Familien mit Kindern erreichen nur selten den Wohlstand von Paaren ohne Kind. © Fotolia, JackF

Familien Soziale Ungleichheit in Deutschland größer als gedacht

Bisherige Messmethoden habe die Schere zwischen Arm und Reich drastisch unterschätzt.

Die soziale Ungleichheit in Deutschland ist größer als bislang angenommen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Bochumer Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler um Prof. Dr. Notburga Ott und Prof. Dr. Martin Werding, die die Bertelsmann-Stiftung beauftragt hatte. Das Team entwickelte eine neue Methode, um das Wohlstandsniveau von Haushalten zu messen. Die frühere Methode hatte arme Haushalte systematisch reicher gerechnet, reiche hingegen systematisch ärmer.

Haushalte vergleichbar machen

Um Haushalte unterschiedlicher Struktur und Größe miteinander vergleichen zu können, verwenden Wissenschaftler in der Verteilungs- und Armutsforschung sogenannte Äquivalenzgewichte für die Familienmitglieder. Auf diese Weise berücksichtigen sie, dass man durch das Zusammenleben viel einsparen kann, etwa weil ein Vierpersonenhaushalt keine vier Waschmaschinen und keine vier Badezimmer benötigt.

Äquivalenzgewichte geben an, wie stark ein zusätzliches Familienmitglied einen Haushalt finanziell belastet. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verwendet für die Äquivalenzgewichte eine recht einfache Skala, die mittlerweile zu einem Quasi-Standard geworden ist, der zum Beispiel auch in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung des Bundes genutzt wird.

Unrealistische Schätzung

Die OECD-Methode bestimmt die Äquivalenzgewichte unabhängig vom Einkommen eines Haushalts. Aber: In einer Familie mit knappem Einkommen fällt jedes weitere Familienmitglied stärker ins Gewicht als bei Familien mit hohem Einkommen. Ärmere Familien leben beispielsweise häufig in kleineren Wohnungen als wohlhabendere Familien und müssen bei Geburt eines weiteren Kindes häufiger in eine größere Wohnung umziehen.

In Bochum entwickelten die Sozialwissenschaftler nun eine Methode zur empirischen Ermittlung der Äquivalenzgewichte, die diese Effekte mit einbezieht und einen realistischeren Blick auf die Wohlstandssituation in Familien erlaubt.

Lage von Alleinerziehenden besonders prekär

Ihre Analyse der vergangenen 25 Jahre ergab, dass in Deutschland lebende Paare mit einem Kind oder mehreren Kindern überwiegend einen niedrigeren Wohlstand hatten als Paare ohne Kind. 13 Prozent der Paare mit einem Kind sind nach der neuen Berechnung aktuell armutsgefährdet, bei Paaren mit zwei Kindern sind es 16 Prozent, mit drei Kindern 18 Prozent.

Gerade für Alleinerziehende ergibt die neue Methode drastisch andere Werte als die OECD-Skala: Liegt das Armutsrisiko für Alleinerziehende nach der OECD-Methode derzeit bei 46 Prozent, sind es nach der Bochumer Berechnung 68 Prozent.

Seit den 1990er-Jahren ist es nur jenen Familien gelungen, ihre Einkommenssituation zu halten oder zu verbessern, die mehr arbeiten gehen konnten – in der Regel durch eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen. Entscheidend hierfür war der Ausbau der Kindertagesbetreuung, während Erhöhungen des Kindergeldes die Einkommenssituation von Familien nicht nachhaltig verbessert haben. Alleinerziehende können in der Regel nicht einfach mehr arbeiten gehen, weil sie die Zeit benötigen, um die Kinder zu betreuen.

Die Politik ist gefragt

„Die Politik sollte mehr Gewicht auf die Bekämpfung von Armut und Armutsrisiken von Familien legen“, folgern die Autorinnen und Autoren aus der Fakultät für Sozialwissenschaft der RUB. „Das gilt in ganz besonderem Maße für Ein-Eltern-Familien, bei denen die Messung von Armutsrisiken nach bisher gängigen Standards zu den größten Verzerrungen führt.“

Veröffentlicht

Mittwoch
07. Februar 2018
09:19 Uhr

Von

Julia Weiler

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