Soziologie Markus Hertwig erforscht die Solidarität im digitalen Raum
Menschen, die Sorgen und Probleme teilen, entwickeln schnell ein Gemeinschaftsgefühl – auch auf der Arbeit. Was aber, wenn sie sich dabei nie persönlich begegnen?
Die Arbeit verlagert sich zunehmend in die digitale Welt. Nicht selten arbeiten Menschen über die Erde verstreut zusammen, ohne sich je zu begegnen. Wie unter diesen Umständen ein Gefühl der Solidarität entstehen kann, ist eine der Forschungsfragen, mit denen sich Markus Hertwig beschäftigt. Seit April 2021 hat er am Institut für Arbeitswissenschaft die Professur „Soziologie der digitalen Transformation“ inne und beschäftigt sich mit Fragen der digitalen Arbeits- und Wirtschaftswelt.
„Häufig arbeiten Menschen digital vernetzt zusammen, die weit voneinander entfernt sind, nicht die gleiche Sprache sprechen und sich in vollkommen unterschiedlichen Lebenswelten befinden“, erklärt Markus Hertwig. Ihn interessiert, wie dennoch ein Gefühl der Solidarität entstehen kann und unter welchen Umständen sich virtuell vernetzte Menschen in Betriebsräten, Gewerkschaften oder Verbänden organisieren.
Forschung am Beispiel der Click Worker
Dazu betrachtet er mit seinem Team zum Beispiel sogenannte Click Worker. Diese erledigen ihre Arbeit ausschließlich im digitalen Bereich, schreiben etwa Bewertungen oder füllen Umfragen aus. „Dabei verdienen sie oft nur Cent-Beträge und arbeiten unter prekären Bedingungen“, sagt Markus Hertwig. „Sie müssen ihre Aufträge selbst akquirieren, arbeiten häufig bis in die Nacht hinein für schlechte Bezahlung und, wenn der Auftraggeber findet, dass sie ihre Arbeit nicht richtig gemacht haben, fließt auch mal gar kein Geld.“ Diesen Bedingungen seien die Click Worker schutzlos ausgeliefert. „Da liegt es nahe, dass sie sich organisieren“, so der Forscher.
In der aktuellen Phase können wir sozusagen die Geburtsstunde der Solidarität im digitalen Raum beobachten.
Markus Hertwig
Weil persönliche Treffen nicht möglich sind, findet der Austausch häufig in Onlineforen statt. Was passiert dort? Gibt es Zeichen für ein kollektives Handeln? Unter welchen Bedingungen? Und wann kommt es vielleicht sogar zum Streik? Diese Fragen treiben den Wissenschaftler um. „In der aktuellen Phase können wir sozusagen die Geburtsstunde der Solidarität im digitalen Raum beobachten“, sagt er.
Darüber hinaus beschäftigt er sich auch damit, wie digitale Arbeit, etwa das Click Working, die nationalen sozialen Sicherungssysteme unterläuft und somit zu einer Herausforderung für den Sozialstaat werden könnte.