Interview Ökonomie und Verantwortung
Franziska Hoffart und Florian Lewalder promovieren am Lehrstuhl für Makroökonomik. Bei Forschung und Lehre blicken sie über den Tellerrand hinaus.
Frau Hoffart, Sie beschäftigen sich mit der Frage, welche Verantwortung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben. Sind Sie schon zu einer Antwort gekommen?
Franziska Hoffart: In meiner Masterarbeit habe ich dafür argumentiert, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Verantwortung haben, zum Beispiel eine soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Speziell habe ich mich mit Ökonomen und ihrer besonderen Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels beschäftigt. Sie sollten sich zum Beispiel mit sozial relevanten Forschungsfragen beschäftigen und ihre Ergebnisse so kommunizieren, dass sie der Öffentlichkeit und Politik nutzen.
Ökonomen haben auf verschiedene Weise direkten und indirekten Einfluss auf die Gesellschaft.
Franziska Hoffart
Und wie sehen das die Wissenschaftler?
Hoffart: Einige Ökonomen sagen, dass nicht sie am Ende die Politikmaßnahmen umsetzen, also haben sie auch keine Verantwortung. Das ist eine sehr starke Positionierung. Ich denke, Ökonomen haben auf verschiedene Weise direkten und indirekten Einfluss auf die Gesellschaft.
Wie denn?
Hoffart: Sie bilden zum Beispiel die künftigen Ökonomen aus, die dann in der Praxis arbeiten. Sie beeinflussen deren Arbeit zum Beispiel dadurch, welche Theorien sie lehren.
Florian Lewalder: Viele Methoden und Kennziffern, die Ökonomen entwickeln, sind mittlerweile in aller Munde. Etwa das Bruttoinlandsprodukt. Das ist kein natürliches Phänomen, sondern eine Erfindung, die heute fast jeder kennt. Wirtschaftsmethoden diffundieren in die Gesellschaft, so wie auch Theorien aus anderen Disziplinen.
Das klingt eher nach einem indirekten Einfluss.
Hoffart: Die Volkswirtschaftslehre wird häufig als die politisch einflussreichste Wissenschaft bezeichnet. Gerade wenn es um die Meinungsbildung geht. In den Medien werden häufig Ökonomen gebeten, eine Einschätzung als Experten abzugeben. Manche Ökonomen besetzen auch einflussreiche Posten: Die aktuelle Chefin der US-Notenbank Fed ist eine Akademikerin, die ihre wissenschaftliche Arbeit derzeit ruhen lässt. Einige Wissenschaftler sind auch als Politikberater tätig und nehmen auf diese Weise Einfluss.
Verschwimmen da nicht manchmal die Rollen von Wissenschaftler, Berater und vielleicht sogar Privatperson?
Lewalder: Bestimmt, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Professor Christoph Schmidt, der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Wirtschaft, hat während der Jamaika-Sondierungsgespräche für eine mögliche Bundesregierung für Aufsehen gesorgt, weil er sich für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit aussprach – ein zentraler Programmpunkt der FDP. In welcher Funktion hat er diese Aussage getroffen: als Vorsitzender des Sachverständigenrats? Als Wissenschaftler? Oder als Privatperson, die eine bestimmte Politikmaßnahme unterstützen will? Die Öffentlichkeit kann natürlich nicht zwischen den drei Positionen unterscheiden. Das ist ein interessantes Beispiel für das Feld, in dem sich ökonomische Beratung bewegt.
In der Öffentlichkeit kommen meist Statements an, die zugunsten der Verständlichkeit vereinfacht sind. Sind solch einfache Aussagen überhaupt wissenschaftlich fundiert möglich?
Hoffart: Man muss sich überlegen, was die Kriterien für eine wissenschaftlich fundierte Antwort sind. Ich würde sagen, man sollte seine Methoden offenlegen, wie man zu einer Antwort gekommen ist, und in welcher Rolle man einen Ratschlag gegeben hat: als Wissenschaftler, der sämtliche Theorien kennt, oder als Politikberater, der beauftragt wurde, für eine bestimmte Politik zu argumentieren.
Es ist unmöglich, in einer so komplexen Sozialstruktur alle Auswirkungen einer Politikmaßnahme vorherzusehen.
Florian Lewalder
Lewalder: Das passiert aber natürlich höchstens dem Politiker gegenüber; was in der Öffentlichkeit ankommt, ist überspitzt. Man kann ja auch verstehen, dass die Leute klare Antworten haben wollen. Es gibt ein schönes Zitat von Präsident Truman, der sich einen einarmigen Ökonomen gewünscht hat – weil die Berater ihm immer gesagt haben „on the one hand“ und „on the other hand“. Hätte der Ökonom nur einen Arm, wüsste er endlich, was zu tun sei. Aber es ist unmöglich, in einer so komplexen Sozialstruktur alle Auswirkungen einer Politikmaßnahme vorherzusehen. Sie wird meistens sowohl positive als auch negative Effekte haben.
Finden Sie es wünschenswert, dass Wissenschaftler sich in der Politikberatung engagieren?
Lewalder: In meinen Augen ist die Ökonomie eingebettet in die Politik, und es ist gut, wenn Wissenschaftler sich auch mit gesellschaftlich relevanten Fragen beschäftigen. Wobei es nicht immer leicht ist zu definieren, was gesamtgesellschaftlich relevant ist. Es gibt den einen oder anderen Volkswirt, der sich sehr in seinen mathematischen Modellen verliert, die man so nicht auf die Welt anwenden kann, weil sie einfach kein Gleichungssystem ist.
Hoffart: Eine Grundvoraussetzung, damit die Wissenschaftler gesellschaftlich relevante Themen in Angriff nehmen können, ist, dass die Wissenschaft offen ist für Ansätze, die nicht dem Mainstream folgen. Sie sollten der Methodenvielfalt und Interdisziplinarität offener gegenüberstehen. Denn die brennenden gesellschaftlichen Themen können nicht von einer Disziplin allein gelöst werden.
In meiner Masterarbeit habe ich zum Beispiel geschaut, ob Ökonomen Verantwortung haben, den Klimawandel zu adressieren. Die ökonomische Standardtheorie gibt recht einfache Antworten auf das Problem: Man könnte den CO2-Preis erhöhen oder bestimmte Steuern einführen. Aber aktuell funktionieren diese Maßnahmen nicht. Aufgabe der Ökonomie sollte es sein, mehr Realitätsbezug zu entwickeln und – wenn die Mainstream-Lösung nicht funktioniert – andere Optionen zu erschließen.
Herr Lewalder, als Lehrender sind Sie am Masterstudiengang Economic Policy Consulting an der RUB beteiligt, ein seltenes Fach. Geht es darin auch um Fragen der gesellschaftlichen Relevanz?
Lewalder: Ja, wobei wir das Thema nur anreißen können. Wir bilden Ökonomen mit dem Schwerpunkt Politikberatung aus. Wichtig ist uns, dass die Studierenden eine Haltung für sich entwickeln. In meinem Seminar geht es um Fragen wie: Wie reflektiere ich als Wissenschaftler, wer ich bin und was meine Werte sind? Wie sind meine Ergebnisse von Werten getrieben? Wir schauen aber auch, wer überhaupt Ökonom wird.
Es gibt Untersuchungen, dass Studierende der Volkswirtschaftslehre schon zu Beginn ihres Studiums andere Wertvorstellungen haben als etwa Philosophiestudierende. In diesen Arbeiten wurden zum Beispiel verschiedene Personengruppen gebeten einzuschätzen, wie wichtig es ihnen ist, Macht zu haben oder mitmenschlich zu agieren. Studierende der Volkswirtschaftslehre geben Macht häufiger als Ziel an als Vergleichsgruppen.
Was bedeutet das für die Politikberatung später?
Lewalder: Es bedeutet, dass die praktisch betriebene Politikberatung möglicherweise nicht die ganze Bandbreite abdeckt, die sie abdecken könnte, wenn auch andere Menschen in den Ökonomie-Studiengang kämen.