Biodiversitätsforschung Treffpunkt der Buckelwale
Vor Island findet jedes Jahr ein besonderes Naturereignis statt – zuletzt auch unter den Augen von RUB-Forschern.
Buckelwale finden sich in nahezu allen Gegenden der Welt, von tropischen bis zu polaren Regionen. Im Lauf des Jahres können sie tausende Kilometer weit wandern, um im Winter in wärmeren Regionen ihre Kälber zu gebären und sich zu paaren und im Sommer in kühleren Regionen reichhaltige Nahrungsgründe aufzusuchen. Die Details dieser Wanderrouten sind bislang wenig verstanden. Zwar sind einige Individuen markiert, sodass ihre Wege durch die Weltmeere beobachtet werden können. Aber das große Gesamtbild fehlt. Eine Frage ist auch, ob und wie sich die Wanderrouten der Meeressäuger durch den Klimawandel verschieben.
Ob sich mit genetischen Methoden neue Erkenntnisse über die Wanderbewegungen der Buckelwale gewinnen lassen, hat ein Bochumer Team vom Lehrstuhl für Evolutionsökologie und Biodiversität der Tiere in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen aus Island untersucht. Marc-Alexander Gose interessierte sich im Rahmen seiner Masterarbeit vor allem für eine große Buckelwalzusammenkunft, die alljährlich von Mai bis Oktober vor der isländischen Küste stattfindet. Hunderte Tiere tummeln sich dann in den fischreichen Gewässern, um zu fressen.
Frühere Studien von anderen Forschungsgruppen waren bereits zu dem Schluss gekommen, dass die Buckelwale, die sich vor Island treffen, aus verschiedenen Paarungsgebieten kommen. In diesen Studien wurden die Tiere mithilfe von Fotos ihrer Fluken, die charakteristische Einkerbungen und ein individuelles Farbmuster haben, identifiziert. Vor Island fanden sich Individuen, die aus der Dominikanischen Republik, dem Gebiet um Puerto Rico, der südöstlichen Karibik oder den Kap Verden bekannt waren. „Wir wollten wissen, ob wir das Aufeinandertreffen mehrerer Populationen mit genetischen Analysen bestätigen können“, so Dr. Maximilian Schweinsberg, der als Postdoktorand am Lehrstuhl für Evolutionsökologie und Biodiversität der Tiere das Projekt betreut.
Reise nach Island
Zu diesem Zweck mussten die Forscher zunächst an Gewebeproben der Buckelwale kommen. Also reiste Marc Gose, finanziert durch das Projekt inSTUDIES, nach Island und fuhr mit den Kollegen der University of Iceland mit dem Boot aufs Meer hinaus. Einige Zeit sprang auch der Bochumer Lehrstuhlleiter Prof. Dr. Ralph Tollrian als Bootsführer bei dem Projekt ein. Vor Island hielt die Gruppe Ausschau nach den typischen Wasserfontänen, die Wale ausstoßen, wenn sie an die Oberfläche kommen. War ein Buckelwal in der Nähe, schossen die Forscher einen kleinen Pfeil mit einem Stanzer in seine Haut, der samt Gewebeprobe ins Wasser fiel und an der Oberfläche schwimmend eingesammelt werden konnte. „Der Wal bekommt davon nichts mit“, schildert Marc-Alexander Gose seine Beobachtung.
Rund 100 Proben kamen so zusammen, je etwa einen Zentimeter breit und zwei bis drei Zentimeter lang. Sie bestanden zu einem großen Teil aus Blubber, der Fettschicht des Wals; darüber fand sich Hautgewebe, aus dem die Forscher später die DNA im Labor an der RUB extrahierten und mit verschiedenen Methoden auswerteten.
Verwandtschaftsanalyse
Zum einen bestimmten sie das Geschlecht jedes Tieres. Außerdem analysierten sie mit zwei Verfahren die Verwandtschaftsverhältnisse der Buckelwale, von denen sie Proben genommen hatten, unter anderem mit der Mikrosatellitenanalyse. „Diese Methode wird auch für Vaterschaftstests verwendet“, erklärt Marc-Alexander Gose. „Es gibt inzwischen zwar genetische Methoden mit deutlich höherer Auflösung, aber für unsere Zwecke funktioniert das Verfahren immer noch am besten.“ Als Mikrosatelliten bezeichnet man DNA-Abschnitte, deren Sequenz sich mehrmals wiederholt, wobei die Anzahl der Wiederholungen von Individuum zu Individuum verschieden ist. Mikrosatelliten finden sich über das ganze Erbgut verstreut. Betrachtet man die Anzahl der Wiederholungen von verschiedenen Mikrosatelliten, ergibt sich für jedes Individuum ein charakteristisches Muster. Jeder Mikrosatellit liegt dabei in zwei Kopien vor – eine wurde vom Vater vererbt, eine von der Mutter. Durch den Vergleich der Mikrosatellitenprofile mehrerer Individuen lassen sich Verwandtschaftsbeziehungen rekonstruieren. Die Forscher fanden 18 nah verwandte Individuen-Paare. Das stützt eine Theorie, nach der von der Mutter beigebrachte Migrationsrouten das Wanderverhalten der Tiere langfristig beeinflussen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Gewässer vor Island ein besonderer Ort im Hinblick auf Wale sind – und damit auch besonders schützenswert.
Ralph Tollrian
In ihren Daten konnten die Forscher auf diese Weise drei Wal-Populationen vor Island unterscheiden und die Ergebnisse früherer Analysen somit genetisch bestätigen, zumindest teilweise. Auf Flukenfotos basierende Datensätze hatten nahegelegt, dass es sich sogar um vier Populationen handeln könnte. „Wir gehen davon aus, dass es zwischen zwei der westatlantischen Wal-Gruppen viel Austausch gibt, sodass sie sich genetisch nicht klar aufteilen“, erklärt Maximilian Schweinsberg den Unterschied zwischen den Studien. Ralph Tollrian ergänzt: „Auf jeden Fall zeigen die Ergebnisse, dass die Gewässer vor Island ein besonderer Ort im Hinblick auf Wale sind – und damit auch besonders schützenswert.“
Viele Informationen aus einer Probe
Eigentlich hatte das Bochumer Team seine genetischen Analysen noch mit Flukenfotos und Informationen über Wanderbewegungen aus früheren Studien zusammenbringen wollen. „Aber leider haben wir, anders als zunächst gedacht, keinen Zugang zu diesen Informationen bekommen“, erzählt Tollrian. „Unsere eigenen Analysen publizieren wir aktuell zusammen mit den isländischen Kollegen in einem Fachmagazin, sodass die Informationen auch einer breiten Öffentlichkeit und für weitere Forschungsarbeiten zur Verfügung stehen werden.“
Neben den oben beschriebenen genetischen Analysen testete das Team auch eine zuvor nur bei Delfinen und Buckelwalen der Südhalbkugel angewandte Methode, mit der sich der Schwangerschaftsstatus der Tiere anhand von Hormonen in der Fettschicht bestimmen lässt – das klappte prinzipiell, auch wenn keine trächtigen Tiere in der Stichprobe zu finden waren.
Insgesamt ergab die Studie, dass sich anhand einer einzelnen Gewebeprobe viele Informationen über ein Individuum auslesen lassen: das Geschlecht, der Schwangerschaftsstatus der Weibchen, die Verwandtschaftsverhältnisse in der Gruppe und – wie andere Forschungsteams gezeigt hatten – auch, ob die Tiere schädlichen Substanzen ausgesetzt gewesen sind. „Noch weiß man wenig über die Wanderrouten der Buckelwale. Wir hoffen, dass unsere Untersuchung in naher Zukunft ein Puzzleteil sein kann, das zu einem großen Gesamtbild beiträgt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die nördlichen Buckelwale in mehrere Populationen aufgeteilt sind, die sich genetisch unterscheiden. Um die genetische Diversität zu erhalten, muss jede einzelne Population geschützt werden“, resümiert Ralph Tollrian.