Seltenheitswert: Jörg Lorenz zeigt Maren Volkmann die erste Ausgabe der BSZ aus dem Jahr 1967. Da Zeitungspapier eine schlechte Qualität hat, sind erste Alterserscheinungen deutlich zu erkennen.
© RUB, Marquard

Im Archiv Das Gedächtnis der Ruhr-Uni

Täglich entstehen an der RUB Tausende Dokumente. Manche landen in den Papierkorb, andere im Universitätsarchiv. Nur welche? Darüber entscheidet Jörg Lorenz.

Mein Tag beginnt mit einem Blick in den Kleiderschrank. Was trägt wohl ein Archivar? Sakko mit Lederflicken? Pullunder? Auch wenn draußen die Sonne vom Himmel knallt, wird es im Keller des Archivs schon angenehm kühl sein. Und im stillen Kämmerlein Aktenberge zu durchforsten wird mich kaum ins Schwitzen bringen. Das wird ein entspannter Tag, denke ich. Es wird das letzte Mal heute sein, dass ich diesen Gedanken fasse.

Eine Stunde vor dem verabredeten Termin steht plötzlich RUB-Archivar Jörg Lorenz – ohne Pullunder und Lederflicken – in meinem Büro. „Können wir schon jetzt loslegen?“, fragt er. „Es gibt Arbeit!“ Ein Archivbenutzer aus Tübingen kommt um 9 Uhr. Vorher müssen wir noch Akten für ihn zusammensuchen. Er benötigt sie für seine Dissertation.

Das Archiv ist nach Beständen sortiert. Nach dem sogenannten Provenienzprinzip gibt die Herkunft der Akten die Ordnung vor; es gibt keine thematische Sortierung. Hier zu sehen sind Akten der Gleichstellungsbeauftragten, die zur Bestandsgruppe „Zentrale Organe und Verwaltung“ gehören.
© RUB, Marquard

Kurzerhand machen wir uns auf den Weg in Richtung Universitätsbibliothek. Dort wartet schon die nächste Überraschung auf mich: Mit dem Personalaufzug geht es nicht in den Keller, sondern auf die fünfte Etage. Hier gibt es sechs Magazinräume und die Büros der vier Archivmitarbeiter. Angenehme Kühle: Fehlanzeige. Ich ziehe mein Sakko aus.

Unsere erste Anlaufstelle ist eines der Magazine. Der Raum ist gefüllt mit Metallregalen, in denen fein säuberlich sortierte und beschriftete Kartons stehen. Etwa 850 Regalmeter Akten umfasst das RUB-Archiv. „Wir brauchen 23, 56 und 58“, ruft mir Jörg Lorenz zu, und nach einer kleinen Einweisung schaffe ich sogar, die richtigen Kartons aus dem Regal zu fischen und auf eine Transportkarre zu hieven.

Nachdem ich die Akten an den Doktoranden übergeben habe, bin ich schon ein wenig schlauer, was Aufgabe eines Archivars ist: die Überlieferung der Universität der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. „Ohne diese Nutzung hätten wir gar keine Existenzberechtigung“, so Lorenz. Die Mitarbeiter stehen Forschern oder Privatpersonen beratend zur Seite, suchen das passende Material heraus.

Man muss vorwegnehmen, was jemanden in Zukunft interessieren könnte.


Jörg Lorenz

Vorher muss dieses Material aber gesichert und erschlossen werden. Das passiert mit Akten von zentralen Gremien, der Verwaltung oder den Fakultäten. Konkret können das Protokolle, Briefe, ausgedruckte E-Mails, Leitfäden oder handschriftliche Mitschriften sein. Auch wenn es eine Abgabepflicht gibt, halten sich nicht alle RUB-Einrichtungen daran.

Andersherum sind nicht alle Akten interessant fürs Archiv: Sie müssen eine gewisse Bedeutung für die Geschichte der RUB haben. Jüngst auf Lorenz’ Schreibtisch gelandet sind die Akten vom ehemaligen Kanzler Gerhard Möller. Einer der Ordner mit der Aufschrift „Personalentwicklung“ soll mein heutiges Tageswerk werden.

Los geht es mit der Erschließung. „Wir geben dem Benutzer Hinweise, was ihn in der Akte erwartet“, erklärt Lorenz. In wenigen Stichworten oder Sätzen. Kann ja nicht so schwer sein! Ich klappe den prall gefüllten Aktenordner auf. Reden, Briefe, Präsentationen, Stellenausschreibungen und Workshop-Abläufe springen mir entgegen.

Die Jahreszahlen verschwimmen

Es geht um Mitarbeitergespräche, Führungskräftetage und Zielvereinbarungen. Die Jahreszahlen verschwimmen vor meinen Augen: 2009, 2004, 2005. Vergeblich suche ich den roten Faden. Und mir wird klar: Um die Akte inhaltlich zu erschließen, werde ich Tage, nein Wochen, brauchen.

„Für meine erste Akte habe ich Stunden benötigt“, tröstet mich Jörg Lorenz. „Jetzt sind es zehn bis 30 Minuten.“ Was man dazu mitbringen muss? „Analytisches Geschick“, sagt Archiv-Mitarbeiterin Katrin Klimetzek. „Und man muss vorwegnehmen, was jemanden in Zukunft interessieren könnte“, ergänzt Lorenz.

Ich entschließe mich, diesen Schritt zu überspringen. Nicht heute, nicht bei 30 Grad.

Nach der Erschließung einer Akte wird der Inhalt in einem Verzeichnis vermerkt – sowohl online als auch im sogenannten Findbuch. Mein Kopf qualmt, deswegen kommt mir die nächste Aufgabe ganz gelegen: das Entmetallisieren. Ich entferne aus dem Papier alle Heft- und Büroklammern, aber auch Klarsichtfolien und bunte Trennblätter. Das Archivgut soll schließlich nicht verrosten oder ausbleichen.

Danach geht es ans Umbetten: Ich nehme alle Blätter aus dem Ordner heraus und hefte sie – in derselben Reihenfolge – in eine spezielle Aktenmappe. Die Mappe kommt mit zwei weiteren Mappen in einen Karton. Den Karton findet man in Zukunft im Magazin. Zum Beispiel, wenn ein Doktorand in 40 Jahren Unterlagen zur Einführung von Mitarbeitergesprächen an der RUB sucht.

Detektive der Zeitgeschichte

Als Aushilfs-Archivar habe ich aber nicht nur mit Akten zu tun, sondern auch mit Sammlungen. Dazu gehören 20.000 Fotos, die die Entwicklung der RUB dokumentieren; außerdem Drucksachen wie Flyer oder Plakate. Oder auch eine Kopie der Gründungsurkunde der Ruhr-Universität.

Als Katrin Klimetzek und ihre Kollegin Carina Kump im Magazin Plakatschränke öffnen und Dias gegen das Licht halten, werden meine Augen immer größer. Ach, was ist das spannend! Ich fühle mich wie ein Detektiv der Zeitgeschichte.

Exponat aus den Sammlungen: die „Henne“ – der ursprünglich angedachte Umriss des RUB-Geländes
© RUB, Marquard

Ein abwechslungsreicher Tag geht zu Ende – und stimmt mich nachdenklich: Was passiert, wenn es bald statt Briefen nur noch E-Mails, statt Zeitungsausschnitten nur noch Webseiten und Twitter gibt? Digitales Material, das momentan kaum archiviert wird. „Dann entstehen Lücken“, sagt Klimetzek. Bleibt zu hoffen, dass die RUB-Detektive auch dafür schon bald eine Lösung finden, denke ich und wische mir eine Schweißperle von der Stirn.

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Maren Volkmann

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