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Das Gespenst der Unregierbarkeit abwehren
Vor der Wahl am 1. September war die Regierungsbildung für rund 80 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer selbst ein wesentliches Thema – vor allem nach den Jahren der Minderheitsregierung von Rot-Rot-Grün und der Allparteienabwehrallianz gegen die AfD. Nach der Wahl steht der Freistaat kurz vor der Unregierbarkeit.
Thüringen ist ein Musterbeispiel für ein segmentiertes Parteiensystem. Die Brandmauer nach rechts und der CDU-Unvereinbarkeitsbeschluss nach links sorgen dafür, dass keine Regierungsmehrheit zustande kommen kann. Derweil läuft eine Initiative innerhalb der CDU, um eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auszuschließen. Gefragt sind kreative Lösungen in diesem zugemauerten Parteiensystem.
An Thüringen lässt sich das Auseinanderdriften von Ost und West nachvollziehen.
Warum schaut die Republik auf den kleinen Freistaat? An ihm lässt sich das Auseinanderdriften der Parteiensysteme in Ost und West nachvollziehen. In Thüringen erneuert und verfestigt sich die Tripolarität aus AfD, CDU und BSW, die sich im Westen so nicht findet. Differenzen werden auch mit Blick auf die Ampel deutlich: Alle drei Parteien mussten um den Einzug in den Landtag zittern. Auf Basis des Wahlergebnisses erscheint die Ampel in Thüringen und Sachsen als eine westdeutsche Regierung.
Hat die Thüringenwahl auch Konsequenzen für NRW? Im Falle einer Regierungsbeteiligung des BSW wird der Bundesrat bunter – und vielleicht auch ein Forum für friedenspopulistische Initiativen. Mittelbare Auswirkungen sind ebenfalls denkbar: Das BSW könnte als mögliche Regierungspartei von Mitläufer-Effekten profitieren. Zudem mag der Eindruck Radikalismus lohnt sich die extremeren Kräfte innerhalb der NRW-AfD beflügeln.
Die Ost-West-Unterschiede werden von Ostdeutschen als zunehmend relevant für die eigene Identität empfunden.
Die starke Resonanz von BSW und AfD im Osten führt auf die Ost-West-Unterschiede zurück, die von Ostdeutschen als zunehmend relevant für die eigene Identität empfunden werden. Möglicherweise eröffnet dieses Bewusstsein auch Spielräume, um das Gespenst der Unregierbarkeit in Thüringen abzuwehren. Mehr Parlamentarismus wagen – durch ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten? Das würde jedenfalls dem in Meinungsumfragen vielfach geäußerten Wunsch nach einer möglichst umfassenden Beteiligung der im Parlament vertretenen Parteien entsprechen.
6. September 2024
13.32 Uhr