmen der Erkrankung“, so Carsten Saft. „Unsere Ergebnisse sind ein weiteres Indiz dafür, dass die CAG-Verlängerung, die sonst zu dieser schrecklichen Krankheit führt, auch eine positive Rolle haben könnte.“

Die Ergebnisse sind laut den Autorinnen und Autoren auch für sogenannte Huntingtin-Lowering-Therapien von Bedeutung, die derzeit in Studien untersucht werden. Mithilfe verschiedener Substanzen wird dabei versucht, die Menge des Huntingtin-Proteins im Gehirn, welches als verantwortlich für die Erkrankung angesehen wird, zu reduzieren. „Nach unseren Ergebnissen sollte man mit einer solchen Therapie nicht beginnen, solange das Gehirn sich noch entwickelt, denn dann könnte die Therapie vielleicht sogar eher schädlich sein“, resümiert Carsten Saft.

Originalveröffentlichung

Jordan L. Schultz, Carsten Saft, Peggy C. Nopoulos: Association of CAG repeat length in the Huntington gene with cognitive performance in young adults, in: Neurology, 2021, DOI: 10.1212/WNL.0000000000011823

Pressekontakt

Prof. Dr. Carsten Saft
Huntington-Zentrum NRW
Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum
St. Josef-Hospital
Tel.: +49 234 509 6405
E-Mail: carsten.saft@rub.de

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Veröffentlicht

Montag
14. Juni 2021
09:15 Uhr

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