Petra Platen ist seit 2005 Professorin für Sportmedizin und Sporternährung an der Ruhr-Universität Bochum.
Sportmedizin und Sporternährung
„Ich habe es immer genossen, hier zu arbeiten“
50 Jahre, drei Bereichsleitungen, davon seit 20 Jahren eine Frau an der Spitze: Petra Platen hat im Interview viel zu erzählen, wie sich die Bochumer Sportmedizin entwickelt hat und wohin die Reise geht.
Was haben der deutsche Ruderachter, der Tischtennisspieler Timo Boll, Frauen im Sport und Belastungen bei großen Höhen bis 6.000 Meter gemeinsam? Sie stehen für die breite und spannende Forschung in der Sportmedizin und Sporternährung. Wie sie zu einem der Aushängeschilder der Fakultät für Sportwissenschaft und der Ruhr-Universität wurde und warum die Forschung zunehmend das Individuum in den Blick nimmt, erläutert Prof. Dr. Petra Platen im Gespräch.
Frau Platen, der Lehr- und Forschungsbereich Sportmedizin und Sporternährung hat vor Kurzem sein 50-Jahr-Jubiläum gefeiert. Welche Bedeutung hat die Sportmedizin und Sporternährung am Standort Bochum?
Sie ist meiner Ansicht nach ein „Aushängeschild“ für die Fakultät und zählt wohl auch zu einem der Aushängeschilder der gesamten Uni. Die Sichtbarkeit unseres sportmedizinischen Untersuchungszentrums hat der Rektor anlässlich der 50-Jahr-Feier deutlich betont. Wir hatten das große Glück, dass sowohl der Rektor als auch die Kanzlerin eine Videobotschaft geschickt haben. Zudem war die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention zu Gast, die eine kleine Laudatio gehalten hat. Da ist schon deutlich geworden, dass wir hier in Bochum eine bedeutende sportmedizinische Einrichtung sind. Wir führen für den Deutschen Olympischen Sportbund und für den Landessportbund sportmedizinische Gesundheitsuntersuchungen durch und haben neben vielen Nachwuchsathletinnen und -athleten auch einige Olympiasieger, Weltmeister und Weltmeisterinnen vor Ort. Außerdem kommen Fußballmannschaften aus der Region zu Gesundheitschecks an unsere Fakultät.
Haben Sie ein paar prominente oder bekannte Namen, sprich von Sportlerinnen und Sportlern oder auch Vereinen?
Wir haben regelmäßig schon seit Jahren beispielsweise den Ruderachter bei uns zur sportmedizinischen Untersuchung. Die Ruderer trainieren ja hier um die Ecke in Dortmund. Was die Kanzlerin der RUB besonders freut, ist, dass wir schon seit vielen Jahren die jährliche Gesundheitsuntersuchung der Spieler des VfL Bochum durchführen. Wir hatten auch vor einigen Jahren die Spieler des BVB Borussia Dortmund da und ich arbeite bereits seit über 20 Jahren mit dem deutschen Hockeybund zusammen. Die Hockey-Nationalmannschaften der Herren und Damen sind bekanntlich sehr erfolgreich.
Timo Boll haben wir ein „Magisches Auge“ bescheinigt.
Erwähnen möchte ich auch Timo Boll, den erfolgreichsten deutschen Tischtennisspieler und siebenfachen Olympiateilnehmer, der in seiner frühen Zeit an vielen Studien zur Sehleistung im Sport teilgenommen hat. Ihm haben wir ein „Magisches Auge“ bescheinigt. Und Valentin Baus, paralympischer Athlet im Tischtennis, zeigte uns bei seiner Untersuchung im Jahr 2022 voller Stolz seine im Jahr zuvor gewonnene paralympische Goldmedaille.
Stichwort seit über 20 Jahren: Sie sind jetzt selbst seit 20 Jahren die Leiterin des Lehr- und Forschungsbereichs. Welches persönliche Fazit ziehen Sie denn aus dieser ganzen Zeit?
Das ist tatsächlich eine lange Zeit. Aber je älter man wird, umso schneller verfliegt die Zeit. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich meine Antrittsvorlesung gehalten habe, und jetzt habe ich mit dem 50-Jahres-Jubiläum der Sportmedizin an der RUB quasi meinen Ausstand gefeiert. Im Rückblick ist das vor allen Dingen kurzweilig. Ich blicke auf jeden Fall mit großer Zufriedenheit auf diese 20 spannenden Jahre zurück. Ich bin ein Mensch mit großer intrinsischer Motivation, mit hoher Leistungsbereitschaft und Ausdauer und habe, glaube ich, auch ein gutes Maß an kreativem Potenzial. Ich habe es immer genossen, hier zu arbeiten, meine eigenen Ideen zu entwickeln und gute Entwicklungsmöglichkeiten und tolle Rahmenbedingungen zu haben. Neben den Personen aus meinem wissenschaftlichen Netzwerk und vor allem dem tollen Team aus meinem eigenen Lehrstuhl habe ich immer gerne mit den Menschen aus der Verwaltung in den verschiedenen Bereichen zusammengearbeitet, denn ohne die administrative Unterstützung läuft auch in der Forschung gar nichts. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass mein Lehr- und Forschungsbereich große Unterstützung hatte, auch von oberster Stelle.
Damit kann ich das, was ich eigentlich am allerliebsten mache, nämlich wissenschaftlich tätig zu sein, noch ein bisschen weiterführen.
Jetzt haben Sie das Stichwort Ausstand schon erwähnt. War die Jubiläumsfeier für Sie gleichzeitig auch schon so was wie ein Schlusspunkt?
Ja, irgendwie schon, zumindest war es so eine Art vorgezogener Schlusspunkt, weil ich formell Ende Februar nächsten Jahres, also in absehbarer Zeit, in Pension gehe. Ich habe aber die Möglichkeit, noch eine Seniorprofessur anzuschließen, und werde das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch tun, weil ich noch Forschungsprojekte angestoßen habe, die vermutlich auch realisiert werden können, vor allen Dingen ein großes Projekt in meinem Hauptthemengebiet Frauen im Sport. Damit kann ich das, was ich eigentlich am allerliebsten mache, nämlich wissenschaftlich tätig zu sein, noch ein bisschen weiterführen.
Können Sie aus dem neuen Projekt, wenn Sie das so andeuten, auch schon etwas mehr sagen, worum es da gehen wird?
Die endgültige Förderzusage vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft steht noch aus, aber ich hoffe, dass sie in den nächsten zwei Wochen endlich kommt. Es ist ein Verbundprojekt im Bereich des Leistungssports. Das Hauptthema ist die Athletin im Sport – und zwar im Spannungsfeld zwischen Leistung und Gesundheit. Gesundheit meint bei Frauen unter anderem die Gesundheit des Menstruationszyklus, weil es in diesem Feld viele Probleme gibt.
Das ist praktisch eine wissenschaftliche, aber auch sportpolitische Aufgabe.
Wir sind ein Team von vier Wissenschaftlerinnen. Ich habe eine Trainingswissenschaftlerin aus Wuppertal, eine Sportpsychologin aus Freiburg und einen Sporternährungswissenschaftler aus München mit im Boot. Das Projekt soll über vier Jahre gefördert werden und den Themenbereich weibliche Athletin, Zyklusgesundheit, gesundes Essverhalten, Stressresilienz und Trainingsoptimierung im deutschen Leistungssport untersuchen. Am Ende der Projektlaufzeit soll dieser ganze Themenkomplex zugleich institutionell verankert werden. Das heißt, das ist praktisch eine wissenschaftliche, aber auch sportpolitische Aufgabe, die für mich dieses ganze Themenfeld, das ich über 30, fast 40 Jahre mittlerweile bediene, auch ein Stück weit abschließt. Mein Ziel ist es, das Thema im Bereich des deutschen Leistungssportsystems auf breite Füße zu stellen.
Wenn Sie sagen, dass Sie selbst schon so lange an diesem Thema forschen, scheint es in der öffentlichen Wahrnehmung eher noch ein recht junges Thema zu sein. Auch die Medizin entdeckt gerade die geschlechtsspezifischen Unterschiede und Gendermedizin ist ein ganz großes Thema. Also ist es für Sie eigentlich gar kein neues Thema?
Das stimmt, es ist im Grunde genommen ein wirklich alter Hut. Ich habe 1987 an der Deutschen Sporthochschule in Köln angefangen, im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, und mein erstes Forschungsprojekt 1988 hat sich bereits mit hormonellen Effekten und Auswirkungen von Sport auf das weibliche Geschlecht befasst. Ich habe mich in dem Themenfeld auch habilitiert und habe zwischendurch immer wieder Forschungsprojekte dazu durchgeführt, wenngleich es mich ein Stück weit auch geärgert hat, dass ich als Frau praktisch automatisch in dieses Thema – ich sage mal – abgeschoben wurde, während sich die männlichen Kollegen nicht wirklich dafür interessiert haben. Es hat mich einiges an Energie gekostet, das trotzdem aufrecht zu halten. Ich hatte allerdings gerade in den frühen Jahren auch große Aha-Effekte, weil ich in Kontakt gekommen bin mit international herausragenden Persönlichkeiten, die schon lange im Bereich Frau und Sport unterwegs waren. Dadurch habe mich weiterentwickeln können und hatte meine Role Models, an denen ich mich orientieren konnte.
Heute finde ich es tatsächlich richtig gut, dass das Thema – praktisch in den letzten Jahren meiner wissenschaftlichen Karriere – noch einmal aufpoppt und dass ich das auch persönlich so richtig neu befeuern kann. Ja, ich habe tatsächlich einige neue Forschungsprojekte dazu auf den Weg gebracht und es kommt jetzt wahrscheinlich auch noch dieses große Abschlussprojekt.
Da wurden auf einmal Gelder freigemacht für Forschungsfragen rund um die Frau im Sport.
Die Tatsache, dass oder warum das jetzt erst so hochpoppt, ist das nicht ein bisschen unerklärlich?
Nein, ist es nicht. Es erklärt sich dadurch, dass es sehr medienwirksam von einer populären Sportlerinnen-Gruppe propagiert wurde, nämlich von den US-amerikanischen Fußballspielerinnen. Die sind Rekordweltmeisterinnen, sind viermal schon Weltmeister geworden. 2019, als sie den dritten Titel geholt haben, da haben sie gesagt, dass ihr Erfolg eben auch darin begründet ist, dass sie anhand ihres Menstruationszyklus trainieren. Und damit war dieses Thema auf einmal in der Welt. Wie eine Lawine ist es ins Rollen gekommen und hat dann auch im deutschen System einiges angestoßen. Beispielsweise wurde es vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft vor einigen Jahren als Hauptthemenschwerpunkt gesetzt. Da wurden auf einmal Gelder freigemacht für Forschungsfragen rund um die Frau im Sport.
Das heißt, dass es insgesamt für frauenspezifische Fragen im Leistungssport ein gesteigertes Bewusstsein gibt und dass sie dadurch mehr in den Fokus gerückt sind?
Genau. Im letzten und vorletzten Jahr habe ich etwa jede Woche eine Presseanfrage dazu bekommen. Wir sind zum Beispiel in der Sportschau genannt worden und wir haben einen Film mit Arte drehen können über eines unserer Forschungsprojekte. Dazu die ganzen Printbeiträge mit den unendlich vielen Interviews. Ich glaube, ich habe Millionen von Menschen darüber erreicht und sie damit auch für das Thema Menstruationszyklus und Training sensibilisieren können.
Wenn Sie abgesehen von diesem konkreten Thema vergleichen, was sich nicht nur in den letzten 20 Jahren, wo Sie Lehrstuhlinhaberin sind, sondern in den letzten 50 Jahren so getan hat, wie haben sich dann so die die Forschungsthemen verändert damals und heute? Kann man das sagen?
Ja, insgesamt sind ja in den 50 Jahren in Anführungsstrichen „nur“ drei Lehrstuhlinhaber tätig gewesen. Der erste war Horst de Marées. Der zweite war Hermann Heck und die dritte bin ich. Das ist sicherlich ein bisschen ungewöhnlich. Offensichtlich hat dieser Standort hier seine Attraktivität, die die Leute dann auch bindet, wenn sie einmal den Weg hierher gefunden haben. Es gibt einzelne Themen, die sich über die ganzen 50 Jahre hinweg erhalten haben, zum Beispiel die Unfallforschung, die Horst de Marées mit initiiert hat und weshalb sich die Ruhr-Universität an der Gründung der Stiftung Sicherheit im Sport beteiligt hat.
Ein zweites Thema ist Sehen im Sport, das wir auch schon langfristig begleiten. Da hat mein soeben aus dem Dienst ausgeschiedener Mitarbeiter Gernot Jendrusch beispielsweise eine DIN-Norm für schulsporttaugliche Brillen entwickelt. Mein Vorgänger Hermann Heck war mehr im Bereich Leistungsphysiologie unterwegs. Er hat ein weltweit einzigartiges Buch geschrieben zum Thema Laktat in der Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung. Von ihm habe ich, als wir an der Sporthochschule in Köln noch zusammengearbeitet haben, die ganze Leistungsphysiologie gelernt und im Grunde genommen in zwei Forschungsbereiche eingebracht: Das eine ist die Höhenphysiologie. Um hierin zu forschen, habe ich hier an der RUB große Hypoxieräume bauen können, in denen wir unter Bedingungen großer Höhen bis zu 6.000 Metern forschen. Das zweite Thema ist Frauen und Sport mit seinen vielfältigen physiologischen und pathophysiologischen Aspekten.
Die geschlechtssensible Medizin ist ja eigentlich nur ein Teilaspekt der individualisierten Medizin. Das heißt, man betrachtet das Individuum genauer.
Wenn Sie mal nach vorn schauen und die Glaskugel bemühen: Was glauben Sie, welche Themen werden in 50 Jahren aktuell sein?
Die geschlechtssensible Medizin ist ja eigentlich nur ein Teilaspekt der individualisierten Medizin. Das heißt, man betrachtet das Individuum genauer. Mit den modernen Analyseverfahren und den KI-Tools, die sich rasant entwickeln, wird man ja zunehmend in der Lage sein, die genomische, proteomische und metabolische Vielfalt und riesige Datenmengen, die man generiert, auch analysieren zu können. Ich gehe davon aus, dass wir zunehmend auch in der Sportmedizin, in der Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung, bei gesundheitlichen Vorgaben von Trainingsempfehlungen diese individualisierten Aspekte berücksichtigen. Damit können wir sehr zielgenaue Trainingsempfehlungen geben.
Wenn wir auf Ihre eigene Vita schauen, dann sind Sie selbst aus dem Leistungssport gekommen – als sehr erfolgreiche Handballerin. Wie hat Sie Ihr Weg in die Wissenschaft geführt?
Das war eine Parallelentwicklung. Unabhängig vom Sport habe ich mich schon sehr früh für die Natur interessiert und wollte immer schon den Dingen auf den Grund gehen. Irgendwann in der Oberstufe ist mir das Buch von Hoimar von Ditfurth „Im Anfang war der Wasserstoff“ in die Hände gefallen, das hat mich komplett in den Bann gezogen. Und von da an galt meine Leidenschaft auch der Wissenschaft, konkret der Naturwissenschaft. Das verbindende Element zwischen der Wissenschaft und dem Leistungssport ist eher eine Charaktereigenschaft, die da heißt, Dinge ganz zu tun oder gar nicht, sich begeistern zu lassen und Probleme mit Ausdauer anzugehen, zu analysieren, zu trainieren, gezielt auf ein Ziel hinzuarbeiten; durchaus auch mal Niederlagen zwischendurch in Kauf zu nehmen, dann aber daraus zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
War ihre Vergangenheit als Sportlerin da eher förderlich?
Ich glaube schon. Eine Leistungssportkarriere prägt einen und fördert Selbstbewusstsein. Man lernt, zielstrebig zu werden und zu fokussieren. Natürlich habe ich für mein Studium länger gebraucht, das ist ganz klar, wenn man im Leistungssport unterwegs ist. Gerade heutzutage, wo die zeitlichen Ansprüche noch viel höher sind als zu meiner Zeit. Für die Stelle an der Sporthochschule, auf die ich mich nach meiner Approbation beworben hatte, war es letztendlich aber sogar der Türöffner.
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, die leistungssportliche Karriere zu verfolgen, denn sie liefert so viel an Erfahrung, dass man ein Leben lang davon profitiert.
Hätten Sie sich in der Situation damals so etwas gewünscht wie heutzutage „Partnerhochschule des Spitzensports“ zum Beispiel, also mehr Beratungs-, Betreuungsangebote und auch mehr Flexibilität von Seiten der Universität?
Ja. Ich denke, das ist sicherlich für die Leistungssportlerinnen und -sportler, die wir heute haben, sehr hilfreich, weil vor allem die zeitlichen Anforderungen viel größer geworden sind. Als ich im Hochleistungssport war, wurde vier oder fünf Mal die Woche trainiert und am Wochenende gespielt. Heutzutage trainiert man ja in der Regel zweimal täglich. Und dann wird es natürlich ungleich schwieriger, das alles unter einen Hut zu bringen. Da hilft es ganz bestimmt, wenn man an einer Universität studiert, wo darauf Rücksicht genommen wird.
Was raten Sie jungen Leuten von heute mit den Anforderungen speziell an Spitzensportlerinnen und Spitzensportler für ihre weitere Laufbahn und den Lebensweg?
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, die leistungssportliche Karriere zu verfolgen, denn sie liefert so viel an Erfahrung, dass man ein Leben lang davon profitiert. Gleichzeitig sollten sie aber auch – im Sinne einer dualen Karriere – die Entwicklung als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler nicht aus den Augen verlieren. Es macht in diesem Fall gar nichts, wenn das Studium dann etwas länger dauert.