Radar Das Unsichtbare sichtbar machen

Ingenieure aus Bochum und Duisburg-Essen arbeiten an einer Technik, die man teils nur aus Filmen kennt.

Es klingt nach Science-Fiction, was die Forscherinnen und Forscher des neuen Sonderforschungsbereichs mit dem Kurztitel „Marie“ vorhaben: Sie wollen eine fliegende Plattform entwickeln, die selbstständig eine dreidimensionale Repräsentation des umgebenden Raums erzeugen kann. Film-Liebhabern könnte diese Technik aus dem Streifen „Prometheus“ bekannt vorkommen, in dem Roboterkugeln durch Höhlengänge flitzen, autonom die Umgebung scannen und die Daten in Echtzeit an ein Raumschiff übertragen, wo sie als 3D-Karte angezeigt werden.

In Wirklichkeit soll das Ganze mittels Radar und Laser funktionieren. Nützlich könnte die Technik zum Beispiel sein, um bei einem Brand herauszufinden, was die Feuerwehrleute hinter den Rauchwolken im Gebäude erwartet. Das System soll nicht nur erkennen, wo in dem Raum etwas ist, sondern auch was es ist – zum Beispiel eine brennende Kiste oder ein Mensch, der am Boden liegt. „Das ist zumindest unsere Vision“, sagt Prof. Dr. Ilona Rolfes von der Ruhr-Universität Bochum, die Co-Sprecherin des Sonderforschungsbereich-Transregios (SFB/TRR) 196 ist. „Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“

Ein Verfahren, zwei Anwendungen

Damit das Unterfangen gelingen kann, müssen mehrere klassischerweise getrennte Bereiche der Hochfrequenztechnik zusammengeführt werden: die Materialcharakterisierung, die Radar-Bildgebung und die Radar-Ortung. Daran arbeitet das Team im 2017 angelaufenen Sonderforschungsbereich „Marie“, kurz für „Mobile Materialcharakterisierung und -ortung durch elektromagnetische Abtastung“. Die Bochumer Ingenieure kooperieren für das Vorhaben mit Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen um SFB-Sprecher Prof. Dr. Thomas Kaiser.

So funktioniert die Technik

Prinzipiell taugt das gleiche Messverfahren für die Materialcharakterisierung und die Ortung. Nur wird es derzeit noch nicht gleichzeitig für beides eingesetzt. Das Prinzip: Ein Radar strahlt elektromagnetische Wellen ab, die an Objekten reflektiert werden. Ein Empfänger nimmt die zurückkommenden Wellen auf. Die Radarquelle sendet aber nicht die ganze Zeit das gleiche Signal. Stattdessen erhöht sich die Frequenz der ausgesandten Wellen kontinuierlich über einen gewissen Zeitraum, zum Beispiel von 200 auf 250 Gigahertz in einigen Millisekunden.

Dr. Jan Barowski vom Bochumer Lehrstuhl für Hochfrequenzsysteme erklärt: „Das vom Messobjekt reflektierte Signal hat eine bestimmte Laufzeit. Es dauert also etwas, bis die ersten Wellen mit 200 Gigahertz auf ein Objekt treffen und von diesem zurückgeworfen werden.“ Wenn das 200-Gigahertz-Signal gerade vom Objekt zurückgeworfen wird und beim Empfänger ankommt, beträgt die Frequenz der Quelle inzwischen zehn Kilohertz mehr. Denn sie erhöht die Sendefrequenz kontinuierlich.

Im Bild gut sichtbar ist die grüne Radarantenne, die Signale abstrahlt und zurückkommende Signale auffängt. © Roberto Schirdewahn

Je weiter ein Objekt entfernt ist, desto länger brauchen die Wellen, um zum Objekt und dann zurück zum Empfänger zu gelangen. Je länger sie brauchen, desto größer ist die Differenz in der Frequenz des reflektierten Signals und des Signals, das die Quelle inzwischen aussendet. Aus der Differenz zwischen der Frequenz von ausgesandtem und zurückkommendem Signal können die Forscher daher auf die Entfernung des Objekts von der Quelle schließen. Eine große Frequenzdifferenz bedeutet also, dass die Signale lange zum Objekt und zurück gebraucht haben und somit weit entfernt sein müssen.

Materialbestimmung mittels Radar

In den zurückkommenden Wellen steckt aber noch mehr Information. Die Stärke des reflektierten Signals hängt nämlich davon ab, wie groß ein Objekt ist, wie es geformt ist und aus welchem Material es besteht. Bestimmte Materialien reflektieren nämlich stärker als andere. Luft lässt elektromagnetische Wellen zum Beispiel vollständig durch. Auch Materialien mit vielen Lufteinschlüssen wie Styropor werfen kaum Strahlung zurück. Metall hingegen reflektiert sehr stark.

Eine Materialkonstante, die sogenannte relative Permittivität, beschreibt, wie durchlässig eine Substanz für elektromagnetische Wellen ist; sie hängt von der Frequenz des eingestrahlten Signals ab. Aus der Stärke der reflektierten Signale bei unterschiedlichen Frequenzen können die Forscher daher auf die relative Permittivität schließen, und die wiederum verrät, um welches Material es sich handeln könnte.

Messfehler tilgen

„Der Knackpunkt ist, dass kein Messsystem ideal ist. Es entstehen Fehler bei der Messung, die wir korrigieren müssen“, sagt Jan Barowski. Ein Beispiel für eine von vielen Fehlerquellen: Auf der Strecke zwischen Radargerät und Objekt geht Signalleistung verloren – das muss bei der Analyse berücksichtigt werden. In seiner Doktorarbeit entwickelte Barowski Algorithmen, um diese Signalverluste zu kompensieren und Fehler aus internen Quellen des Messsystems systematisch zu korrigieren.

Am Ende des Prozesses soll die „Marie“-Methode ein Bild des Raumes erzeugen, das auch Informationen über die Verteilung der Materialien enthält. Die Forscher müssen also die Materialcharakterisierung mit der Radar-Bildgebung kombinieren. Die Herausforderung: „Bislang wird die Materialcharakterisierung nur an definierten Stellen durchgeführt, wie wenn man mit einer Nadel auf ein Objekt sticht“, so Barowski.

Die Daten sind etwa so wie von einer Kamera, der die Linse zum Fokussieren fehlt.


Jan Barowski

Ein Radarsignal in ein aussagekräftiges Bild umzuwandeln erfordert hohen Rechenaufwand. „Die Daten, die wir aufzeichnen, sind etwa so wie von einer Kamera, der die Linse zum Fokussieren fehlt“, vergleicht Barowski. Eigentlich punktförmige Objekte erscheinen in den Rohdaten zunächst in Bananen- oder Kreisform. Die Fokussierung erfolgt nachträglich durch die Signalverarbeitung im Rechner. Auch dafür hat der Ingenieur Algorithmen konzipiert, die in Echtzeit Fehler aus den Bildern herausrechnen.

Ein Radarbild vor der Korrektur der Systemfehler kommt zunächst unscharf daher. © Lehrstuhl für Hochfrequenzsysteme, Jan Barowski

Nach der Korrektur mithilfe von Barowskis Algorithmen sind die Strukturen im Radarbild klar zu erkennen. © Lehrstuhl für Hochfrequenzsysteme, Jan Barowski

„Als ich angefangen habe, hat eine solche Korrektur noch zehn Stunden gedauert“, erinnert er sich. Heute läuft die Auswertung über eine Laptop-Grafikkarte in Echtzeit. „Die Rechenarchitektur einer Grafikkarte ist perfekt geeignet für unsere Zwecke“, erklärt Barowski.

Durch die Platte schauen

Im Labor an der RUB kann man diese Technik schon in Aktion erleben und mittels Radarblick durch eine Rigipsplatte hindurchschauen. Zwei Radargeräte sind auf einer beweglichen Schiene montiert. Das eine misst die Position des Systems zu einem festen Bezugspunkt im Raum, das andere durchleuchtet den Bereich unter der Rigipsplatte und kann dort versteckte Objekte sichtbar machen. Fahren die Radargeräte an der Platte entlang, wird auf einem Laptop in Echtzeit ein Bild der darunterliegenden Objekte sichtbar.

Nicht nur die Algorithmen für die Signalverarbeitung stammen dabei aus dem eigenen Haus, sondern auch die Radargeräte. Erforscht werden die Radarsysteme für „Marie“ unter anderem an der RUB von Prof. Dr. Nils Pohl und Prof. Dr. Thomas Musch in enger Kooperation mit Dr. Werner Prost von der Universität Duisburg-Essen.

Jan Barowski zieht ein Zwischenfazit: „Wir können mit unserem jetzigen System schon ganz gut erkennen, wo ein Objekt ist – und auch, dass es aus einem anderen Material bestehen muss als zum Beispiel der Untergrund, auf dem es liegt“, sagt er. „Der nächste Schritt ist zu erkennen, was das Objekt ist.“ Die Permittivität von Kunststoffen können die Ingenieure bereits gut bestimmen. „Aber noch können wir nicht sagen, es ist dieser oder jener Kunststoff, da die Werte teilweise nah beieinander liegen“, so der Forscher weiter.

Schritt für Schritt zur Realität

Nun will das SFB-Team sich Schritt für Schritt vom idealen System im Labor entfernen und an die Realität annähern, in der das Radarsystem zum Beispiel nicht vorab den Abstand zum Messobjekt kennen würde oder auch nicht wüsste, aus welchem Winkel es das Objekt betrachtet. Schließlich soll am Ende des Projekts eine mobile Plattform vorliegen.

Ein solches Flugsystem könnte seine Lage im Raum millimetergenau bestimmen, zum Beispiel über das RFID-Verfahren (radio-frequency identification), das eine kontaktlose Positionsbestimmung mittels elektromagnetischer Wellen ermöglicht. An dieser Technik arbeiten die Projektpartner aus Duisburg-Essen bereits, in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme in Duisburg sowie der Technischen Universität Darmstadt.

Noch höhere Frequenzen

Des Weiteren werden in Kooperation mit Prof. Dr. Ulrich Pfeiffer von der Bergischen Universität Wuppertal elektronische Signalquellen erforscht, die besonders hohe Frequenzen erzeugen können – mit bis zu 1,5 Terahertz will das Team in der ersten Phase des SFB/TRR experimentieren.

Parallel zu den elektronischen Quellen entwickeln die Wissenschaftler auch photonische, also auf Lasern basierende, Messsysteme. In Bochum arbeiten daran Prof. Dr. Martin Hofmann und Dr. Carsten Brenner, in Duisburg Prof. Dr. Andreas Stöhr. Die unterschiedlichen Ansätze – elektronisch und photonisch – sollen es ermöglichen, den Frequenzbereich in den späteren Projektphasen auf bis zu vier Terahertz zu erweitern. Unterschiedliche Frequenzen liefern dabei unterschiedliche Informationen über die untersuchten Objekte.

An der Universität Duisburg-Essen können im Labor Brände erzeugt werden. © Roberto Schirdewahn

In Duisburg baut das Team von Thomas Kaiser ein Testlabor auf, in dem die Messsysteme auf großen Roboterarmen frei durch den Raum bewegt werden können. „Dort können wir dann verschiedene Szenarien aufbauen und gezielt Störeinflüsse erzeugen, um unsere Systeme unter realistischen Bedingungen zu testen“, erklärt Ilona Rolfes. Ein Brandlabor, in dem Rauch und Flammen erzeugt werden können, gibt es bei den Projektpartnern Prof. Dr. Ingolf Willms und Dr. Thorsten Schultze bereits.

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Veröffentlicht

Dienstag
17. Oktober 2017
09:24 Uhr

Von

Julia Weiler

Dieser Artikel ist am 2. November 2017 in Rubin 2/2017 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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