Kerstin Hellwig befasst sich mit Fragen zu MS und Schwangerschaft.
© RUB, Kramer

Multiple Sklerose Natalizumab vor der Schwangerschaft absetzen oder nicht

Patientinnen mit Kinderwunsch stehen vor einer schwierigen Entscheidung.

Der Wirkstoff Natalizumab ist wirksam bei schubförmiger Multipler Sklerose (MS) und gut verträglich. Allerdings ist bekannt, dass es zu einer Wiederkehr der Krankheitsaktivität kommen kann, wird das Medikament abgesetzt, wie häufig in der Planung oder spätestens bei Eintritt einer Schwangerschaft. „Welche Risiken damit für die Mutter einhergehen, war bisher ungeklärt“, so Prof. Dr. Kerstin Hellwig. Die Neurologin im Klinikum der RUB hat mit ihrem Team 274 Schwangerschaften von MS-Patientinnen nach Absetzen von Natalizumab analysiert. Ergebnis: Das Absetzen des Medikaments hatte in zehn Prozent der Fälle funktionell relevante Behinderungen für die Mutter zur Folge. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift JAMA Network Open vom 24. Januar 2022.

Es ist bekannt, dass nach dem Absetzen von Natalizumab bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen binnen vier bis sieben Monaten klinisch relevante MS-Schübe auftreten. Ebenso weiß man, dass Schwangerschaften eine mildernde Wirkung auf die Krankheit haben. Um herauszufinden, wie sich das Absetzen des Medikaments bei werdenden Müttern auswirkt, analysierte das Forschungsteam 274 Schwangerschaften von MS-Patientinnen, die im Deutschen Register Multiple Sklerose und Schwangerschaft erfasst waren und bei denen Natalizumab entweder vor der Schwangerschaft oder während des ersten Schwangerschaftsdrittels abgesetzt wurde. Strukturierte Telefoninterviews mit den Müttern wurden dabei ebenso einbezogen wie Berichte ihrer behandelnden Neurologinnen und Neurologen.

Schwangerschaft und Stillen hatten keine schützende Wirkung

Es zeigte sich, dass in 183 Fällen MS-Schübe während der Schwangerschaft oder des ersten Jahrs danach auftraten; in 44 Fällen wurde von schweren Schüben, in drei Fällen sogar von lebensbedrohlichen MS-Schüben berichtet. In zehn Prozent der betrachteten Fälle war ein Jahr nach der Geburt eine funktionell relevante Behinderung durch die Krankheit feststellbar. Die Schwangerschaft als solche reduzierte das Risiko eines MS-Schubes nicht. Auch ausschließliches Stillen des Kindes hatte keine schützende Wirkung. Frauen, die Natalizumab innerhalb der ersten vier Wochen nach der Geburt wieder einnahmen, waren nicht besser vor MS-Schüben in den ersten sechs Monaten nach der Geburt geschützt als andere. Allerdings konnte die frühe Einnahme des Medikaments nach der Geburt das Risiko von Schüben in den folgenden zwölf Monaten senken.

„Diese Ergebnisse sind bedeutend für die Abwägung, Natalizumab vor oder während einer Schwangerschaft abzusetzen“, so Kerstin Hellwig. Das hohe Risiko einer bleibenden Behinderung durch das Absetzen des Medikaments steht den teils unklaren Risiken für die Schwangerschaft durch die dauernde Einnahme oder den Wechsel zu einer anderen Therapie gegenüber. „Diese Informationen müssen wir mit den Patientinnen teilen, um gemeinsam zu einer fundierten Entscheidung zu kommen.“

Originalveröffentlichung

Kerstin Hellwig, Marianne Tokic, Sandra Thiel et al.: Multiple sclerosis disease activity and disability following discontinuation of Natalizumab for pregnancy, in: JAMA Network Open | Neurology, 2022, DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2021.44750750

Veröffentlicht

Freitag
04. Februar 2022
09:27 Uhr

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