Psychologie Gemeinsam ist man weniger verrückt

Warum uns Menschen mit ähnlichen Interessen sympathisch sind – und mit ähnlichen, seltenen Vorlieben sogar noch sympathischer.

Alles begann mit dem Musiker Tom Waits. „Man begegnet selten jemandem, der ihn ebenfalls mag“, sagt Waits-Fan Prof. Dr. Hans Alves. „Wenn ich mal jemanden getroffen habe, der ihn auch mochte, war mir diese Person sofort extrem sympathisch.“ Das wissenschaftliche Interesse des Professors für Soziale Kognition war geweckt. Denn verschiedene Studien hatten zwar schon gezeigt, dass gleiche Interessen die Sympathie zwischen Menschen befördern. Aber ob seltene Vorlieben für noch mehr Anziehung sorgen?

In verschiedenen Befragungen spürte Alves gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen dem Phänomen der Sympathie nach. Die Forschenden erfragten Einstellungen, Vorlieben, aber auch Abneigungen von Versuchspersonen in mehreren Online-Befragungen. Welche Bücher liest jemand gern? Was isst oder trinkt die Person gern, was mag sie nicht? Welche Filme schaut sie oder eben nicht? Wir sieht es aus mit Stars? Hobbys? Urlaubsplänen? Unter den Angaben, die die Befragten machten, waren sowohl gängige Aussagen wie „Ich mag Urlaub in der Sonne“, aber auch skurrile Vorlieben wie zum Beispiel bestimmte Verkleidungen.

Wenn sich zwei Fremde begegnen, suchen sie nach einem gemeinsamen Bezugspunkt.


Hans Alves

Im nächsten Schritt luden die Forschenden die Teilnehmenden dazu ein, sich vorzustellen, sie träfen jemanden, der dieselben Angaben zu einem Punkt gemacht hatte wie sie selbst. Wie groß wäre dann das Interesse daran, diese Person kennenzulernen und Zeit mit ihr zu verbringen? „Es hat sich bestätigt, dass gleiche Vorlieben für mehr Sympathie sorgen“, berichtet der Psychologe. „Und seltene Interessen übertreffen darin tatsächlich solche, die viele Menschen teilen.“

Hans Alves, Moritz Ingendahl und Johanna Woitzel (von links) untersuchen den Einfluss von geteilten Einstellungen auf das Interesse an anderen Personen.
© Damian Gorczany

Für diese Tatsache hat der Forscher mehrere mögliche Erklärungen. Zum einen erzeugen Ähnlichkeiten generell ein Verbundenheitsgefühl zwischen Menschen. „Das gilt sogar für zufällige Übereinstimmungen wie denselben Geburtstag oder denselben Namen“, so Alves. Wenn sich Fremde begegnen, suchen sie nach einem gemeinsamen Bezugspunkt – hierin finden sie ihn.

„Wenn wir jemanden treffen, der unsere Einstellung teilt, befriedigt das aber auch unser Bedürfnis nach Bestätigung“, nennt Hans Alves einen weiteren Grund. Das Gegenüber teilt unsere Weltsicht und bestätigt uns damit. Das hilft, unseren positiven Selbstwert zu erhalten. „Gerade bei seltenen Einstellungen oder Vorlieben ist das Bedürfnis nach Bestätigung besonders groß“, so Alves. „Jemand, der sie teilt, zeigt uns, dass wir nicht allein sind, dass wir nicht sogar verrückt sind.“

Seltene Einstellungen sind informativer als häufige

Ein anderer Erklärungsansatz: Seltene Einstellungen sind informativer als häufige, sie sagen mehr über die eigene Ähnlichkeit mit einer anderen Person aus. „Wir erleben das als eine Art Bündnis – wir gegen den Rest der Welt“, sagt Hans Alves. Zudem macht das, was einen Menschen vom Durchschnitt unterscheidet, gerade seinen Charakter aus. Wir lernen andere in ihren Eigenheiten vor allem über ihre skurrilen Eigenschaften besser kennen.

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„Wir haben das auch im Datingkontext untersucht“, berichtet Hans Alves. „Wir haben gefragt: Wie gut könnten Sie sich vorstellen, diese Person zu treffen?“ Auch hier war die Bereitschaft, jemanden zu treffen, besonders groß, wenn seltene Angaben übereinstimmten. „Wenn ich eine Datingplattform betreiben würde, würde ich genau solche Angaben matchen“, meint Hans Alves, der allerdings keine Einblicke in die Algorithmen solcher Plattformen hat. „Das wird nicht öffentlich kommuniziert.“

Verbinden auch gemeinsame Ablehnungen?

Jedoch würde es auch aus anderen Gründen Sinn ergeben, solche Übereinstimmungen zu suchen, denn die Literatur legt nahe, dass sie für den Erfolg und die Dauer einer Beziehung wichtiger sind als Persönlichkeitseigenschaften. „Die Übereinstimmung der Einstellungen gegenüber der Beziehung selbst ist dabei besonders einflussreich – soll sie offen oder geschlossen sein, wünscht man sich Kinder, und wenn ja wie viele?“, verdeutlicht Hans Alves. „Aber auch die Einstellungen zu Drogen, Alkohol, Politik und vielen anderen Dingen sind wichtig, weil das Konfliktpotenzial wächst, wenn sie nicht übereinstimmen.“

Hans Alves und seine Kolleginnen und Kollegen gingen der Bedeutung von Vorlieben für die Sympathie weiter auf den Grund und werteten aus, wie sich gemeinsame Ablehnungen darauf auswirken. „Es gibt ältere Studien, die belegt haben, dass geteilte negative Einstellungen stärker zu gegenseitiger Anziehung führen als geteilte positive Einstellungen“, so Alves. „Aber da gab es methodische Schwächen, deswegen haben wir das in einer weiteren Onlinebefragung noch einmal genauer untersucht.“

Es kam heraus, dass geteilte positive Einstellungen die Sympathie mehr verstärken als geteilte Abneigungen. Die Forschenden wunderte das nicht. Immerhin definieren sich die meisten Gruppen über etwas, das sie mögen, sei es Fußball, Musik, Handarbeit oder anderes. „Generell werden Menschen, die sich positiv über etwas äußern, mehr gemocht als solche, die etwas ablehnen“, weiß Hans Alves.

Und noch etwas spricht dafür, dass geteilte Interessen für mehr Sympathie sorgen: Eine Vorliebe für etwas sagt mehr über den entsprechenden Menschen aus als eine Ablehnung von etwas. „Wenn Menschen etwas besonders gerne mögen, haben sie dafür oft ähnliche Gründe“, erklärt Hans Alves. Auch das wurde durch Befragungen wissenschaftlich belegt. „Für die Ablehnung von etwas kann man aber beliebig viele verschiedene Beweggründe haben. Es ist ein bisschen so wie im ersten Satz von Tolstois Roman ‚Anna Karenina‘. Darin heißt es: ‚Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.‘ Da ist durchaus etwas dran.“

Warum jemand Robert Habeck nicht mag

Das Negative habe generell vielfältigere Gesichter als das Positive. „Wenn ich sage, ich bin gesund, dann wissen Sie sehr viel über mich. Wenn ich aber sage, ich bin krank, dann wissen Sie nicht, was von allen denkbaren Gebrechen ich vielleicht habe: Erkältung, Krebs, Arthrose? Die Möglichkeiten sind unzählig“, verdeutlicht er. Das Gleiche gilt für Vorlieben und Abneigungen. Zwei Personen, die dasselbe mögen, haben dafür oft ähnliche Gründe und können aus der Information, dass der andere dasselbe mag, vieles ableiten, das die Person ausmacht. Mögen zwei Menschen dasselbe nicht, sind die Gründe vielleicht unterschiedlich. Zwei Personen mögen beide Robert Habeck – sie wählen vermutlich beide grün und teilen dieselben Werte und Ansichten. Zwei Personen mögen Robert Habeck nicht – die eine, weil sie Umweltaktivistin ist, der andere, weil er AfD wählt.

Um die Auswirkungen von ähnlichen Einstellungen weiter zu untersuchen, hat Hans Alves gemeinsam mit Studierenden eine neue Studie gestartet. Darin geht es darum, wie sich die übereinstimmende negative Einstellung zu eigenen Charaktereigenschaften auf die Sympathie auswirkt. Sind sich zwei Menschen sympathischer, weil sie beide finden, dass sie zum Beispiel zu ängstlich sind? „Es zeichnet sich ab, dass das so lange gilt, wie die ungeliebte Eigenschaft nicht schädlich für andere ist“, so die vorläufige Bilanz des Forschers. „Wenn sich zwei Choleriker treffen, die beide betrübt sind, dass sie cholerisch sind, sich aber durch ihre Unbeherrschtheit gegenseitig schaden könnten, würden sie sich auch nicht deswegen sympathisch finden.“ Es sei denn, die stellen fest, dass sie ein gemeinsames Interesse verbindet – vielleicht das an Tom Waits.

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Veröffentlicht

Dienstag
02. Mai 2023
09:06 Uhr

Dieser Artikel ist am 1. Juni 2023 in Rubin 1/2023 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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