
Katja Sabisch, Isolde Karle und Christian Grünnagel (von links) blicken mit Zuversicht auf die nächsten 20 Jahre Gender Studies.
Interview
Die Gender Studies stehen für Wissenschaftsfreiheit
2005 fing es mit einem Masterstudiengang an. Inzwischen haben die Gender Studies sogar ein eigenes internationales Forschungszentrum in Bochum und lassen sich von Anfeindungen nicht einschüchtern.
20 Jahre Gender Studies: Wie hat sich das Fach entwickelt? Wofür stehen die Gender Studies? Und welche aktuellen Herausforderungen gibt es? In einem Gespräch geben Prof. Dr. Katja Sabisch, Lehrstuhlinhaberin der Gender Studies und Sprecherin des Marie Jahoda Center for International Gender Studies (MaJaC), Prof. Dr. Christian Grünnagel, stellvertretender Sprecher vom MaJaC, und Prof. Dr. Isolde Karle, Prorektorin für Diversity, Inklusion und Talententwicklung, einen Überblick.
Gefeiert wird das Jubiläum übrigens am 3. Juli 2025 im O-Werk.
Frau Sabisch, 20 Jahre Gender Studies an der Ruhr-Universität: Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie persönlich?
Katja Sabisch: Im Zuge der Vorbereitungen für das Jubiläum haben wir uns mit dem Verbleib unserer Absolvent*innen beschäftigt und da ist mir klar geworden, warum ich meinen Beruf so gerne ausübe: Es sind tolle berufliche Wege darunter, unsere Ehemaligen arbeiten bei Zeitungen, in Ministerien, bei gemeinnützigen Vereinen, in Kommunen oder Sozialverbänden – da ist alles dabei. Und ich freue mich sehr, dass ich diese jungen Menschen ein Stück begleiten durfte.
Gibt es eine Begegnung, ein Projekt oder einen Moment in diesen 20 Jahren, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Sabisch: Tatsächlich ist es ein Projekt jüngeren Datums: Im März 2024 haben unsere Studierenden an der internationalen Summer School „Queer Masculinities“ in East London in Südafrika teilgenommen. Sie wurde von meinen Kolleginnen Henriette Gunkel von der RUB und Zintombizethu Matebeni von der University of Fort Hare in Südafrika organisiert. Professorin Matebeni war 2022 unsere Marie Jahoda Fellow und die fortwährende Kooperation zeigt, wie gewinnbringend unser Fellowship-Programm ist.
Was waren aus Ihrer Sicht prägende Meilensteine der Gender Studies in Bochum?
Sabisch: Ich denke, dass die Gründung des Marie Jahoda Center for International Gender Studies nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Studiengänge wichtige Impulse gegeben hat – von unserem Kolloquium über die forschungsorientierte Lehre bis hin zu Projekten wie „Misch Dich ein“. Das MaJaC ist zu einem Ort geworden, welcher verbindet, und zwar nicht nur an der RUB oder der Universitätsallianz Ruhr, sondern auch international, wie unsere geplante Lehrkooperation mit dem Institute of African Studies an der University of Ibadan in Nigeria zeigt. Nicht zuletzt ist das MaJaC auch ein Ort der internationalen Solidarität: Gegenwärtig bietet es politisch verfolgten Wissenschaftlerinnen aus der Ukraine, Russland und der Türkei einen Platz, an dem sie ihre Forschungen weiterführen können.
Das ist nicht nur wissenschaftlich hoch interessant, sondern auch mit Blick auf die Bildung der Studierenden ein großer Gewinn. Sie erhalten hier in besonderer Weise die Gelegenheit, sich selbst und ihre soziale Umwelt zu reflektieren.
Frau Karle, welche Bedeutung haben die Gender Studies für das Profil der Ruhr-Universität?
Isolde Karle: Die Gender Studies sind von hoher Bedeutung für die Ruhr-Universität. Wie schon an den genannten Beispielen von Frau Sabisch deutlich wird, arbeitet die Genderforschung hochgradig interdisziplinär und innovativ – ganz unterschiedliche Forscher*innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sind an ihr beteiligt. „Built to change“ hat sich die RUB auf die Fahnen geschrieben. Dafür stehen nicht zuletzt die Gender Studies. Sie stellen traditionelle Vorstellungen von Geschlecht, von Identität und Sexualität in Frage und bringen durch historische Forschungen und einen kritischen sowie kulturvergleichenden Blick immer neue Erkenntnisse über die Vielfalt der Geschlechter und der Lebensformen hervor. Das ist nicht nur wissenschaftlich hoch interessant, sondern auch mit Blick auf die Bildung der Studierenden ein großer Gewinn. Sie erhalten hier in besonderer Weise die Gelegenheit, sich selbst und ihre soziale Umwelt zu reflektieren.
Und welche Bedeutung haben die Bochumer Gender Studies über die Ruhr-Universität hinaus?
Karle: Die Bochumer Gender Studies sind eine weithin bekannte Einrichtung. Sehr renommierte Genderforscherinnen kommen aus Bochum und wirken inzwischen an anderen Universitäten. Die Bochumer Gender Studies haben insofern eine Ausstrahlung weit über Bochum hinaus.
Statement von Rektor Prof. Dr. Martin Paul
Statement von Rektor Prof. Dr. Martin Paul
Was bedeutet die Forschung in dem Bereich Ihrer Meinung nach für die Gesellschaft?
Karle: Ich halte es für essenziell, dass wir in der Wissenschaft Bereiche haben, die nicht nur auf die Wissenschaft im engeren Sinn sondern auch auf einen „Social Impact“ – also auf Veränderungsimpulse in der Gesellschaft – abzielen. Und das ist bei den Gender Studies der Fall. Erkenntnisse in der Genderforschung sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen unmittelbar relevant – angefangen bei der Medizin, die durch die Gendermedizin lernte, dass Frauen zuweilen anders zu diagnostizieren und zu therapieren sind als Männer, bis hin zu grundsätzlichen Fragen über Identität und Erziehung. Die Genderforschung führt vor, wie nachhaltig Geschlecht und Identität kulturell geprägt sind und wie vielfältig geschlechtliche Identität gelebt werden kann – auch jenseits der gängigen Mann-Frau-Unterscheidung. Das zu erkennen ist im Übrigen nicht nur für viele Frauen befreiend, sondern auch für viele Männer, die sich dadurch ermutigt fühlen, sich von den Bürden einer traditionellen Männlichkeit zu lösen.
Die gesellschaftliche Diskussion rund um Geschlecht und Geschlechtergerechtigkeit ist heute teils polarisiert. Wie wirkt sich das auf die Arbeit in den Gender Studies aus?
Sabisch: Im Rahmen unserer Lehrveranstaltungen untersuchen wir diese Diskurse und fragen danach, warum die extreme Rechte so besessen von dem Thema ist. Die Antwort ist einfach: Antifeminismus meint nicht einfach nur Sexismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit, sondern ist auch eng verbunden mit rassistischen und antisemitischen Ideologien. Deshalb nehmen antifeministische Narrative eine Brückenfunktion ein und dienen der extremen Rechten als Mobilisierungsstrategie, da auch manche konservativen oder bürgerlichen Kreise aus religiösen oder traditionalistischen Gründen Geschlechtergerechtigkeit ablehnen.
Über die Thematisierung in der Lehre hinaus haben antifeministische Diskurse allerdings wenig Auswirkungen auf unsere Arbeit. Die Expertise unserer Studierenden ist auf dem Arbeitsmarkt weiterhin sehr gefragt und die wenigsten Forschungsprojekte kommen ohne Geschlechterperspektive aus.
Uns muss klar sein: Wer uns Geschlechterforscher*innen angreift, greift die Wissenschaft und damit ihre Freiheit an.
Gibt es Anfeindungen oder Formen von Druck, mit denen Forschende umgehen müssen?
Sabisch: Ja, die Anfeindungen seitens antidemokratischer Kräfte nehmen zu, da sitzt die Geschlechterforschung in einem Boot mit den Postcolonial Studies, der Klimaforschung oder auch der Virologie. Uns muss klar sein: Wer uns Geschlechterforscher*innen angreift, greift die Wissenschaft und damit ihre Freiheit an. Denn Wissenschaftsfeindlichkeit ist ein zentrales Merkmal autoritärer Politik, das sehen wir gerade in den USA sehr deutlich.
Notwendig ist also eine klare Haltung aller wissenschaftlichen Institutionen, sei es unser Rektorat oder die DFG. Denn Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit sind Angriffe auf die Demokratie selbst.
Grünnagel: Das sehe ich ganz genauso. Das Beispiel der aktuellen Trump-Administration muss aus meiner Sicht Mahnung und Warnung auch für uns in Deutschland und Europa sein. Es zeigt, was passieren kann, wenn rechtspopulistische oder gar neofaschistische Parteien und Personen Wahlen gewinnen, wie dann der Druck auf Forschende – der bereits auch bei uns zum Beispiel in Form von rechten shit storms gegeben ist – massiv institutionell zunehmen kann. Als Feind werden dann Wissenschaft und Universität genannt, als vermeintlich linke Blase, die Ideologie und Indoktrination verbreite.
Wir müssen aus meiner Sicht als Universität entschieden solchen Verzerrungen entgegentreten und noch viel stärker und transparenter in Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft deutlich machen, was die Gender Studies als Wissenschaft sind.
Statement von Prorektorin für Lehre Prof. Dr. Kornelia Freitag
Statement von Prorektorin für Lehre Prof. Dr. Kornelia Freitag
Frau Karle, wie geht die Hochschulleitung mit Anfeindungen gegenüber den Gender Studies um?
Karle: Wir stehen als Ruhr-Universität voll und ganz hinter den Gender Studies und den Genderforscher*innen, die für uns ein unverzichtbarer Teil der Universität sind, und unterstützen sie nachdrücklich. Rechtsgerichteten Angriffen, die die Gender Studies diffamieren und aus der Universität verbannen wollen, treten wir entschieden entgegen. Bei Angriffen steht den Genderforscher*innen unsere Hochschulkommunikation, das Justitiariat oder auch die Antidiskriminierungsbeauftragte beratend zur Seite. Überdies gibt es die Möglichkeit, sich beim Scicomm Support, einer spezialisierten Anlaufstelle für Wissenschaftler*innen bei unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation, beraten zu lassen. Scicomm Support bietet auch juristische Unterstützung an.
Die Gender Studies zu verteidigen, heißt die Wissenschaftsfreiheit und die Demokratie zu verteidigen – das ist für uns essentiell.
Frau Sabisch, Herr Grünnagel, was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre Gender Studies an der RUB?
Sabisch: Vor allem wünsche ich mir genau diesen politischen Rückhalt von der Hochschulleitung. Wir müssen der Wissenschaftsfeindlichkeit geschlossen entgegentreten.
Grünnagel: Ich wünsche mir mit Blick auf die Gender Studies, dass wir im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit und zivilgesellschaftlichem Transfer noch stärker aus eigenen Diskursräumen heraustreten und uns auch mit unbequemeren Diskussionsteilnehmer*innen im Sinne einer demokratischen Streitkultur konstruktiv-kritisch auseinandersetzen. Dem rechten Narrativ, die Gender Studies kreisten um sich selbst, seien gar keine Wissenschaft, sondern Ideologie und/oder politischer Aktivismus, müssen auch wir in den Gender Studies noch offener und vielleicht bisweilen auch verständlicher entgegentreten – nicht allein an und in der Universität. Ich denke, selten waren die Herausforderungen für unser Fach, aber auch die Universität insgesamt, so groß wie heute.