Geografie Inspiriert von Super Mario und Co.
Was die Kartografie von der Spieleindustrie lernen kann.
Millionen Kinder und Erwachsene haben es in den 1990er-Jahren gespielt: Super Mario World. Hochspringen, laufen, Kämpfe ausfechten, Hilfsmittel finden, Levels durchlaufen, das alles absolvierten die Spielerinnen und Spieler in einer virtuellen Welt, in der sie sich intuitiv oder durch kurze einleitende Sequenzen zurechtfanden. Dass diese ganze Welt auf einer zweidimensionalen Karte basierte, fiel kaum auf, weil erste Tricks Tiefe vortäuschten.
Die Forschung entdeckt animierte Karten später
Erst Jahre später entdeckte die Forschung das Thema animierte Karten und ihr Potenzial für sich. „Weil in der Spieleindustrie viel Geld steckt, haben die Hersteller Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren, die wir in der Wissenschaft nicht haben“, erklärt Dr. Dennis Edler von der Arbeitsgruppe Geomatik am Institut für Geographie der Ruhr-Universität. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen Computerspielen und moderner Kartografie und analysiert, welche Kniffe sich die Spielehersteller einfallen lassen, um verschiedene Probleme zu lösen oder unterschiedliche Dinge darzustellen. Immer mit dem Hintergedanken, was sich davon nutzen lässt, um andere Anwendungen zu verbessern. Dazu gehören zum Beispiel Geoinformationssysteme oder Karten für Fluglotsen.
Zurück in die Super Mario World: Schon diese virtuelle Welt hatte das Problem, dass Inhalte der zugrunde liegenden Karte bei Bewegung der Figur an den Rändern aus dem Blickfeld des Spielers verschwanden. Was, wenn hier wichtige Informationen enthalten sind, die der Spieler sich beim ersten Anschauen nicht gemerkt hat? Die Macher von Super Mario World lösten das Problem, indem sie es dem Spieler ermöglichten, sich frei zu bewegen und Gebiete der Karte auch mehrmals zu besuchen.
Überfrachtung vermeiden
Was, wenn zu viele Details den Nutzer überfrachten, und er oder sie gar nicht mehr weiß, wohin zuerst schauen? Die Lösung: Akustische Signale wie ein kurzes Piepen ertönen beim Erscheinen bedeutender Punkte wie etwa einer Wegkreuzung. Ein einfaches Farbschema und übersichtliche Inhalte helfen dabei, den Überblick zu behalten.
Vertrauen in die – Anfang der 1990er-Jahre noch ungewohnte – animierte Karte entsteht dadurch, dass der Nutzer zu Beginn des Spiels eine kurze Einführung durchläuft, die die Möglichkeiten der Interaktion transparent macht.
„Auch um die zweidimensionale Darstellung plastisch und lebendig wirken zu lassen, ließen sich die Spieleentwickler etwas einfallen“, so Edler. „Super Mario bewegt sich zum Beispiel im Vordergrund schneller als die Wolken im Hintergrund.“ Dadurch entsteht ein Eindruck von Tiefe. Eine weitere Neuerung war die zeilenweise Veränderung von Position und Größe dargestellter Gegenstände, die ebenfalls zu einem Tiefeneffekt führt.
Die Rennstrecke im Überblick
Spätere Spiele fügten immer neue Tricks hinzu. Um dem Nutzer von Computer-Fußballspielen zum Beispiel einen Überblick über das gesamte Spielfeld zu gewähren, während er hauptsächlich die Perspektive seines Protagonisten einnahm, wurde eine kleine Gesamtübersicht am Rand des Monitors eingeblendet. „Wenn der Torwart einen Ball gehalten hat und ihn wieder ins Spiel bringen soll, kann er sonst ja gar nicht wissen, wo welcher Spieler steht“, erläutert Dennis Edler. Eine ähnliche Gesamtübersicht findet sich bei Autorennspielen, in denen die Spieler die subjektive Sicht des jeweiligen Fahrers teilen, zeitgleich aber die ganze Rennstrecke am Rand des Monitors eingeblendet bekommen.
Bei Karten für Fluglotsen oder auch Hilfsdienste in Katastrophengebieten könnte das sinnvoll sein.
Dennis Edler
Einem anderen Problem sahen sich die Programmierer von Echtzeit-Strategiespielen gegenüber, in denen die Spieler eine Landschaft zunächst erkunden müssen. Hier würde durch eine Gesamtübersicht einer Karte zu viel Information vorweg gegeben. „Die noch nicht erkundeten Gebiete lassen die Macher deswegen in einem sogenannten fog of war, einer Nebelwand, verschwinden“, so Dennis Edler. Übertragen auf Systeme für das wirkliche Leben sieht er diese Technik als nützlich an, um die Sicht des Kartennutzers auf das Wesentliche zu beschränken. „Bei Karten für Fluglotsen oder auch Hilfsdienste in Katastrophengebieten könnte das sinnvoll sein.“
Um auszutesten, welche Anwendungen der Spieleindustrie für die Kartografie nutzbringend sein könnten, nahm sich das Team der Arbeitsgruppe Geomatik die Technik hinter den Egoshooter-Spielen vor, die sogenannten Engines. Diesen Code stellten die verantwortlichen Unternehmen der Entwicklerszene zur Verfügung. Auf dieser Basis programmierten die Forscher ihr Gebäude NA auf dem RUB-Campus, sodass man sich darin nun mit einer Virtual-Reality-Brille bewegen kann.
Enorme Rechenleistung ist nötig
„Ausgeweitet auf den gesamten Campus wäre das in Zukunft vielleicht eine gute Sache für Leute, die die RUB zum ersten Mal besuchen wollen und sich vorab orientieren könnten“, meint Prof. Dr. Frank Dickmann, Leiter der Arbeitsgruppe. „Die Architektur des Campus, bei der sich alle Gebäude mehr oder weniger ähnlich sind, macht es verhältnismäßig einfach, ausgehend von einem Gebäude auch die anderen darzustellen.“ Noch steht einer breiteren Nutzung allerdings die enorme Rechenleistung im Wege, die die Darstellung eines Spaziergangs in einer dreidimensionalen virtuellen Welt erfordert.
Um herauszufinden, welche Animation welchen Einfluss auf die räumliche Orientierung hat, planen die Forscher im nächsten Schritt Nutzerstudien. Dabei geht es darum, was eher unterstützend wirkt und was eher ablenkt oder stört. In einer Vorstudie testeten sie schon die Wirkung von plastisch hervorgehobenen Straßen mithilfe von 3D-Monitoren. „Es hat sich gezeigt, dass Nutzer sich in Karten besser orientieren konnten, wenn die Straßen hervorgehoben sind, weil die Karte dann stärker strukturiert wirkt“, erklärt Frank Dickmann. Auch die redundante Kodierung von Informationen ist hilfreich, zum Beispiel die Darbietung von Ortsnamen in Textform und zusätzlich gesprochen als Hörinformation.
„Der Blick auf Computerspiele deckt für uns immer neue Techniken auf, deren Nutzen für Anwendungen in der Kartografie wir dann wissenschaftlich überprüfen können“, fasst Dennis Edler zusammen.