Auf einer dünnen Scheibe aus Silizium, einem sogenannten Wafer, werden bewegliche Antriebe mit Methoden der Mikrochip-Produktion im „ForLab Bochum“ gefertigt.
© RUB, Kramer

Mikrosystemtechnik Tropfenballett im Miniaturwunderland

Mit Techniken aus der Mikrochip-Produktion lassen sich winzige Bauteile erzeugen. Forschende aus Bochum lassen sich besondere Tricks einfallen, um sie in Bewegung zu bringen.

Vier glitzernde Kugeln rollen zielgerichtet auf einer silbrigen Oberfläche hin und her. Angetrieben von einer unsichtbaren Kraft vollführen sie unermüdlich synchrone Bewegungen, als würden sie einen gut einstudierten Tanz aufführen. Die Kugeln bestehen aus Wasser oder ähnlichen Flüssigkeiten. Jede von ihnen ist gerade einmal 0,4 Millimeter groß, und damit so winzig, dass man sie mit bloßem Auge kaum ausmachen kann. Forschende vom Lehrstuhl für Mikrosystemtechnik der Ruhr-Universität Bochum haben sie auf einer Miniaturlandschaft aus Silizium deponiert, um ein bewegliches System im Kleinstformat zu erschaffen. Der Antrieb hinter dem Tropfenballett ist die elektrostatische Kraft, mit der wir auch Papierschnipsel oder unsere Haare an einem Luftballon haften lassen können.

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Elektromagnetische Antriebe funktionieren in diesem Format nicht mehr. „Die kleinsten Elektromotoren, die es je gab, waren zwei Millimeter groß“, weiß Prof. Dr. Martin Hoffmann, Leiter des Lehrstuhls für Mikrosystemtechnik. Zu groß also für das, was seine Gruppe benötigt, und zugleich zu ineffizient, um etwas zu bewegen.

Methoden aus der Chip-Produktion

Mit Standardmethoden aus der Mikrochip-Produktion fertigt Hoffmanns Team an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik seine eigenen Antriebe bestehend aus einem Silizium-Untergrund und Wasserkugeln. Daran legen die Forschenden eine Spannung an. So erzeugen sie die elektrostatische Kraft, die die Tropfen zum Kullern bringt.

Wir wollen die Tropfen als Rollen verwenden, um damit winzige Objekte zu transportieren oder präzise auszurichten.


Martin Hoffmann

„Nur die Wasserkugeln zu bewegen ist aber nichts Besonderes“, meint Martin Hoffmann. „Das kann man schon lange. Wir wollen die Tropfen als Rollen verwenden, um damit winzige Objekte zu transportieren oder präzise auszurichten.“ Dass das prinzipiell geht, haben die Bochumer Ingenieurinnen und Ingenieure schon gezeigt. Sie befestigten eine quadratische Platte auf vier Wassertropfen und konnten damit einen rollenden Mini-Tisch erzeugen. „Die Unterseite der Platte müssen wir dazu mit einer wasserabweisenden Schicht versehen, die das Benetzen verhindert“, erklärt Hoffmann. „Nur an den vier Eckpunkten gibt es Stellen, an denen das Wasser an der Platte haftet.“ So werden die Rollen an der Platte gelagert.

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Winziges Zoom-Objektiv geplant

Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft will Hoffmanns Gruppe dieses Konzept nun weiter ausbauen. Die Forschenden erhalten dazu Mittel aus der zweiten Förderphase des Schwerpunktprogramms „Cooperative Multistage Multistable Microactuator Systems“. Unter anderem wollen sie ein dreidimensionales System erzeugen, in dem die Tropfen durch eine Art Hochregallager fahren. So könnte man ein winziges Zoom-Objektiv bauen, in dem der Tropfen die Linse wäre, die sich sowohl verformen als auch in unterschiedliche Positionen bewegen ließe. „Ob das klappen wird, wissen wir aber noch nicht“, gibt Hoffmann zu.

Martin Hoffmann und Lisa Schmitt vom Lehrstuhl für Mikrosystemtechnik
© RUB, Kramer

In anderen Projekten haben seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits erfolgreich bewegliche Kleinstsysteme realisiert – sogar ganz ohne Wassertropfen. Denn Bewegungen lassen sich auch mit speziell geformten Siliziumstrukturen erzeugen, die unter elektrische Spannung gesetzt und von der elektrostatischen Kraft angetrieben werden. Damit das funktioniert, kommt es auf jedes Detail im Bauplan an.

Die Forschenden nutzen dünne Silizium-Strukturen, die als ideal-elastische Federn wirken. Ihr System müssen sie mechanisch sorgfältig austarieren, damit die feinen Strukturen unter allen Bedingungen stabil bleiben. Im Vergleich zu anderen Materialien wie Metallen hat Silizium einen großen Vorteil: „Es altert nicht“, sagt Martin Hoffmann. „Wenn man ein Metallblech verformt, kann es verbogen bleiben. Mit Silizium passiert das nicht. Es kehrt immer wieder in die Ausgangsform zurück, solange man es nicht über eine kritische Grenze belastet, dann bricht es – diese Grenze überschreiten wir natürlich nicht.“

Platzsparende Reflektor-Antennen für Radarsysteme und Zellen unter Druck

Die elektrostatisch angetriebenen Silizium-Federn hat die Bochumer Mikrosystemtechnikerin Dr. Lisa Schmitt für ein System perfektioniert, das einen winzigen Spiegel in definierte Positionen verschieben kann. Genau genommen besteht es aus mehreren Schichten und somit auch aus mehreren Spiegeln, die digital angesteuert und bewegt werden können. Sie lenken Strahlung im Terahertz-Bereich um die Ecke. Je nach Ausrichtung der Spiegel können unterschiedliche Strahlungsmuster erzeugt werden. Nützlich könnte das zum Beispiel für ein kompaktes, energieeffizientes Radarsystem sein, das ohne große Parabolantenne auskommt. Solche Ortungstechniken sind eines der Forschungsthemen im Sonderforschungsbereich „Mobile Material-Charakterisierung und -Ortung durch Elektromagnetische Abtastung“ – kurz MARIE –, in den das Projekt eingebettet ist.

Die bunt erscheinende Vorderseite des Systems ist eine Spiegelfläche, die Terahertz-Strahlung ablenken kann. Durch die beweglichen Komponenten kann sie präzise ausgerichtet werden. Das hier gezeigte Bauteil besteht aus sechs Schichten, die in zwei Dreierpäckchen angeordnet sind. Sie sind versetzt angebracht, um Raum für die digitalen Kontakte zur Ansteuerung zu schaffen (Drähte).
© RUB, Harald Austenfeld

Wie unterschiedlich die Anwendungen für die beweglichen Minisysteme sein können, zeigt ein weiteres Vorhaben, das das Bochumer Team zusammen mit Medizinerinnen und Medizinern angehen möchte. „Wir haben für die Kolleg*innen ein System entwickelt, mit dem man Zellen ärgern kann“, veranschaulicht Hoffmann. Etwas formeller ausgedrückt: Das System kann lebende Zellen mit konstanter Kraft belasten und gleichzeitig messen, ob die Zelle ausweicht oder sich dagegenstemmt.

Der Stempel, der unten aus der Aussparung ragt, ist beweglich und kann definiert Druck auf Zellen oder andere flexible Oberflächen ausüben. Aufgehängt ist er an den zickzackförmigen Federn, und kann mit elektrostatischen Aktoren herausgedrückt werden. Unterhalb der Aktoren befinden sich Sensoren, die die Reaktion der Zelle erfassen. Damit das System nicht zu schwer wird und sich Strukturen unter ihrer eigenen Last durchbiegen, sind viele Bereiche wabenförmig gestaltet. Das hier gezeigte Bauteil ist etwa einen Quadratzentimeter groß; es passen rund 50 Systeme auf einen 100-Millimeter-Wafer. © RUB, Harald Austenfeld

Damit möchte eine medizinische Gruppe Knorpelzellen untersuchen, die sich durch Belastung im Körper unterschiedlich ausdifferenzieren – ein Vorgang, der noch nicht gut verstanden ist. So wie die verschiebbaren Spiegel für Radarsysteme besteht auch der Zellen-Ärgerer aus feinen Silizium-Strukturen, die von der elektrostatischen Kraft bewegt werden. Das Herzstück sind neuartige Zickzack-Strukturen, die als Federn wirken, aber eine konstante Kraft ausüben, auch wenn die Zelle dagegen drückt.

Bewegliche Strukturen entstehen durch Ätzprozess

Die Entwicklung einer solchen Spezialkomponente kann eine Herausforderung sein. Zum einen muss die Mechanik genau ausgetüftelt werden, zum anderen müssen sich die winzigen Strukturen präzise produzieren lassen. Sie entstehen aus großen Silizium-Rohlingen, den sogenannten Wafern, von denen Material mithilfe spezieller Plasmaprozesse abgetragen wird. Durch das Ätzen fallen die nicht benötigten Teile aus dem Wafer einfach heraus; zurück bleiben die gewünschten Strukturen. „Natürlich darf dabei nicht das Falsche herausfallen“, unterstreicht Martin Hoffmann. Ein Tanz auf der Rasierklinge. Denn teils sind die produzierten Strukturen gerade mal zwei Mikrometer dünn, also zwei Tausendstel Millimeter.

Trotz aller Herausforderungen hat die Produktion der Mikrosysteme im Vergleich zur makroskopischen Welt auch Vorteile: „Wir müssen nichts zusammenbauen“, sagt Hoffmann. Das System kommt fertig mit allen notwendigen Verbindungen aus dem Ätzprozess. „Und wenn wir eine Struktur einmal designt haben, können wir sie leicht millionenfach reproduzieren“, so der Bochumer Lehrstuhlleiter.

Hinzu kommt, dass die fertig ausgetüftelten Komponenten wie die oben beschriebenen Spezialfedern auch für andere Anwendungen nützlich sein können. Was sich einmal bewährt hat, wird also auch in anderen Systemen genutzt, sodass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht jedes Mal bei null anfangen müssen. Ideen für neue Anwendungen und Systeme gibt es in Hoffmanns Team noch reichlich. So werden in den Bochumer Laboren auch in Zukunft viele Wassertropfen wie von Geisterhand über Oberflächen tanzen und Miniaturfedern ihre Arbeit verrichten.

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Veröffentlicht

Montag
27. Mai 2024
09:27 Uhr

Dieser Artikel ist am 3. Juni 2024 in Rubin 1/2024 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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