Christian Ahlfeld (left) and Nora Pöpping from the project team © RUB, Marquard

Maschinenbau Keine Angst vor KI im Vertrieb

Seit der Digitalisierung ist der Vertrieb nicht mehr das, was er mal war. Das heißt aber nicht, dass der Arbeitsalltag dadurch nicht auch besser werden könnte.

Für viele kleine und mittlere Unternehmen wirbelt die Digitalisierung die Welt ziemlich durcheinander. Besonders der Vertrieb, die Schnittstelle zwischen Unternehmen und Markt, verändert sich stark. „Die klassische Aufgabe von Vertrieblern ist es, die Bedarfe eines Kunden zu ermitteln oder mit diesem gemeinsam die beste Lösung für ein Problem zu erarbeiten, Produkte zu erklären und den Kunden vom Kauf zu überzeugen“, erklärt Dr. Christian Ahlfeld vom Lehrstuhl Industrial Sales and Service Engineering, kurz ISSE, der RUB. Die Beziehung zwischen den Mitarbeitenden im Vertrieb eines Unternehmens und dem Personal eines Kunden war bisher oft langjährig und vertraut.

Kundenansprüche eskalieren

Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Die Digitalisierung beeinflusst das Einkaufsverhalten von Kunden. Das Internet macht Recherchen möglich, ohne dass man Kontakt mit dem Anbieter aufnimmt. Zugleich soll alles effizienter, schneller, schlanker sein, die Kaufabwicklung flotter gehen. „Wir sprechen von eskalierenden Kundenansprüchen“, so Christian Ahlfeld. „Gerade an der Schnittstelle zum Kunden entstehen für den Vertrieb durch den digitalen Wandel ganz neue Anforderungen: Die Vergleichsmöglichkeiten steigern die Erwartungen des Kunden nicht nur an das Produkt oder die Dienstleistung, sondern auch an die Beziehung.“

Das Verhältnis zwischen Anbieter und Kunde verändert sich, weil nun der Kunde bestimmt, wann und in welcher Form der Vertrieb in seine Wertschöpfung eingebunden wird. Oft entsteht ein persönlicher Kontakt erst dann, wenn der Kunde seine Kaufentscheidung auf Basis seiner eigenen Recherchen schon getroffen hat. Die Einschränkungen in der Corona-Pandemie haben diesen Effekt noch verstärkt. Persönliche Besuche waren in dieser Zeit nicht möglich, sodass sich der Umgang miteinander auch dadurch verändert hat.

The company XBond, which manufactures truck parts, is participating in the project. © Roberto Schirdewahn

Hinzu kommt noch, dass digitale Plattformen neuen, auch internationalen Anbietern Möglichkeiten eröffnen, mit unkonventionellen Geschäftsmodellen auf den Markt zu drängen. Besonders bei hochstandardisierten Produkten stellen sie eine ernstzunehmende Konkurrenz für etablierte Unternehmen dar. „Das hat zur Folge, dass sich kleine und mittlere Unternehmen unter Handlungsdruck sehen“, so Marleen Voß vom ISSE-Team. „Man könnte sagen, sie fühlen sich bedroht.“ Diesem Handlungsdruck will das Projekt PASS, kurz für Predictive-Analytics-Systeme im Sales, etwas entgegensetzen. Ziel ist es, die Digitalisierung als strategische Ressource anzusehen. „Die digitale Technik kann helfen, Wettbewerbsvorteile im Markt zu erzielen“, unterstreicht Marleen Voß.

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Gemeinsam mit mehreren Partnerunternehmen aus dem produzierenden Maschinenbau lotet das Projektteam von PASS aus, wie und wo Künstliche Intelligenz (KI) hilfreich im Vertrieb eingesetzt werden kann. „Im Grunde geht es darum, aus vorhandenen, meist unstrukturierten Daten Wissen herauszuziehen und zu kanalisieren, das im Alltag hilft“, erklärt Christian Ahlfeld. Die Forschenden entwickeln gemeinsam mit den Partnern ein modulares Predictive-Analytics-System als eine Software-as-a-Service-Plattform, die es Unternehmen ermöglicht, das System je nach Entscheidungsgegenstand situativ und vor allem unabhängig von existierenden digitalen Infrastrukturen flexibel zu nutzen. „Das Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher Veränderungen und die Bandbreite der Möglichkeiten war bei den Unternehmen grundsätzlich da“, sagt Marleen Voß. „Aber die Frage, wie man eine solche Lösung im eigenen Unternehmen konkret umsetzen kann, konnten die meisten nicht beantworten.“

Eine Stärke der KI ist es, mehr Daten auswerten zu können als ein Mensch je schaffen würde. Das kann sich zum Beispiel auszahlen, wenn es darum geht, Verkaufsprognosen anzustellen, auf deren Basis eine Firma Teile für Produkte einkauft. Bislang beruhten solche Schätzungen auf der Erfahrung der im Vertrieb Beschäftigten. Gab es jedoch Schwankungen im Absatz, führte das nicht selten zu hohen Kosten für den Kauf nicht benötigter Teile und deren Lagerung. Eine KI kann solche Schätzungen auf eine realistische Basis stellen, indem sie die Daten vieler vergangener Jahre systematisch auswertet.

„Das könnte Ihnen auch gefallen“

Ein anderer Anwendungsfall läuft bei den Forschenden unter dem Stichwort Cross- and Up-Selling: Dabei geht es darum zu erkennen, was für einen Kunden gegebenenfalls neben dem gekauften Produkt der Firma noch interessant sein könnte. „Im Prinzip ist das genau das, was wir alle von Einkäufen in Online-Shops kennen. Da wird unter dem Produkt, für das wir uns entschieden haben, auch oft ein anders gezeigt mit der Überschrift ‚Das könnte Sie auch interessieren‘ oder ‚Kunden, die dies gekauft haben, kauften auch jenes‘“, verdeutlicht Christian Ahlfeld. Für solche Vorschläge kann eine KI nicht nur interne Daten der Firma nutzen, sondern auch externe, beispielsweise über eine Analyse von Schlagworten auf Homepages einschlägiger Firmen. So lassen sich potenzielle neue Kunden ohne einen riesigen Aufwand ausfindig machen. Die KI kann sogar eine Reihenfolge vorschlagen, in der diese potenziellen Kunden kontaktiert werden sollten, basierend auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschäftsabschlusses. Dafür bezieht das System Daten wie Gewinn und Umsatz der Unternehmen mit ein.

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Die KI-Lösungen, die im Projekt genutzt werden, wurden auf die spezifischen Anforderungen der Partnerunternehmen zugeschnitten. „Die grundsätzliche Logik solcher KI ist auf dem Markt zwar vorhanden, aber das Training und die Abstimmung der KI auf die spezifischen Anforderungen erfolgt individuell“, erklärt Marleen Voß. Sie ist besonders daran interessiert, wie sich die Systeme sinnvoll in die Organisation des Unternehmens einfügen und wie sie sich auf den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden auswirken. „Viele Mitarbeitende unserer Partner im Projekt sind den technischen Möglichkeiten gegenüber positiv eingestellt. Das liegt sicherlich auch an der jeweiligen Unternehmenskultur“, so Marleen Voß. Skepsis resultiert häufig aus der Angst, dass nicht nur die eigene Arbeitsleistung, sondern auch der eigene Arbeitsplatz durch den Einzug einer künstlichen Intelligenz obsolet werden könnte.

Doch das Projektteam hat die Erfahrung gemacht, dass es hilft, Mitarbeitende von Anfang an in die Pläne zum KI-Einsatz einzubinden, auf ihre Sorgen, Wünsche und Ängste einzugehen, zu fragen, ob die Lösung so passt, durch Workshops und Schulungen für Sicherheit zu sorgen, Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung zu stellen. „Wenn dann der Aha-Effekt eintritt, dass die KI lästige Arbeit abnehmen kann – Adressverzeichnisse pflegen, Ausstellerkataloge wälzen – überzeugt das die meisten von den Vorteilen der KI“, so Christian Ahlfeld. Das sorgt für mehr Zeit, die man in andere Tätigkeiten investieren kann, etwa Marketingaktivitäten. „Die KI ist kein Ersatz für menschliche Tätigkeiten – sie sorgt eher für deren Aufwertung“, so Marleen Voß. „Man kann bessere Entscheidungen treffen. Aber es entscheidet eben immer noch der Mensch, wobei die Frage nach der zukünftigen Rolle des Menschen in einer KI-gestützten Arbeitswelt zumindest aktuell nicht vollständig zu beantworten ist.“

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Veröffentlicht

Mittwoch
02. November 2022
09:13 Uhr

Dieser Artikel ist am 2. November 2022 in Rubin 2/2022 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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