Astrophysik Botschafter von den extremen Orten des Universums
Die kosmische Strahlung entsteht unter den heftigsten Bedingungen, die das All zu bieten hat. Noch wissen Forscher sehr wenig über sie. Eine neue Teleskopanlage soll das ändern.
Unaufhörlich prasseln hochenergetische Teilchen aus dem All auf die Erde ein. Diese kosmische Strahlung entsteht bei gewaltigen Energieausbrüchen im Universum, wo Teilchen beschleunigt und durch das Weltall geschleudert werden. Sie transportieren Botschaften von den extremen Orten des Universums. Und obwohl sie allgegenwärtig sind, wissen Forscher bislang wenig über sie.
Wo entsteht die hochenergetische kosmische Strahlung? Was können wir von ihr über ihre Quellen lernen? Diesen und anderen Fragen widmet sich ein Forschungskonsortium mit über 1.000 Mitgliedern. Sie begleiten den Bau einer neuen Teleskopanlage, die auf La Palma und in Chile entstehen soll: das Cherenkov Telescope Array, kurz CTA.
Zu dem Konsortium gehören auch die Teams um Prof. Dr. Julia Tjus von der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Dr. Wolfgang Rhode von der Technischen Universität Dortmund. Die beiden Gruppen kooperieren im Ruhr Astroparticle and Plasma Physics Center und tragen zu den Vorarbeiten zum Bau der CTA-Teleskope bei. Diese sollen hochenergetische Gammastrahlung aus dem All auffangen.
Zehn Billionen Mal energiereicher
Gammateilchen sind nichts anderes als Photonen, also Lichtteilchen. Ihre Energie ist aber zehn Billionen Mal größer als die von sichtbarem Licht. Wenn die Gammateilchen in der Erdatmosphäre wechselwirken, entsteht dabei ein sehr schwacher Lichtblitz, der gerade einmal eine Milliardstel Sekunde anhält und mit bloßem Auge nicht zu sehen ist. Dafür braucht es spezielle Detektoren – so wie das CTA sie haben wird.
Das Array soll über 100 Teleskope auf der Nord- und Südhalbkugel umfassen, die die besonders hochenergetischen Gammateilchen wesentlich genauer als alle bisherigen Teleskope erfassen sollen. Von diesen erhoffen sich die Forscherinnen und Forscher unter anderem Einblicke in die Quellen der kosmischen Strahlung.
Da Gammateilchen, anders als andere Bestandteile der kosmischen Strahlung, nicht geladen sind, werden sie auf ihrer Reise durch das All nicht von Magnetfeldern abgelenkt. Sie fliegen also mehr oder weniger auf einer geraden Bahn durchs Universum. Forscher können die Richtung bestimmen, aus der sie gekommen sind, und somit auch Einblicke in ihre Quellen gewinnen. Verschiedene Phänomene kommen als Absender der kosmischen Strahlung infrage, zum Beispiel Schwarze Löcher oder die Überreste von Sternenexplosionen. Das CTA-Team will aber nicht nur herausfinden, wo die besonders hochenergetischen Teilchen herkommen, sondern auch mehr über die physikalischen Vorgänge in den Quellen lernen.
Vorarbeiten laufen seit zehn Jahren
Damit die CTA-Teleskope ihre Arbeit möglichst effizient werden verrichten können, leistet das Konsortium seit mehr als zehn Jahren Vorarbeiten für den Bau der Anlage. Wenn alles nach Plan läuft, können ab Sommer 2018 die ersten Teleskope errichtet werden. Im Betrieb werden sie riesige Datenmengen aufzeichnen, die teilweise noch vor Ort ausgewertet werden. An den Algorithmen für diese Realtime-Analyse arbeiten die Bochumer und Dortmunder Teams.
Die Analyse wird CTA ermöglichen, mit anderen Observatorien effizient zusammenzuarbeiten. Teleskope an verschiedenen Standorten weltweit sind auf Teilchen mit unterschiedlichen Energien spezialisiert und können so über dieselbe Quelle unterschiedliche Informationen zusammentragen. Dazu tauschen sich die Observatorien untereinander aus, wann und wo etwas Interessantes zu beobachten ist.
„Gammaquellen können ihr Verhalten plötzlich und unerwartet ändern“, weiß Dr. Lenka Tomankova, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bochumer Lehrstuhl Plasma-Astroteilchenphysik. Das kann innerhalb von Sekunden oder Minuten passieren. Um solche Veränderungen nicht zu verpassen, will das CTA-Team die aufgezeichneten Daten kontinuierlich in Echtzeit auswerten. „Natürlich nicht super präzise, sondern erst einmal möglichst schnell“, erklärt Tomankova. „Wenn wir feststellen, dass etwas Interessantes passiert, alarmieren wir andere Observatorien.“
Da CTA über eine etwa zehnmal höhere Sensitivität als die bisherigen Observatorien verfügen wird, wird es nicht nur einzigartig detaillierte Beobachtungen von bereits bekannten Quellen liefern, sondern auch neue Quellen orten können. „Es könnte sein, dass wir unsere Teleskope auf eine bekannte Gammaquelle gerichtet haben, durch die Realtime-Analyse aber auffällt, dass in unserem Blickfeld noch etwas anderes Spannendes passiert“, erzählt Tomankova. „Zum Beispiel, dass wir eine neue Quelle entdeckt haben oder ein Objekt im Flare-Zustand, also einen kurzfristigen massiven Energieausbruch, beobachten.“
In die Algorithmen, die Lenka Tomankova dafür entwickelt, fließt die jahrelange Erfahrung der Bochumer Astroteilchenphysiker bei der Modellierung von Gammaquellen ein – ein Spezialgebiet von Julia Tjus, das sie zusammen mit dem Bochumer Physiker Prof. Dr. Reinhard Schlickeiser bearbeitet hat. Für die Modelle entwickelten sie analytische und numerische Lösungen mathematischer Gleichungen, die die Bewegung der beschleunigten Teilchen von ihrem Entstehungsort durch die kosmischen Magnetfelder beschreiben. Indem man solche Modelle in die Realtime-Analyse einbezieht, kann man aus den gemessenen Signalen erste Rückschlüsse über die möglicherweise dahinter steckende Quelle ziehen und Änderungen in ihrem Verhalten gezielt identifizieren.
Die Arbeit der Dortmunder Projektpartner setzt noch einen Schritt vor der Bochumer Analyse an, nämlich auf dem Hardwarelevel und im Datenstrom selbst. Im Team von Wolfgang Rhode entwickelt Dr. Dominik Elsässer effiziente Algorithmen für die ressourcenschonende Datenauswertung.
„Die Teleskope auf La Palma stehen 2.500 Meter über dem Meer“, erklärt er. „Dahin kann man keine dicken Stromkabel verlegen, und wir haben nur begrenzte Kühlmöglichkeiten.“ Deshalb darf der CTA-Betrieb nicht zu viel Energie verschlingen. Schon früh im Messprozess wollen die Forscher daher entscheiden, welche Daten relevant sind und welche sie aussortieren können. In Kooperation mit den Dortmunder Informatikern entwickeln die Astroteilchenphysiker intelligente Algorithmen, welche die Datenflut in Schach halten sollen.
Wenn ich wetten müsste, was der Ursprung der extrem hochenergetischen Strahlung ist, würde ich sagen, es sind die aktiven Galaxienkerne.
Dominik Elsässer
Das Team um Lehrstuhlleiter Wolfgang Rhode beschäftigt sich schon lange mit der Astronomie der Gammaquellen, hat zum Beispiel bei der Entwicklung neuartiger Detektoren mitgewirkt und ist am Vorläuferteleskop MAGIC auf La Palma beteiligt. Außerdem machen die Dortmunder und Bochumer Gruppen beim „Ice Cube“-Projekt in der Antarktis mit, wo ein riesiger ins Eis eingelassener Detektor ebenfalls nach den Quellen der kosmischen Strahlung sucht.
„Wir konnten die potenziellen Quellen in den vergangenen Jahren schon eingrenzen“, sagt Dominik Elsässer. „Wenn ich wetten müsste, was der Ursprung der extrem hochenergetischen Strahlung ist, würde ich sagen, es sind die aktiven Galaxienkerne.“ Dabei handelt es sich um supermassereiche Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien, die Materie verschlingen und dabei große Mengen Strahlung aussenden. Auch Supernovaüberreste, also die Überbleibsel von Sternenexplosionen, scheinen Quellen der kosmischen Strahlung zu sein, aber sie können laut theoretischer Überlegungen nicht annähernd so hohe Energien erreichen wie die aktiven Galaxienkerne.
Das Cherenkov Telescope Array soll Gewissheit in das Rätsel zum Ursprung der kosmischen Strahlung bringen – und neue Einblicke in das hochenergetische Universum ermöglichen.