Paläontologie Wie Plesiosaurier unter Wasser schwammen
Vier gleichförmige Flossen zeichnen die Plesiosaurier aus. Ob sie unter Wasser damit ruderten oder flogen, ließ sich dank der Kombination aus paläontologischen und ingenieurwissenschaftlichen Methoden rekonstruieren.
Plesiosaurier, die vor rund 210 Millionen Jahren lebten, haben sich auf einzigartige Weise an das Leben unter Wasser angepasst: Ihre Vorder- und Hinterbeine haben sich im Lauf der Evolution zu vier gleichförmigen, flügelartigen Flossen entwickelt. Wie sie damit im Wasser vorankommen konnten, hat Dr. Anna Krahl in ihrer an der Ruhr-Universität Bochum und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn betreuten Dissertation herausgearbeitet. Unter anderem durch Nutzung der in den Ingenieurwissenschaften verbreiteten Finite-Elemente-Methode konnte sie zeigen, dass für das Vorankommen eine Verwindung der Flossen notwendig war. Anhand von Knochen, Modellen und Rekonstruktionen der Muskeln konnte sie den Bewegungsablauf rekonstruieren. Sie berichtet in der Zeitschrift PeerJ vom 3. Juni 2022.
Plesiosaurier gehören zu einer Gruppe von Sauriern, den Sauropterygia oder Paddelechsen, die sich wieder an ein Leben im Meer angepasst haben. Sie entwickelten sich in der späten Trias vor 210 Millionen Jahren, lebten zeitgleich mit den Dinosauriern und starben am Ende der Kreidezeit aus. Plesiosaurier zeichnen sich durch einen oft extrem verlängerten Hals mit kleinem Kopf aus – die Elasmosaurier haben sogar den längsten Hals aller Wirbeltiere. Es gab aber auch große räuberische Formen mit einem eher kurzen Hals und gewaltigen Schädeln. Der Hals sitzt bei allen Plesiosauriern an einem tropfenförmigen, hydrodynamisch gut angepassten Körper mit einem stark verkürzten Schwanz.
Forschende rätseln seit 120 Jahren, wie Plesiosaurier geschwommen sind
Das zweite Merkmal, das die Plesiosaurier so ungewöhnlich macht, sind vier gleichförmige flügelartige Flossen. „Dass die Vorderbeine zu tragflächenartigen Flossen umgewandelt sind, kommt in der Evolution häufiger vor, etwa bei Meeresschildkröten. Niemals wieder wurden jedoch die Hinterbeine in einen fast genauso aussehenden Tragflächen-artigen Flügel umgewandelt,“ erklärt Anna Krahl, deren Doktorarbeit von Prof. Dr. P. Martin Sander (Bonn) und Prof. Dr. Ulrich Witzel (Bochum) betreut wurde. Meeresschildkröten und Pinguine haben zum Beispiel Ruderfüße. Seit über 120 Jahren rätseln Forschende der Wirbeltierpaläontologie, wie Plesiosaurier mit diesen vier Flügeln geschwommen sein könnten. Ruderten sie wie Süßwasserschildkröten oder Enten? Flogen sie unter Wasser wie Meeresschildkröten und Pinguine? Oder kombinierten sie Unterwasserflug und Rudern wie heutige Seelöwen oder die Papua-Weichschildkröte? Ungeklärt ist auch, ob die Vorder- und Hinterflossen im Gleich- oder Gegentakt oder phasenverschoben geschlagen wurden.
Anna Krahl beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit dem Körperbau der Plesiosaurier. Sie untersuchte die Knochen des Schulter- und Beckengürtels, der Vorder- und Hinterflossen, sowie die Schultergelenkoberflächen des Plesiosauriers Cryptoclidus eurymerus aus der mittleren Jurazeit (vor rund 160 Millionen Jahren) an einem vollständigen im Goldfuß-Museum der Universität Bonn ausgestellten Skelett. Plesiosaurier haben versteifte Ellbogen- und Knie- sowie Hand- und Fußgelenke, aber funktionierende Schulter-, Hüft- und Fingergelenke. „Die Analyse im Vergleich zu heutigen Meeresschildkröten und basierend darauf, was man über deren Schwimmvorgang weiß, hat gezeigt, dass Plesiosaurier vermutlich nicht in der Lage waren, ihre Flossen so sehr zu drehen, wie es fürs Rudern notwendig wäre“, fasst Krahl eine ihrer Vorarbeiten zusammen. Rudern ist hauptsächlich eine Vor- und Zurück- Bewegung, bei der der Wasserwiderstand zum Vorwärtskommen genutzt wird. Die bevorzugte Flossenbewegungsrichtung bei Plesiosauriern war dagegen ein Auf- und Abschlag, wie ihn Unterwasserflieger benutzten, um Vortrieb zu erzeugen.
Eine Verwindung war möglich und nötig
Die Frage blieb, wie Plesiosaurier die Flossen letztlich doch so verdrehen können, dass sie sie in eine hydrodynamisch günstige Position bringen und Auftrieb produzieren, ohne den Oberarm und Oberschenkel um die Längsachse zu drehen. „Das könnte mittels einer Verwindung der Flossen um die Längsachse funktionieren“, sagt Anna Krahl. „Auch andere Wirbeltiere wie die Lederschildkröte nutzen diese Bewegung nachweislich, um Vortrieb durch Auftrieb zu generieren.“ Bei der Verwindung wird zum Beispiel der erste Finger weit nach unten gebogen und der letzte Finger weit nach oben. Die übrigen Finger überbrücken diese Extrempositionen, sodass die Flossenspitze fast senkrecht steht, ohne dass eine echte Drehung in Schulter- oder Handgelenk erforderlich wäre.
Eine Rekonstruktion der Muskeln der Vorder- und Hinterflossen für Cryptoclidus mithilfe heute lebender Reptilien zeigte, dass die Saurier eine solche Flossenverwindung aktiv ermöglichen könnten. Neben klassischen Modellen fertigten die Forschenden auch Computertomografien von Oberarm- und Oberschenkelknochen von Cryptoclidus an und erstellten daraus virtuelle 3D-Modelle. „Diese digitalen Modelle waren die Grundlage für die Kräfteberechnung mit einer Methode, die wir aus den Ingenieurwissenschaften geborgt haben: die Methode der finiten Elemente, kurz FE“, erklärt Anna Krahl. In einem FE-Computerprogramm, in dem sich natürliche Belastungen etwa von Bauteilen, aber auch von Prothesen simulieren lassen, wurden alle Muskeln und ihre Ansatzwinkel am Oberarm- und Oberschenkelknochen virtuell nachgebaut. Basierend auf Muskelkraft-Annahmen aus einer vergleichbaren Studie über Meeresschildkröten konnte das Team die Belastungen der jeweiligen Knochen berechnen und visualisieren.
Verwindung der Flossen lässt sich indirekt belegen
Während eines Bewegungszyklus werden die Extremitätenknochen durch Druck-, Zug-, Biegebelastung und Torsion belastet. „Die FE-Analysen zeigten, dass Oberarm- und Oberschenkelknochen in den Flossen hauptsächlich durch Druck belastet werden und in einem deutlich geringeren Maße durch Zugspannung“, so Anna Krahl. „Das bedeutet, dass der Plesiosaurier seine Knochen möglichst materialschonend aufgebaut hat.“ Dieser natürliche Zustand lässt sich nur dann erhalten, wenn die Muskulatur zur Verwindung der Flossen und die Muskeln, die um den Knochen herumgreifen, mit einbezogen werden. „Somit können wir indirekt belegen, dass Plesiosaurier ihre Flossen verwunden haben, um effizient zu schwimmen“, resümiert Anna Krahl.
Darüber hinaus konnte das Team für die einzelnen Muskeln Kräfte berechnen, die den Auf- und Abschlag erzeugten. So stellte sich heraus, dass der Abschlag beider Flossenpaare kraftvoller als der Aufschlag war. Dies ist vergleichbar zu unseren heutigen Meeresschildkröten und anders als bei heutigen Pinguinen, die mit dem Aufschlag gleich weit vorwärts kommen wie mit dem Abschlag. „Die Anpassung der Plesiosaurier an das Leben im Wasser ist ganz anders abgelaufen als zum Beispiel die der Wale“, so Anna Krahl, die inzwischen an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen arbeitet. „Dieser einzigartige Weg der Evolution macht sie zu einem Beispiel für die Wichtigkeit paläontologischer Forschung, weil wir nur durch sie die volle Bandbreite dessen ermessen können, was die Evolution hervorbringen kann.“