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Warum kann man mit Tauben etwas über das menschliche Gehirn lernen?
Sie gehören am Lehrstuhl für Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum zu den wichtigsten Mitarbeitenden: Tauben! Um herauszufinden, wie Gedächtnis, Lernen und das Gehirn generell funktionieren, setzen Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün und seine menschlichen Kolleginnen und Kollegen seit Jahrzehnten auf die Vögel. Doch warum gerade sie? Sind sie als Vögel nicht viel zu weit von Säugetieren und damit vom Menschen entfernt, um Rückschlüsse auf unser Verhalten ableiten zu können?
Es ist sogar eine Strategie in der Wissenschaft, ein Modell zu nehmen, das ganz anders ist als der Mensch.
„Gerade der Umstand, dass Vögel über 300 Millionen Jahre lang getrennt eine Evolution durchlaufen haben, dass sie ein vollständig anders strukturiertes Gehirn haben, ist von Vorteil für uns“, erklärt Onur Güntürkün. „Es ist sogar eine Strategie in der Wissenschaft, ein Modell zu nehmen, das ganz anders ist als der Mensch. Wir untersuchen: Wo sind die Gemeinsamkeiten? Wo sind aber auch die Unterschiede? Denn genau so können wir Kernmechanismen des Lernens und Denkens identifizieren, die bei beiden Spezies übereinstimmen. Und dann schauen wir noch weiter: Gibt es die auch bei Oktopussen und Bienen?“, so der Biopsychologe.
Tauben sind unkompliziert
Darüber hinaus bringt die Taube noch viele weitere Vorteile mit sich. So sind sie recht zahm, reagieren selten aggressiv und lassen sich von vertrauten Personen ohne Weiteres anfassen. Zudem haben Tauben ein ungeheures Lernvermögen und eine ungewöhnliche Frustrationstoleranz. Sie können mehrere Stunden ununterbrochen und zuverlässig an einer kognitiv anspruchsvollen Aufgabe arbeiten und sind nicht beleidigt, wenn es eine Weile nicht klappt.
Hochentwickeltes visuelles System
Und noch etwas zeichnet sie aus: „Tauben besitzen wie die meisten Vögel ein hochentwickeltes visuelles System. Ihre Netzhaut sendet Informationen über jeweils zwei bis drei Millionen Nervenfasern an weitere Hirngebiete“, erzählt Onur Güntürkün. Zum Vergleich: Menschen haben pro Auge nur etwa eine Million Nervenfasern. Entsprechend ist ein sehr großer Teil des Taubenhirns mit der Verarbeitung visueller Informationen beschäftigt. Das visuelle Langzeitgedächtnis von Tauben umfasst tatsächlich Hunderte von Bildern, an welche sie sich noch Jahre später erinnern können. Beispielsweise können sie so anhand von Stilmerkmalen Bilder von Monet und Picasso unterscheiden.
Und last but not least: „Wir forschen immerhin mitten im Ruhrgebiet“, sagt Onur Güntürkün mit einem Augenzwinkern. Welches Tier repräsentiert diese Region besser als die Taube? Früher war sie das Rennpferd des kleinen Mannes. Und wie das Ruhrgebiet hat sie den Strukturwandel mitgemacht und arbeitet jetzt an der Uni. Logisch, oder?
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27. September 2024
08.50 Uhr