Forschungsdatenmanagement „Die größte Herausforderung sind die Köpfe der Menschen“
Forschungsdatenmanagement – das klingt in erster Linie technisch. Entscheidend ist aber auch eine soziale Komponente, wie Plasmaforscher Achim von Keudell zu berichten weiß.
Daten strukturiert und gut dokumentiert zu speichern scheint auf den ersten Blick keine Herausforderung zu sein. Aber schaut man im Detail auf diese Aufgabe, gibt es einige Hürden zu überwinden. Das Team im Sonderforschungsbereich (SFB) 1316 „Transiente Atmosphärendruckplasmen“ hat sich der Sache angenommen. Warum es einige dicke Bretter zu bohren gab, erzählt SFB-Sprecher Prof. Dr. Achim von Keudell im Interview.
Herr Professor von Keudell, warum ist Forschungsdatenmanagement in Ihrem Bereich eine Herausforderung?
50 Prozent der Forschung in der Physik erfolgt in Großforschungsprojekten, etwa in der Astro- oder Kernphysik, in denen es Standards für die Datenablage gibt. Der Rest findet in kleinen Laboren statt. Dort ist es üblich, dass jede Gruppe eigene Programme für die Datenauswertung oder das Erstellen von Grafiken nutzt oder eigene Tools für die Datenablage. Hinzu kommt, dass die Daten aus verschiedenen Experimenten sehr heterogen sind. Die größte Herausforderung aber sind die Köpfe der Menschen.
Warum?
Viele sehen zunächst den Mehrwert von Forschungsdatenmanagement nicht. Sie haben Sorge, dass andere ihre Daten klauen könnten, wenn man zu transparent damit umgeht. Ich habe auf Tagungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft viel für das Thema geworben – und ich war überrascht, wie viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist und gegen welche Widerstände man ankämpfen muss. Es ist ein bisschen, wie wenn man einem Teenager sagt „Räum dein Zimmer auf“ und als Antwort bekommt „Wieso? Ich find doch alles“.
Jüngere Forscherinnen und Forscher stehen dem Forschungsdatenmanagement häufig offen gegenüber. Andere sehen oft die Vorteile zunächst nicht, weil sie lange Zeit ohne eine standardisierte Form der Datenspeicherung und -dokumentation ausgekommen sind.
Mittlerweile fordern Forschungsförderungsorganisationen und wissenschaftliche Zeitschriften allerdings Transparenz ein.
Ja, die Frage, ob man Daten zugänglich machen muss, gibt es seit ein bis zwei Jahren nicht mehr. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt das Forschungsdatenmanagement, und in vielen Zeitschriften kann man nicht mehr publizieren, ohne seine Daten parallel in einem Repositorium zu veröffentlichen. Trotzdem haben wir hier nach wie vor einen schlummernden Schatz, der gehoben werden muss.
Das ist nachhaltig, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Daten mit Steuergeldern produziert wurden.
Inwiefern?
Es geht nicht nur darum, die Daten irgendwie zu veröffentlichen, sondern so, dass die nächste Generation von Forschenden damit weiterarbeiten kann. Das ist nachhaltig, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Daten mit Steuergeldern produziert wurden.
Bei uns im Sonderforschungsbereich haben wir beispielsweise mit Kolleginnen und Kollegen Standards für die Metadaten erarbeitet: Wenn ich eine Messung durchführe, sind nicht nur die Ergebnisse interessant. Damit jemand die Daten später reproduzieren kann, ist vielleicht auch relevant zu wissen, welche Temperatur im Labor herrschte und mit welchem Messgerät die Aufzeichnung erfolgt ist. Wir haben für verschiedene Experimente diskutiert, welche Metadaten dokumentiert werden müssen, und nutzen im SFB nun ein gemeinsames Repositorium, um die Daten mit einheitlichen Standards abzulegen.
Wie leicht ging das von der Hand?
Wir konnten auf guten Vorarbeiten von unseren Kollegen vom Leibniz-Institut INP in Greifswald aufbauen, die sich schon viele Gedanken zu dem Thema gemacht hatten und eine bestimmte Open-Source-Softwarelösung empfohlen haben. Wie zuvor erwähnt, sind die Daten, die in verschiedenen Experimenten anfallen, aber sehr unterschiedlich. Das in ein größeres Format zu gießen, mit dem alle happy sind, ist nicht leicht. Aber wir haben nun ein System, das rund 50 Leute aus den verschiedenen Bereichen der Plasmaforschung – von technischen Plasmen bis hin zur Biotechnologie – nutzen und das wir kontinuierlich weiterentwickeln.
Mittlerweile ändert sich etwas in den Köpfen!
Und wie steht die breite Plasma-Community inzwischen zu dem Thema?
Mittlerweile wissen wir, dass es besonders überzeugend ist, gelungene Einzelbeispiele zu präsentieren. Wenn man nur auf der Ebene der FAIR-Prinzipen diskutiert, bleibt es zu abstrakt. Konkrete Anwendungsfälle helfen bei der Überzeugungsarbeit. Und mittlerweile ändert sich etwas in den Köpfen!
FAIR-Prinzipien
Viele sehen mittlerweile die Vorteile. Wenn wir Daten gut dokumentiert und zugänglich ablegen, können Forschende Zugriff auf unterschiedlichste Messungen bekommen und übergreifende Analysen durchführen. Das wurde bislang wenig gemacht, aber ermöglicht ganz neue Erkenntnisse. Das hat ein irres Potenzial.
Wer früh mitmacht, hat die Chance mitzugestalten!
Was sagen Sie Kolleginnen und Kollegen, die noch skeptisch sind?
Dass es besser ist, von Anfang mit vollem Herzen bei der Sache mitzumachen, als nach zehn Jahren des Widerstands bemerken zu müssen, dass sowieso kein Weg daran vorbeiführt und dass Standards etabliert wurden, die einem nicht passen. Wer früh mitmacht, hat die Chance mitzugestalten!