Die Sinne sind in der Lage, Erstaunliches zu leisten. Das braucht aber entsprechendes Training. © RUB, Kramer

Neurowissenschaft So kontrolliert das Gehirn hochpräzise Augenbewegungen

Die Ergebnisse dieser Studie stellen einen Wendepunkt in der Sehforschung dar.

Wenn wir kniffelige Handlungen ausführen, etwa einen Faden durch ein Nadelöhr ziehen, müssen unsere Augen viele kleine und sehr präzise Bewegungen ausführen. Nur so fällt der Ausschnitt, den wir wirklich scharf sehen wollen, in die Sehgrube der Netzhaut, die Fovea centralis.

Wissenschaftlern war bisher nicht klar, wie das Gehirn solche Augenbewegungen kontrolliert. Eine Antwort auf diese Frage haben jetzt Forscherinnen und Forscher des Departments of Neuroscience der RUB und des Tübinger Hertie-Instituts gefunden.

Demnach spielt eine Region im Mittelhirn, der Colliculus superior, eine entscheidende Rolle. Darüber berichten die Forscher in der Fachzeitschrift Current Biology vom Juli 2019. Die Erkenntnisse helfen, das Sehsystem und seine Störungen besser zu verstehen.

Mehr Nervenzellen beteiligt, als angenommen

„Wir wussten vom Colliculus superior, dass diese Region Augenbewegungen kontrollieren kann“, sagt Studienleiter Professor Ziad Hafed vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen. „Was unklar war: Trifft dies auch auf präzise Augenbewegungen zu, die im Zusammenhang mit einer hohen Sehschärfe notwendig sind?“ Um diese Frage zu beantworten, maßen Hafed und sein Team die Aktivität von Nervenzellen im Colliculus superior im Gehirn von Rhesusaffen.

Es zeigte sich, dass rund ein Viertel bis ein Drittel aller Nervenzellen im Colliculus superior für die Verarbeitung von Informationen aus der Sehgrube zuständig ist. Damit vergrößert sich im Vergleich zu vorigen Annahmen die Zahl der Nervenzellen, die an der Verarbeitung von hochaufgelösten Bildbereichen beteiligt sind, drastisch. „Der Colliculus superior eignet sich somit perfekt, um auch hochpräzise Augenbewegungen zu lenken“, so Hafed.

Die Abbildung der Fovea im Colliculus superior von Rhesusaffen galt bisher im Vergleich etwa zu ihrer Vergrößerung im visuellen Cortex als unterrepräsentiert. Diese Auffassung wurde durch die Daten von Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann vom Research Department of Neuroscience und Privatdozentin Dr. Claudia Distler vom Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie der RUB widerlegt. „Die relative Vergrößerung der Repräsentation der Sehgrubenzellen im Colliculus gleicht der im visuellen Cortex“, so Hoffmann.

Wendepunkt in der Forschung über hochpräzise Augenbewegungen

Die Neurowissenschaftler sehen in den Ergebnissen ihrer Studie einen Wendepunkt für die Sehforschung. Bislang sei man davon ausgegangen, dass der Colliculus superior nur dazu notwendig ist, die Augen auf Reize in der Gesichtsfeldperipherie zu lenken.

Die Entschlüsselung der Sehverarbeitung in tieferen Hirnstrukturen hilft Hirnforschern auch, bestimmte Sehstörungen besser zu verstehen. So ist beim sogenannten Blindsehen die primäre visuelle Großhirnrinde etwa durch einen Schlaganfall verletzt. Die Patienten sind erblindet, können jedoch auf manche visuellen Reize unbewusst reagieren und zum Beispiel einen heranfliegenden Ball fangen oder ihm ausweichen. Parallele Sehbahnen, wie sie etwa über den Colliculus superior laufen, verleihen die Restfähigkeit. „Erkenntnisse über diese Wege können in Zukunft genutzt werden, um sie spezifisch zu stimulieren und dadurch spezielle Sehprobleme zu lindern“, so die Autoren.

Veröffentlicht

Freitag
09. August 2019
09:23 Uhr

Von

Raffaela Römer

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