Biopsychologie Das Ich-Bewusstsein des Federviehs
Eine Studie von Forschenden der Unis Bonn und Bochum legt nahe, dass sich Hähne im Spiegel erkennen könnten.
Scharren, gackern, Eier legen – das war’s? Wer sich mit Hühnerhaltung befasst weiß, dass die Tiere deutlich mehr können. Forschende der Universitäten Bonn und Bochum haben zusammen mit der MSH Medical School Hamburg Hinweise gefunden, dass sich Hähne in einem Spiegel erkennen könnten. Ob dies gelingt, hängt jedoch von den Versuchsbedingungen ab – ein Ergebnis, das über das Experiment mit Hähnen hinausweist und auch für andere Tierarten von Bedeutung sein könnte. Die Studie wurde am 25. Oktober 2023 im Journal PLOS ONE veröffentlicht.
„Ob sich Tiere selbst erkennen können und damit ein Selbstbewusstsein haben, ist eine der zentralen Fragen in der Verhaltensforschung“, sagt die Doktorandin Sonja Hillemacher, die zusammen mit ihrer Kollegin Dr. Inga Tiemann seit Jahren am Institut für Landtechnik der Universität Bonn die Haltung von Hühnern wissenschaftlich untersucht. Auf die Idee, mit Hühnern vor einem Spiegel zu experimentieren, kamen die Wissenschaftlerinnen zusammen mit Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün von der Biopsychologie der Ruhr-Universität Bochum.
Ein gängiger Test zur Selbsterkennung vor einem Spiegel ist der sogenannte Mark Test (deutsch: Markierungstest). Dabei wird zum Beispiel am Kopf des Tiers eine farbige Markierung angebracht, die das Individuum nur vor einem Spiegel erkennen kann. Fängt das Tier an, die markierte Stelle an seinem Körper vor dem Spiegel zu erkunden, gilt das als Beweis dafür, dass es sein Spiegelbild als sich selbst erkannt hat. Allerdings funktioniert dieser Test nicht immer. Manche Tiere, denen Selbsterkenntnis zugetraut wird, nehmen von dem Spiegel keine Notiz. Vielleicht weil sie sich in der künstlichen Experimentalumgebung unwohl fühlen?
Anpassung des Experiments an ökologisch relevantes Verhalten
„Unser Ziel war es, den Spiegel-Test in einer Umgebung durchzuführen, die dem ökologisch relevanten Verhalten der Hühner besser angepasst ist“, sagt Dr. Inga Tiemann. Von Onur Güntürkün stammt die Idee, sich für das Experiment ein natürliches Verhalten des Federviehs zunutze zu machen: „Manche Hühner, aber insbesondere Hähne, warnen ihre Artgenossen durch spezielle Rufe, wenn ein Beutegreifer – etwa ein Greifvogel oder Fuchs – auftaucht.“ Sind die Hähne dagegen alleine mit dem Raubtier konfrontiert, bleiben sie meist stumm, um nicht selbst die Aufmerksamkeit des Beutegreifers auf sich zu ziehen und Opfer zu werden.
Das Forschungsteam wollte zunächst überprüfen, ob der Alarmruf der Hähne in Anwesenheit eines Artgenossen wirklich ertönt und ausbleibt, wenn die Hähne alleine sind. Hierfür hatten die Forscherinnen der Universität Bonn auf dem Campus Frankenforst eine Testarena aufgebaut. Ein Gitter trennte zwei Abteile, durch die sich die Hähne sehen konnten. Dann wurde ein Greifvogel an die Decke eines Abteils projiziert.
58 Hähne waren bei den Experimenten beteiligt
Die Forscherinnen testeten 58 Hähne. Um die Ergebnisse statistisch abzusichern, wurde das Experiment mit jedem Hahn drei Mal wiederholt. Insgesamt stießen die Hähne in Anwesenheit eines Artgenossen 77 Alarmrufe aus – aber nur 17, wenn sie alleine waren. „Manche der Tiere sind mutiger, andere ängstlicher“, sagt Sonja Hillemacher. „Das Ergebnis zeigt aber, dass die meisten Hähne tatsächlich in Anwesenheit eines Artgenossen warnen, wenn ein Fressfeind unterwegs ist.“
Im nächsten Schritt wurde statt des Gitters ein Spiegel zwischen den beiden Abteilen platziert. Wieder wurde der Test mit jedem Tier drei Mal durchgeführt. Insgesamt ertönten bei 174 Versuchen nur 25 Warnrufe. „Das beweist, dass die Hähne in ihrem Spiegelbild keinen Artgenossen identifizierten“, sagt Sonja Hillemacher. Das Ergebnis sei ein Indiz dafür, dass die Hähne sich möglicherweise selbst in ihrem Spiegelbild erkannten.