Sozialwissenschaft Mehr als zwei Drittel der jungen Menschen sind freiwillig engagiert

Eine große Online-Befragung zeigt, wie sie sich engagieren und was sie motiviert.

Mehr als zwei Drittel der jungen Menschen in Deutschland engagieren oder engagierten sich für das Gemeinwohl. Das ist das Ergebnis einer großen Online-Befragung der Soziologie der Ruhr-Universität Bochum in west- und ostdeutschen Großstädten und Landkreisen. Das klassische Engagement in Vereinen und Instituten liegt mit wiederum zwei Dritteln dabei vor neuen Formen des Ehrenamts wie Online-Angeboten, episodischen Tätigkeiten oder dem sogenannten Voluntourismus, der Auslandsreisen mit ehrenamtlichen Tätigkeiten verbindet. Nennenswerte Ost-West-Unterschiede fanden die Forschenden nicht. Anerkennung durch die Gesellschaft und die Familie sowie eine sinnvolle Tätigkeit spielen für die Motivation der jungen Menschen eine große Rolle. Die Ergebnisse der Studie sind online (PDF) veröffentlicht.

Mehrmals pro Woche aktiv

„Wir wollten wissen, wie sich junge Menschen heute abseits klassischer ehrenamtlicher Vereinstätigkeit engagieren“, erklärt Prof. Dr. Sören Petermann, Leiter des Lehrstuhls für Soziologie/Stadt und Region der Ruhr-Universität. Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf digitalem Engagement wie etwa Online-Bewegungskursen, Games-Wikis oder Podcasts, dem sogenannten Voluntourismus, einer Kombination aus touristischer Reise und Engagement, und dem episodischen Engagement, das kurzzeitig ist, zum Beispiel auf eine Veranstaltung oder ein Ereignis bezogen. „Diese neuen Formen liegen außerhalb etablierter Engagement-Strukturen, und es ist noch wenig darüber bekannt“, so Petermann.

Die Forschenden starteten eine große Online-Befragung unter zufällig ausgewählten Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren in Bochum und Leipzig sowie im Partnerprojekt NEOBE I in drei ost- und westdeutschen Landkreisen. In Bochum haben sich 1.033 Personen beteiligt, in Leipzig 952.

Quote liegt auf dem Land leicht höher

„Die Engagementquoten der jungen Befragten fallen in allen fünf Untersuchungsgebieten sehr hoch aus“, so das Fazit der Forschenden. Seit ihrem 15. Lebensjahr hatten sich zwischen 68 und 73 Prozent der Befragten ehrenamtlich engagiert. „Die Quoten liegen im ländlichen Raum leicht höher als in den Städten. Wir konnten keine Ost-West-Unterschiede feststellen“, berichtet Sören Petermann.

Etwa zwei Drittel der Ehrenamtler*innen sind in Vereinen und anderen formellen Organisationen aktiv. Daneben spielen Initiativen oder Projektgruppen mit 12 bis 24 Prozent eine Rolle; Einzelengagement macht rund 10 Prozent aus. Rund zwei Drittel üben ihre Tätigkeit stetig ein- bis mehrmals pro Woche aus. Nur 6 bis 10 Prozent sind einmalig aktiv gewesen. Fast alle Befragten – 78 bis 88 Prozent – gaben an, an ihrem Wohnort aktiv zu sein.

Was junge Leute motiviert

Der Großteil der Befragten ist der Ansicht, dass ein freiwilliges Engagement von der Gesellschaft positiv bewertet wird. Die Mehrheit verbindet damit außerdem eine sinnvolle Tätigkeit, aber auch die Möglichkeit, Dinge aktiv mitzugestalten. „Eine geringe Rolle spielt hingegen etwa die Auffassung, dass das Engagement von Vorteil für den eigenen Lebenslauf ist“, berichtet Sören Petermann. Die Wertschätzung freiwilligen Engagements von Verwandten hat einen positiven Effekt auf das Engagement junger Menschen.

Ob junge Menschen ehrenamtlich aktiv sind, hängt am stärksten vom Bildungsniveau ab: Jemand, der ein (Fach)Abitur hat, ist wahrscheinlicher aktiv als jemand, der den Abschluss nicht hat. Ist ein Elternteil ehrenamtlich aktiv, erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Engagements. Überraschend für die Forschenden war, dass junge Menschen, die Familiensorgearbeit leisten, also etwa eigene Kinder erziehen, häufiger freiwillig aktiv sind als andere. „Wir hatten vermutet, dass die Zeit für freiwilliges Engagement dann fehlen würde“, berichtet Sören Petermann. „Das Gegenteil ist aber der Fall. Vermutlich liegt das daran, dass das Engagement mit der Familiensorge inhaltlich verbunden ist, etwa über Fördervereine von Kindergarten und Schule, und dass ein generelles Verständnis für Gemeinschaft und Gemeinwohlorientierung durch die Familiensorgearbeit gefestigt wird.“

Was neue Formen des Engagements begünstigt

Digitales Engagement ist in städtischen Räumen deutlich häufiger als auf dem Land. Die individuelle sozioökonomische Lage spielt jedoch nur eine geringe Rolle. Das episodische Engagement war in jüngeren Altersgruppen verbreiteter als in älteren ab 22. Auch diese Form des Engagements wird durch eigene Familiensorgearbeit begünstigt. Der Voluntourismus ist vor allem bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund häufiger. Menschen, die sich auf diese Weise engagierten, hatten tendenziell eine niedrigere Bildung.

Förderung

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Das Projekt "NEOBE I (Neues Engagement: Organisationsformen, soziale und räumliche Bedingungen)" wird im Rahmen des Forschungsförderprogramms "Ehrenamtliches Engagement in ländlichen Räumen" durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) gefördert.
Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt
Das Projekt "NEOBE II (Neue Formen des Engagements von jungen Menschen im städtischen Raum: Bochum und Leipzig im Vergleich)" wurde im Rahmen des Forschungsförderprogramms “Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und Ehrenamts mit den drei Themenschwerpunkten digitales Engagement, soziale Ungleichheiten und Infrastrukturen" der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) gefördert.
Die DSEE hat im Juli 2020 ihre Arbeit in Neustrelitz aufgenommen. Damit gibt es erstmals eine bundesweit tätige Anlaufstelle zur Förderung ehrenamtlichen Engagements.

Originalveröffentlichung

Marc Neu, Schubert, Daniel und Sören Petermann: Rein digital, nur gelegentlich oder im Ausland? Neue Formen des freiwilligen Engagements junger Menschen in Stadt und Land. ZEFIR-Materialien Band 24, 2024, Bochum: ZEFIR

Angeklickt

Prof. Dr. Sören Petermann
Lehrstuhl für Soziologie/Stadt und Region
Fakultät für Sozialwissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 23706
E-Mail: staresoz@ruhr-uni-bochum.de

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Veröffentlicht

Donnerstag
22. Februar 2024
08:45 Uhr

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