Für die Analyse mit dem Immuno-Infrarot-Sensor werden Proben entnommen.
© Prodi

Proteinforschung Ein prognostischer Alzheimer-Blutest im symptomfreien Zustand

Vergesslichkeit ist eine normale Begleiterscheinung des Alterns. Ab wann wird dieser Prozess krankhaft?

Mithilfe eines Bluttests hat ein deutsch-niederländisches Forschungsteam das Alzheimer-Risiko von Menschen prognostiziert, die laut klinischer Diagnose nicht an Alzheimer litten, aber sich selbst als kognitiv beeinträchtigt empfanden (Subjective Cognitive Declined, SCD). Die Forscherinnen und Forscher analysierten Blutproben einer SCD-Kohorte, die an der Amsterdamer Universitätsklinik begleitet wird. Mit einem an der RUB entwickelten Test, dem Immuno-Infrarot-Sensor, identifizierten sie bei Studieneintritt alle 22 Probandinnen und Probanden, die sechs Jahre später an Alzheimer oder einer Vorstufe, dem Mild Cognitive Impairment, erkrankten. Der Test zeigte auch, welche Probanden nur ein sehr geringes Risiko hatten, später eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln. Die Ergebnisse beschreibt das Team in der Zeitschrift „Alzheimer’s Research and Therapy“, online veröffentlicht am 24. Dezember 2020.

Für die Studie kooperierte das Team um Biophysik-Professor Dr. Klaus Gerwert und Julia Stockmann vom Bochumer Forschungszentrum für Proteindiagnostik (Prodi) mit der RUB-Statistikerin Prof. Dr. Nina Timmesfeld, Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, sowie Forscherinnen und Forschern der Freien Universität Amsterdam unter Leitung von Prof. Dr. Charlotte Teunissen und Prof. Dr. Philip Scheltens.

Sensor erkennt fehlgefaltetes Protein im Blut

Die SCD-Kohorte umfasste 203 Personen. Bei Studieneintritt wurden von allen Blutproben entnommen und mit dem patentierten Immuno-Infrarot-Sensor analysiert, der die Fehlfaltung des für Alzheimer relevanten Amyloid-beta (Aβ)-Peptids erkennt. Außerdem durchliefen die Probandinnen und Probanden eine ausführliche Alzheimer-Diagnostik; zum Studieneintritt lieferte diese bei keiner der untersuchten Personen eine Alzheimer-Diagnose. Der Immuno-Infrarot-Sensor hingegen detektierte bei 22 Probanden fehlgefaltete Aβ-Peptide und somit ein erhöhtes Alzheimer-Risiko. All diese Personen erkrankten im Lauf der folgenden sechs Jahre. Bei Probanden, die eine leichte Fehlfaltung zeigten, dauerte es im Mittel länger (3,4 Jahre) bis zur Erkrankung als bei Probanden mit starker Aβ-Fehlfaltung (2,2 Jahre).

Julia Stockmann und Klaus Gerwert vom Bochumer Zentrum für Proteindiagnostik
© Michael Schwettmann

Zusammen mit der Statistikerin Nina Timmesfeld entwickelten die Forscher ein Modell, um das Risiko vorherzusagen, an klinischem Alzheimer zu erkranken. Demnach haben SCD-Probanden mit leichter Fehlfaltung ein 11-fach höheres Risiko und SCD-Probanden mit starker Fehlfaltung ein 19-fach höheres Risiko, in den folgenden sechs Jahren an Alzheimer zu erkranken, als Probanden ohne fehlgefaltetes Aβ-Peptid. „Die Fehlfaltung von Aβ ist also ein sehr präziser prognostischer Plasma-Biomarker“, folgert Klaus Gerwert.

Hoffnung auf Behandlung in frühem Stadium

Ein solcher Bluttest, der die beginnende Alzheimer-Demenz schon im symptomlosen Zustand erkennen kann, wäre vor allem dann nützlich, wenn ein Wirkstoff zur Behandlung der Krankheit verfügbar wäre. Im März 2021 wird die US-amerikanische Food and Drug Administration über die Zulassung des Medikaments Aducanumab entscheiden. „Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass in den klinischen Studien heutzutage die Alzheimer-Medikamente zu spät gegeben werden“, so Klaus Gerwert. „Kein Wunder, dass die bisherigen Medikamente alle fehlgeschlagen sind.“ Der Bochumer Forscher setzt sich dafür ein, dass der Immuno-Infrarot-Sensor künftig bei der Auswahl der Studienteilnehmer Anwendung findet und damit ein deutlich besseres Therapieansprechen erzielt wird.

Veröffentlicht

Mittwoch
06. Januar 2021
09:00 Uhr

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