Astrochemie Kam das Leben aus dem All?

Kometeneinschläge stellen wir uns in der Regel als Bedrohung und nicht als Quell des Lebens vor. Aber vielleicht waren sie genau das.

Das Weltall. Ein unwirtlicher Ort. Bei Temperaturen von minus 263 Grad Celsius nahe dem absoluten Nullpunkt ist an Leben kaum zu denken. Selbst die Bewegungen der Moleküle verlangsamen sich oder kommen bei dieser Eiseskälte zum Erliegen. Hinzu kommt eine Strahlung von vermeintlich zerstörerischer Energie, die den interstellaren Raum durchdringt.

Bis zum Beginn der 1960er-Jahre ging man davon aus, dass dieser Raum leer sein müsste, frei von Molekülen, frei von chemischen Prozessen – denn gäbe es dort Moleküle, müssten sie von der Strahlung schlicht zerrissen werden. So die Vorstellung. Sie änderte sich radikal, als in den darauffolgenden Jahrzehnten erst Ammoniak und Wasser und dann weitere chemische Verbindungen im interstellaren Medium entdeckt wurden. Moleküle, die Bausteine für Leben sein könnten.

Chemie im Weltall

Forscher haben inzwischen rund 190 chemische Verbindungen im Weltall nachgewiesen. Aber es ist noch lange nicht klar, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen sie entstehen. Für diese Fragen interessiert sich das Team um Prof. Dr. Wolfram Sander vom RUB-Lehrstuhl für Organische Chemie II – obwohl das Kernthema der Gruppe eigentlich ein anderes ist. Als Teil des Exzellenzclusters „Ruhr Explores Solvation“, kurz Resolv, gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Frage nach, welche Rolle das umgebende Lösungsmittel für chemische Reaktionen spielt.

Aber Sanders Team pflegt auch einen intensiven Kontakt und regen Austausch mit Experten für Astrochemie in Marseille, Pasadena und auf Hawaii. Die Art der Forschung und die Methoden sind dabei ähnlich, egal ob es um Astro- oder um Lösungsmittelchemie geht.

Wolfram Sander forscht auf dem Gebiet der reaktiven Moleküle und versucht zu verstehen, wie chemische Reaktionen im Detail ablaufen. Immer wieder spielt an seinem Lehrstuhl auch die Astrochemie eine Rolle. © Damian Gorczany

„Reaktionsmechanismen sind unser zentrales Thema“, erzählt Sander. „Wir interessieren uns nicht nur für die Ausgangsstoffe und Produkte einer chemischen Reaktion, sondern wollen wissen, wie genau sich diese vollzieht, also zum Beispiel welche Zwischenprodukte es gibt und welche Bedingungen entscheidend sind.“ Die Arbeiten können letztendlich auch zu einem der großen wissenschaftlichen Themen unserer Zeit beitragen, nämlich: Wie entstand das Leben auf der Erde?

Der Ursprung des Lebens

Eine Theorie besagt, dass die Bausteine des Lebens nicht auf der Erde entstanden sind, sondern aus dem Weltall kamen. Aminosäuren, die Grundeinheiten der Proteine, gibt es nicht nur auf unserem Planeten. Auch in Kometen hat man sie gefunden. Möglicherweise haben Einschläge dieser Himmelskörper die Moleküle zur Erde gebracht, wo sie sich zu größeren chemischen Strukturen verbanden. Aber wie können sich komplexe Moleküle wie Aminosäuren unter den unwirtlichen Bedingungen im Weltall bilden? Das ist eines der Rätsel, das Astrochemiker umtreibt.

Im Labor, auch an der RUB, simulieren Forscher Bedingungen aus dem Weltraum, um nachzuvollziehen, welche chemischen Reaktionen dort stattfinden könnten. Temperatur, Strahlung, Vakuum oder Zusammensetzung des Mediums sind entscheidend.

So ahmen die Forscher Weltraumstrahlung im Labor nach: Eine Lichtquelle regt Wasserstoff an und erzeugt so sehr energiereiche Ultraviolett-Strahlung. © Damian Gorczany

Die Bedingungen sind aber nicht überall im All gleich. Für die Experimente macht es etwa einen großen Unterschied, ob man sich Reaktionen einzelner Moleküle in der Gasphase anschaut oder in kondensierter Phase, zum Beispiel auf Oberflächen von Festkörpern. „Die Gasphase ist schon relativ gut untersucht“, sagt Wolfram Sander. „Es ist ungleich komplizierter, chemische Reaktionen in kondensierter Phase, also in Flüssigkeiten, Festkörpern oder auf Oberflächen, nachzuvollziehen, da hierbei zahlreiche Moleküle miteinander wechselwirken.“ Komplexe chemische Prozesse in Flüssigkeiten werden beispielsweise im Exzellenzcluster Resolv analysiert.

Dreckige Eisbälle

Wer Theorien zum Ursprung des Lebens untersuchen möchte, muss sich aber mit Festkörpern auseinandersetzen. Kometen beispielsweise gehören zu den Orten im Weltraum, an denen komplexere Moleküle entstehen; sie haben einen festen Kern. Ihr Zentrum besteht aus Eis – dreckigem Eis, wie es in Fachkreisen heißt. Gemeint ist damit, dass es kein reines Wassereis beinhaltet. Neben den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff finden sich dort üblicherweise auch Stickstoff und Kohlenstoff. Prinzipiell sind somit alle Bausteine vorhanden, die es für eine Aminosäure braucht.

„Im Weltraum sehen wir häufig nur die Produkte einer chemischen Reaktion, aber nicht die Zwischenschritte“, erklärt Sander. „Wir versuchen auf der Erde nachzuvollziehen, auf welchem Weg die Produkte entstanden sind.“ Er selbst, so sagt er, sei aber kein Astrochemiker. Das Thema komme durch die guten Kooperationen zu ihm an den Lehrstuhl. Sanders Labor in Bochum ist unter anderem auf verschiedene spektroskopische Techniken spezialisiert und deshalb für Astrochemiker eine interessante Anlaufstelle. Als einer von wenigen Standorten weltweit besitzt die RUB ein speziell aufgebautes Elektronenspinresonanz-Spektrometer, das Weltraumbedingungen simulieren kann. Mit diesem Gerät lassen sich reaktionsfreudige Zwischenprodukte, sogenannte Radikale, in künstlichem Kometeneis erzeugen und nachweisen.

Wenn wir uns Reaktionen im Eis anschauen, passiert alles Mögliche.


Teddy Butscher

Anfang 2017 war Teddy Butscher von der Universität Marseille zu Gast. Er interessiert sich dafür, wie einfache Moleküle – etwa Wasser oder Formaldehyd – in Eiskörnchen zu komplizierten organischen Molekülen wie Glycoaldehyd werden, aus denen sich wiederum größere Zuckermoleküle formen könnten. Den Reaktionsmechanismus vollzog er im Labor im Detail nach. Als Zwischenprodukte entstanden Radikale.

Begegnen sich zwei Radikale in einer gasförmigen Umgebung, gehen sie in der Regel direkt eine Bindung miteinander ein. „Wenn wir uns die Reaktionen im Eis anschauen, passiert aber alles Mögliche“, fasst Teddy Butscher seine Ergebnisse zusammen. Die Radikale reagieren nicht sofort weiter, sondern können im Eis gespeichert werden. Steigt die Temperatur dann etwas an, werden sie frei und reagieren zu verschiedenen Zwischen- und Endprodukten.

Teddy Butscher bereitet ein Experiment mit der Elektronenspinresonanz-Spektroskopie vor. Mit ihr kann er Radikale, die während einer chemischen Reaktion entstehen, direkt nachweisen. © Damian Gorczany

Genauso wie Forscher der kooperierenden Einrichtungen die RUB besuchen, reisen die Bochumer Wissenschaftler für Forschungsaufenthalte zu ihren internationalen Partnern. RUB-Doktorand Yetsedaw Tsegaw besuchte im Rahmen seiner Promotion die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ralf Kaiser am „WM Keck Research Laboratory in Astrochemistry“ auf Hawaii. Dort führte er zwei Monate lang Messungen durch, die er anschließend in Bochum auswertete – das dauerte ein Jahr.

Seine Arbeit dreht sich um das kleine Molekül Hydroxylamin, als chemische Formel ausgedrückt: NH2–OH. Es besteht aus gerade einmal fünf Atomen: einem Stickstoff, einem Sauerstoff und drei Wasserstoffen. Diese Elemente sind typischerweise im Kometeneis vertreten. Aber auch in Form von Hydroxylamin? Das Molekül wäre eine denkbare Vorstufe für die Entstehung von Aminosäuren. Würde man es finden, hätte man einen weiteren Schritt getan, um das Rätsel um die Entstehung komplexer organischer Moleküle im All zu lösen. Der Knackpunkt: Bislang wurde Hydroxylamin nicht im Weltraum nachgewiesen.

Kometeneis im Labor

Yetsedaw Tsegaw wollte herausfinden, ob es die Bedingungen im Kometeneis überhaupt zulassen, dass sich diese chemische Verbindung bildet. Er stellte den Zustand im Kometeneis im Labor nach, brachte in dieser Umgebung Ammoniak (NH3) und Sauerstoff (O2) zusammen und behandelte die Mischung mit hochenergetischer Strahlung, wie sie auch im Weltall vorkommt. Mit einer besonderen Form der Infrarot-Spektroskopie beobachtete er die auftretenden Reaktionen.

Die Methode liefert eine Art Fingerabdruck der chemischen Probe: Über Infrarotlicht werden die Moleküle zum Schwingen angeregt; verschiedene chemische Verbindungen schwingen auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Frequenz. Die Forscher detektieren diese charakteristischen Schwingungen und visualisieren sie in Form eines Spektrums. Durch Vergleich mit einem Referenzspektrum können sie die beobachteten Schwingungen bestimmten Molekülen zuordnen.

Ein Spektrum zu interpretieren kann mühsame Arbeit sein. Jeder Peak muss anhand von Referenzdaten einer chemischen Verbindung zugeordnet werden. © Damian Gorczany

Allerdings konnte Yetsedaw Tsegaw Hydroxylamin auf diese Weise nicht direkt in seiner Probe ausfindig machen. Denn die Schwingungen anderer chemischer Verbindungen überlagerten die Schwingungen von Hydroxylamin. Erst als er die Probe Schritt für Schritt erwärmte und sich die störenden Substanzen verflüchtigten, konnte er Hydroxylamin nachweisen. Und somit war klar: Theoretisch könnte sich das Molekül in Kometeneis bilden. Aber warum konnte dann bislang niemand diese Substanz im All aufspüren?

Wir werden niemals beweisen können, ob das Leben durch Kometen auf die Erde kam.


Wolfram Sander

„Ich denke, dass man bislang nicht mit den richtigen Methoden danach gesucht hat“, sagt Tsegaw. Denn wie sein Experiment zeigte, ist Hydroxylamin mit der Infrarot-Spektroskopie nur mit chemischen und mathematischen Tricks zu detektieren – und die können nicht vor Ort bei Weltraumanalysen angewandt werden. Andere spektroskopische Techniken hält er für erfolgversprechender. Wenn sie belegen würden, dass Hydroxylamin tatsächlich in Kometeneis vorkommt, wären die Astrochemiker der Frage nach dem Ursprung des Lebens wieder einen Schritt näher.

„Allerdings werden wir niemals beweisen können, ob das Leben durch Kometen auf die Erde kam“, vermutet Wolfram Sander. „Wir können plausible Mechanismen ersinnen und daraus Modelle entwickeln, aber letztendlich beweisen können wir die Modelle nicht.“ Denn dafür, erklärt der Chemiker, müsste man den Prozess reproduzieren. „Die Entstehung des Lebens hat sich aber auf einer Zeitskala abgespielt, die wir nicht nachstellen können. Auch wenn unsere Forschung von fundamentaler Bedeutung ist, wird sie auf diese Frage keine definitive Antwort geben können.“

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Unveröffentlicht

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 2. Mai 2017 in Rubin 1/2017 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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