Interview Wo nachhaltige Start-ups wachsen
Mit dem Worldfactory Start-up Center unterstützt die Ruhr-Universität Gründungsinteressierte bei ihren Vorhaben. Jede zweite Ausgründung zielt auf Nachhaltigkeit ab.
Als Gründungsberaterin und Projektmanagerin begleitet Melusine Reimers die Arbeit des Worldfactory-Start-up Center (WSC). Im Interview erzählt sie, was ein nachhaltiges Start-up ausmacht, warum wir sie brauchen und wie die Ruhr-Universität Gründende strategisch fördert.
Frau Reimers, welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Arbeit des Worldfactory Start-up Center?
Wir beim Worldfactory Start-up Center möchten dazu beitragen, dass die Ruhr-Region ein nachhaltiger und lebenswerter Zukunftsstandort wird. Die Koordinierungsrunde des WSC hat sich daher im Juli 2021 darauf geeinigt, den Fokus der Start-up-Förderung auf sogenannte Impact-Start-ups zu legen. Das sind Start-ups, die nachhaltig wirtschaften, organisch wachsen und eine regionale Verantwortung beim Strukturwandel des Ruhrgebiets übernehmen. Diesen Fokus haben wir mit einer Purpose-Strategie unterstrichen. Im Jahr 2022 hatte die Hälfte unserer Gründungsprojekte einen klaren Bezug zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs).
Was sind die SDGs?
Was zeichnet ein nachhaltiges Start-up denn genau aus?
An einer Definition arbeiten sich viele Stellen ab. Für uns ist die Definition des Social Entrepreneuship Netzwerks Deutschland (SEND e.V.) von 2019 weiterhin zielführend. Demnach sei das primäre Ziel von „Social Entrepreneurship“ die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Dies erreiche man durch die kontinuierliche Nutzung unternehmerischer Mittel, das zu neuen und innovativen Lösungen führe. Steuernde und kontrollierende Mechanismen stellen sicher, dass die gesellschaftlichen Ziele intern und extern gelebt werden.
Wir haben also drei Dimensionen: Die gesellschaftliche Dimension, Grundlage sind hier die SDGs, die unternehmerische Dimension, das heißt eine nachhaltige und beständige Finanzierungsstruktur, und die Governance-Dimension, sprich steuernde und kontrollierende Mechanismen, um die Gemeinwohlorientierung zu gewährleisten. Ein nachhaltiges Start-up ist ein Start-up, das in diesen drei Dimensionen entsprechende Entscheidungen getroffen hat und umsetzt.
Wie unterstützt das WSC Start-up-Teams dabei, eine nachhaltige Gründungsidee zu entwickeln?
Unsere Start-up-Coaches bilden sich regelmäßig weiter, um sowohl bei der Ausrichtung des Geschäftsmodells als auch bei der Beratung zu Produktionen auf soziale und ökologische Nachhaltigkeitsstandards hinzuweisen. Die SDGs als Orientierungsrahmen bringen wir sehr früh in die Beratung mit ein. Sie zeigen den Einfluss der jeweiligen Innovation in den verschiedenen Dimensionen nachhaltigen Wirtschaftens. Hierbei beziehen wir uns nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale Nachhaltigkeit.
Außerdem beraten wir gezielt zu unternehmerischen Entscheidungen, die einen langfristigen Einfluss auf eine Werteorientierung im Start-up haben, wie beispielsweise Verantwortungseigentum oder andere partizipative Rechtsformen.
Der Großteil unserer Ausgründungen wächst organisch und werteorientiert.
Und wie nehmen Gründungsinteressierte das Angebot an?
Die meisten Gründerinnen und Gründer kommen von vornherein mit einem sozialen und nachhaltigen Anliegen zu uns. Und auch die Entwicklung der letzten 20 Jahre zeigt: Der Großteil der Ausgründungen der Ruhr-Universität wächst organisch und werteorientiert, ist gesellschaftlich engagiert und bleibt in Bochum oder dem Ruhrgebiet. Dementsprechend wird das Angebot gut angenommen.
Im Jahr 2023 etwas zu gründen, das nicht nachhaltig ist, ist mehr als fahrlässig.
Welche Rolle spielen Start-ups für die nachhaltige Entwicklung?
Wir brauchen gerade jetzt die Agilität und Schnelligkeit von Gründerinnen und Gründern, um mit neuen technologischen Innovationen den gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu begegnen. Im Jahr 2023 etwas zu gründen, das nicht nachhaltig ist, ist mehr als fahrlässig. Unternehmerinnen und Unternehmer haben einen deutlich größeren Einfluss auf beispielsweise Produktionsketten, Materialiennutzung, Recycling und Arbeitsbedingungen als Einzelpersonen. Und wie Onkel Ben schon zu Spiderman sagte: Mit großer Macht kommt große Verantwortung.
Stehen nachhaltige Start-ups vor besonderen Herausforderungen?
Viele Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups sind bislang noch auf klassisches Unternehmertum ausgerichtet. Finanzielles Wachstum steht dabei im Vordergrund, während Gemeinwohlorientierung im besten Falle ein netter Nebeneffekt ist. Hier fordern nachhaltige Start-ups seit Jahren gegenüber Kapitalgeberinnen und Kapitalgebern sowie der Politik eine Veränderung. Ein anderes Problem ist das sogenannte „Green Washing“, das mit dem neuen Hype um Nachhaltigkeit stark zugenommen hat.
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