Neurobiologie Der Prototyp des Verbrechers
Wie unterscheiden sich die Gehirne von Tätern und Nicht-Tätern?
Es ist ein spezieller Menschenschlag, den Prof. Dr. Boris Schiffer unter die Lupe genommen hat. Menschen, die schon im Kindesalter auffallen, weil sie straffällig werden. Und die oft ihr ganzes Leben lang immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ihnen fehlt es an Verantwortungsgefühl, an Reue. Sie nutzen andere für ihren Vorteil aus – nichts gilt ihnen mehr als die sofortige Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse, und sei es auf Kosten anderer. Fachleute wie Schiffer, Direktor der Forschungsabteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum Bochum und der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne, diagnostizieren in solchen Fällen eine dissoziale Persönlichkeitsstörung.
Rund fünf Prozent der Männer und etwa ein Prozent der Frauen haben die Disposition dafür. „Das sind natürlich sehr viele Menschen, und nicht alle werden straffällig“, macht Boris Schiffer klar. „Es gibt sicherlich auch viele solche Leute in Führungsetagen, die ihre Persönlichkeit auf andere Weise ausleben.“ Eine kriminelle Karriere begünstigen einige weitere Faktoren. So liegt der durchschnittliche Intelligenzquotient bei Inhaftierten mit dissozialer Persönlichkeitsstörung um zehn Punkte unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Sehr häufig sind Betroffene substanzabhängig, missbrauchen also Drogen. „Das alles zusammen macht es angesichts eines Impulses zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung sehr viel leichter, eine schlechte Entscheidung zu treffen“, stellt Boris Schiffer fest.
Es gibt keinen moralischen Kompass
Menschen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung sind dabei Generalisten. Die Mehrzahl aller Straftaten geht auf ihr Konto. Das beginnt bei Eigentumsdelikten und endet bei Raub oder Sexualdelikten. Da die dissoziale Persönlichkeitsstörung allein die Schuldfähigkeit der Täter nicht tangiert, sitzen die Täter in Justizvollzugsanstalten ein und landen nicht im psychiatrischen Maßregelvollzug.
Boris Schiffer kam mit solchen Tätertypen vor allem im Rahmen von Begutachtungen in Kontakt, bei denen es darum geht, die Gefährlichkeit von Straftätern einzuschätzen. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie nach ihrer Haftentlassung wieder straffällig werden, wieder schwere Straftaten begehen? „Die Prognose bei dissozialer Persönlichkeitsstörung ist schlecht“, so Schiffer. „Die Betroffenen sind schwer therapierbar, denn es gibt eigentlich keinen moralischen Kompass, den man neu ausrichten könnte. Man kann lediglich versuchen, die Leute im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse bilanzieren zu lassen, ob sich kriminelles Verhalten wirklich lohnt und den Nutzen prosozialen Verhaltens herausarbeiten.“
Ein objektives Kriterium für Gefährlichkeit
In seinen Forschungsarbeiten beschäftigt er sich damit, ob es nicht auch objektive Kriterien für die Gefährlichkeit geben könnte. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche neurobiologischen Mechanismen dem Verhalten der Straftäter zugrunde liegen. Kann man am Gehirn oder seiner Aktivität ablesen, wo Unterschiede zu Nicht-Straftätern liegen, beziehungsweise wodurch sich Rückfällige von Nicht-Rückfälligen unterscheiden? Kann man erkennen, ob eine Therapie Wirkung zeigt? „Wenn es so wäre, hätten wir ein objektives Kriterium für die Beurteilung, ob eine Therapie erfolgreich war“, meint Schiffer.
Zwei relevante kriminogene Bereiche hat die Forschung im Blick: die Empathie und die Emotionsregulierung, die auch mit Verhaltenskontrolle einhergeht. „Man ging bisher im Allgemeinen davon aus, dass das Defizit bei dissozialen Menschen ein affektives sei, kein kognitives“, erklärt Schiffer. Die Annahme war also, dass betroffene Menschen nicht mit anderen mitfühlen, aus deren Verhalten oder deren Mimik aber durchaus bewusst Schlüsse ziehen könnten, wie sich derjenige gerade fühlt. „Beides gemeinsam wurde bisher aber noch nicht untersucht“, berichtet Schiffer.
Bildgebung vermittelt Einblicke
Um die dissoziale Persönlichkeitsstörung und ihre Auswirkungen genauer zu verstehen, setzte er auf die funktionelle Magnetresonanztomografie, kurz fMRT. Sie ermöglicht es, anhand des Blutflusses dem Gehirn bei der Arbeit zuzusehen, indem man Bereiche höherer und niedrigerer Aktivität identifiziert. Die Forschenden der RUB entwickelten einen Versuchsablauf, in dem Probanden im fMRT jeweils kurze Bildsequenzen vorgespielt wurden, in denen Täter und Opfer interagierten. Vorher wurden die Teilnehmenden angewiesen, sich entweder in die eine oder die andere Person hineinzuversetzen. Danach wurde abgefragt, wie sich die Teilnehmenden fühlten und wie sie die Gefühle der beobachteten Personen einschätzten.
Drei Personengruppen rekrutierten Schiffer und sein Team für die Studie, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird: Neben Straftätern mit diagnostizierter dissozialer Persönlichkeitsstörung eine gesunde Kontrollgruppe sowie eine Gruppe substanzabhängiger Menschen, die aber nicht straffällig geworden waren. „Letzteres war sehr wichtig, denn auch Substanzabhängigkeit hat eine Auswirkung zum Beispiel auf die Empathiefähigkeit“, erklärt Boris Schiffer. Um diesen Einfluss bereinigen zu können, musste die Kontrollgruppe untersucht werden, da Substanzabhängigkeit oder -missbrauch fast immer auch bei dissozial veranlagten Menschen vorliegt.
Für die Probandensuche mussten wir ziemlich kreativ werden.
Boris Schiffer
Die je 20 bis 25 Männer zu finden und in die Studie einzuschließen, war eine Herausforderung, wie der Forscher berichtet. So sitzen die Straftäter nicht nur in Haftanstalten ein und müssen für die Untersuchung im – nicht transportablen – fMRT begleitet werden. Das erfordert die Zustimmung der Justizbehörden. Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung haben die Täter auch eher kein Interesse daran, uneigennützig der Forschung zu helfen. „Da brauchte es Überzeugungsarbeit und ordentliche finanzielle Anreize“, so Schiffer, dem auch klar ist, dass die entsprechende Personengruppe in Fragebögen möglicherweise dazu neigt, falsche Angaben zu machen. Aber auch die Kontrollgruppe stellte die Forschenden vor Schwierigkeiten. Sie musste aufwändig zusammengesucht werden, da verschiedene Faktoren gematcht werden mussten, unter anderem die Intelligenz. „Für die Probandensuche mussten wir ziemlich kreativ werden“, fasst Schiffer zusammen.
Die Untersuchungen, deren Auswertung noch nicht abgeschlossen ist, zeigten unter anderem, dass dissoziale Persönlichkeiten sehr wohl mitfühlen – aber eher mit dem Täter als mit dem Opfer. „Ansonsten sammeln wir gerade noch Puzzleteile zusammen – noch ist kein einheitliches Bild erkennbar“, so Boris Schiffer. „An drei Stellen vermuten wir Besonderheiten in dem, was man das Tätergehirn nennen könnte: zwei Stellen im Empathienetzwerk und eine, die eher im Zusammenhang mit der Suchtproblematik verändert scheint.“ Fest steht, dass mögliche in der Bildgebung sichtbare strukturelle Unterschiede zwischen dissozialen und gesunden Menschen sehr klein sind. „Wenn man das Gehirn eines Menschen mit Durchschnitts-IQ und das eines Menschen mit einem um zehn Punkte reduzierten IQ vergleicht, beobachtet man massive Unterschiede. Dagegen sind die Unterschiede zwischen Täter und Nicht-Täter minimal.“