Mit seiner Arbeit möchte Yassir Jakani eine Forschungslücke sichtbar machen. 

© RUB, Kramer

Rechtsextreme Gewalt

Opfer und Betroffene im Fokus der Wissenschaft

Ein Symposium zu Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus möchte die Forschungslücke der Opfer- und Betroffenenperspektive sichtbar machen.

Yassir Jakani erzählt im Interview, warum er ein wissenschaftliches Symposium organisiert, dass die Opfer und Betroffenen von Rechtsextremismus in den Blick nimmt. 

Mitte November planen Sie ein zweitägiges Symposium zum Thema Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Wie ist es zu der Idee für die Veranstaltung gekommen?
Yassir Jakani: Zusammen mit Katja Sabisch habe ich 2025 eine Ausgabe der Zeitschrift psychosozial herausgebracht, in der wir interdisziplinäre Perspektiven auf Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus vorstellen. Beim Call for Papers haben wir bereits dezidiert und explizit versucht, deutlich zu machen, dass uns vor allem die Opfer- und Betroffenenperspektive interessiert. 

Die Einbindung dieser Perspektive ist auch ein Schwerpunkt meiner eigenen Forschung und Lehre. Es geht um eine öffentliche Sichtbarkeit der Opfer und Betroffenen und ihrer Relevanz im Diskurs. Es gab sehr viele Einreichungen, sodass wir nach der Publikation gemeinsam mit dem KKC, dem Hans Kilian und Lotte Köhler Centrum, die Idee hatten, auch eine Veranstaltung daraus zu machen. Einmal um die Opfer- und Betroffenenperspektive weiter hervorzuheben und um sie im Raum Wissenschaft an den Universitäten sichtbar zu machen. 

Wie genau kommt die Betroffenenperspektive im Symposium vor?
Jakani: Mein großes Ziel und der wesentliche Knackpunkt ist es, dass wir nicht nur über die Betroffenen rechtsextremer Gewalt sprechen, sondern mit ihnen gemeinsam diese Perspektive explizit in den universitären Raum hineintragen. Deshalb beginnt das Symposium am ersten Tag mit einer Lesung von Çetin Gültekin und Mutlu Koçak. Çetin Gültekin hat beim rechtsterroristischen Anschlag in Hanau 2020 seinen Bruder verloren. Am zweiten Tag folgt dann die fachliche Auseinandersetzung mit einem opfer- und betroffenenzentrierten Fokus der unterschiedlichen Disziplinen.

Termin

Am 13. und 14. November 2025 findet das Symposium Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus – Interdisziplinäre Perspektiven auf Gewalt, Erinnerung und gesellschaftliche Aushandlung im Gebäude GD auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum statt. Die Veranstaltung ist öffentlich. Kostenlose Anmeldung ist online möglich.

13. November, 16 bis 20 Uhr, HGD 20: Lesung von Çetin Gültekin und Mutlu Koçak mit anschließender Diskussion

14. November, 10 bis 16 Uhr, GD 03/230: Fachvorträge von Barbara Manthe (Universität Bielefeld), Esther Lehnert (Alice Salomon Hochschule Berlin), Gabriele Fischer (Hochschule München), eine Online-Teilnahme ist möglich.

Die Veranstaltung ist eine gemeinsame vom Marie Jahoda Center for International Gender Studies und dem Hans Kilian und Lotte Köhler Centrum.

Warum benötigt es diesen Raum der Sichtbarmachung?
Jakani: Die Forschung ist immer noch stark täterzentriert. Es geht um spezifische Personen und Taten oder um Radikalisierung. Also warum und wie wird jemand zum Täter? Die Opfer- und Betroffenenperspektive als konstitutive Perspektive analytischer Reflexionen ist eher marginalisiert. Es gibt einzelne Studien, aber diese sind eher unverbunden. Die opfer- und betroffenenzentrierte Perspektive kann man als Forschungslücke beschreiben.

Die Gewalt selbst wird häufig als singuläres Ereignis gedacht – als Ausnahme oder Pathologie. Doch rechtsextreme Gewalt ist ein Kontinuum. Die Geschichte der Anschläge der 1990er-Jahre, des NSU, von München, Halle oder Hanau zeigt: Die Gewalt endet nicht mit der Tat. Sie wirkt nach – etwa durch institutionelle Versäumnisse sowie strukturellen Ausschluss aus gesellschaftlicher Anerkennung und Erinnerung.

Der Schwerpunkt liegt während des Symposiums und ihrer Forschung auf Deutschland?
Jakani: Ja, mein Schwerpunkt ist Deutschland. Bei meiner eigenen Forschung setze ich ab 1990 an und gehe bis in die Gegenwart.

Beim Symposium gibt es drei inhaltliche Schwerpunkte. Der erste hat eine historische Perspektive auf rechtsextreme Gewalt als ein Phänomen, das in der Geschichte eine bestimmte Kontinuität hat. Im zweiten Vortrag geht es darum, dass rechtsextreme Ideologie ein heterogenes Konglomerat ist und zum Beispiel Dimensionen wie antifeministischer Gewalt auch Einfluss darauf haben. Und im dritten Vortrag geht es nochmal explizit um die Opfer- und Betroffenenperspektive. Wie bringen sich Opfer und Betroffene ein? Dabei geht es auch um die Praktiken des Erinnerns.

Zur Person

Yassir Jakani arbeitet seit Oktober 2023 an der Ruhr-Universität. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie und am Lehrstuhl für Gender Studies. Er hat Geschichtswissenschaft, Germanistik und Bildungswissenschaften studiert. Jakani ist Promotionsstipendiat im interdisziplinären IPU/KKC-Graduiertenkolleg Traumata und kollektive Gewalt.

Welche Chance oder Herausforderung gibt es, das Thema opferzentriert anzugehen?
Jakani: Die große Chance liegt darin, dass die Wissenschaft den Opfern und Betroffenen eine gleichwertige Stimme geben und damit auch gesellschaftliche oder politische Prozesse beeinflussen kann. Studien der Extremismus- und Terrorismusforschung stoßen regelmäßig breite öffentliche Aushandlungsprozesse an und verdeutlichen, wie sehr wissenschaftliche Erkenntnisse gesellschaftliche Debatten prägen können – auch im Bereich Erinnerungskultur.

Insbesondere aus einer opfer- und betroffenenzentrierten Perspektive wird sichtbar, wie Gesellschaften auf rechtsextreme Gewalt reagieren. Gibt es Veränderungen in der diskursiven Aushandlung dieser Gewalt? Wessen Perspektive wird anerkannt – und wessen nicht? Diese Fragen berühren grundlegende gesellschaftliche Normen, Werte und Machtverhältnisse und gehören daher ins Zentrum wissenschaftlicher Forschung.

Gleichzeitig ist es eine Herausforderung. Es beginnt bei der Begriffstheorie. Warum wir wie welche Begriffe in der Wissenschaft verstehen. Warum ist rechtsextreme Gewalt aus opfer- und betroffenenzentrierter Perspektive grundsätzlich als Rechtsterrorismus zu verstehen? Wobei andere vielleicht sagen, dass bestimmte Taten zwar extrem rechte – aber eben keine terroristischen – Ereignisse sind.

Ein weiterer Punkt ist der, wie wir Todesopfer rechtsextremer Gewalt überhaupt zählen. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt zum Beispiel mehr Opfer solcher Taten als die staatlichen Statistiken darlegen. Was bedeutet dies konkret für die öffentlichen Anerkennungs- und Erinnerungsprozesse? Da sehe ich eine Herausforderung, wissenschaftlich zu argumentieren, wie man auf eine bestimmte Deutung eines Ereignisses und eines Opfers kommt. Hinzu kommt, dass auch nicht alle Betroffenen rechtsextremer Gewalt überhaupt sichtbar werden wollen.

Hochschulen sollten kritisches Denken schulen und Studierende ermutigen, sich für Vielfalt und Demokratie zu positionieren.

— Yassir Jakani

Warum sollten Universitäten diese Themen offen besprechen, wie jetzt in dem geplanten Symposium?
Jakani: Meiner Meinung nach haben Universitäten eine besondere Aufgabe, wenn es um die Förderung der demokratischen Werte geht. Hochschulen sind nicht nur Orte der Forschung, sondern auch Orte, in denen demokratische Werte vermittelt, verhandelt und gelebt werden. Das ist in den Schulen Thema. Aber an der Universität sollte das nicht enden.

Hochschulen sollten kritisches Denken schulen und Studierende ermutigen, sich für Vielfalt und Demokratie zu positionieren. Wissenschaft befindet sich nicht in einem luftleeren Raum. Ich glaube, wir sind mit dem Symposium an der RUB gut aufgehoben. Gerade, weil es in letzterer Zeit klare Positionierungen auch unseres Rektorats gab.

Veranstaltungen und Aktionen für Toleranz und Vielfalt

Die Veranstaltung ist Teil der hochschulübergreifenden Kampagne „Hochschulen zeigen Haltung” rund um Toleranz und Vielfalt. Mehrere Termine sind dazu auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum geplant.

Veröffentlicht

Montag
03. November 2025
09:16 Uhr

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