Medizin Propionsäure schützt Nervenzellen und unterstützt ihre Regeneration
Manche Autoimmunerkrankungen greifen die Nerven in den Armen und Beinen an. Forschende aus Bochum verfolgen einen neuen Ansatz, um diesen Schädigungen entgegenzuwirken.
In Laborversuchen haben Forschende vom St. Josef Hospital Bochum gezeigt, dass Propionat, das Salz einer kurzkettigen Fettsäure, Nerven schützen und bei ihrer Regeneration helfen kann. Die Erkenntnisse könnten für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen nützlich sein, bei denen Nervenzellen geschädigt werden, wie bei der chronisch entzündlichen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP). Propionat entsteht natürlicherweise im Darm beim Abbau von Ballaststoffen. In früheren Studien hatte ein Team derselben Abteilung vom St. Josef Hospital Bochum, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, bereits nachgewiesen, dass Menschen mit Multipler Sklerose (MS) einen Mangel an Propionat haben und von einer zusätzlichen Propionat-Einnahme profitieren können. Die Substanz könnte dementsprechend auch für Patientinnen und Patienten mit CIDP nützlich sein.
Die Ergebnisse veröffentlichte eine Gruppe um Dr. Thomas Grüter und Privatdozentin Dr. Kalliopi Pitarokoili von der Neurologischen Universitätsklinik am St. Josef Hospital (Leiter Prof. Dr. Ralf Gold), in der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ am 20. Januar 2023.
Propionat mindert Zellsterben in Zellkulturexperimenten
Menschen mit CIDP leiden unter Gefühlsstörungen, Muskelschwäche und Schmerzen. Die Ursache der Erkrankung ist nicht vollständig verstanden. Das Immunsystem greift die Nerven in Armen und Beinen an. Die Nervenscheide, eine isolierende Ummantelung der Nervenzellen, wird abgebaut, schließlich sterben die Zellen ab. „Aktuell verfügbare Medikamente sind sehr teuer und wirken vor allem auf das Immunsystem“, sagt Thomas Grüter. „Eine nervenschützende und regenerative Therapie steht bislang nicht zur Verfügung.“
Die schützende Wirkung von Propionat erforschte das Team um Thomas Grüter in der aktuellen Studie nun in der Zellkultur und in Tierversuchen. Die Gruppe isolierte die beiden wichtigsten Zellarten im peripheren Nervensystem aus Ratten: Nervenzellen und Schwannzellen; letztere bilden die Ummantelung der Nervenzellen.
Die beiden Zellarten kultivierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler getrennt voneinander und setzten sie oxidativem Stress aus, was üblicherweise zu Schäden an den Zellen führt. Einige Zellkulturen behandelte das Team mit Propionat und verglich die Effekte mit unbehandelten Kulturen. In den behandelten Kulturen starben signifikant weniger Zellen ab. Außerdem wuchsen die Zellen nach der Behandlung besser wieder aus als ohne Propionat-Gabe. Diese Ergebnisse bestätigten sich im Tierversuch: Nach Einnahme von Propionat waren die Nervenzellen besser gegen oxidative Schäden geschützt.
Einblicke in Wirkmechanismus
Die Forschenden erlangten auch neue Einblicke in den Mechanismus der Propionat-Wirkung. Sie zeigten, dass die Substanz den Rezeptor FFAR3 auf der Oberfläche von Nervenzellen und Schwannzellen anspricht und außerdem das Ablesen der DNA über Histon-Moleküle beeinflusst. Hierdurch werden neue Enzyme und Eiweißstoffe hergestellt, die vor schädlichen Einflüssen schützen und helfen, Schäden zu reparieren.
Hintergrund: Studien mit MS-Patienten ergaben positive Effekte von Propionat
Ergebnisse aus früheren Untersuchungen mit MS-Patienten hatten die Bochumer Forschenden auf die Idee gebracht, dass Propionat einen günstigen Effekt auf CIDP-Patientinnen und -Patienten haben könnte. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Aiden Haghikia hatte gezeigt, dass die Einnahme von Propionat bei Menschen mit Multipler Sklerose eine anti-entzündliche Wirkung hat und die Schubrate reduziert.