Serie 500 Jahre Reformation
Forscht zur Frühen Neuzeit und zur Geschlechtergeschichte: Prof. Dr. Maren Lorenz © RUB, Kramer

Interview Luther, der starrsinnige Radikale

Historikerin Maren Lorenz über einen widersprüchlichen Charakter, die Aufwertung der Sexualität und göttliche Wahrheiten.

Was verbinden Sie mit Martin Luther?
Starken Willen und großen Mut, aber auch einen sehr ambivalenten Charakter. Die Kehrseite zeigte sich in recht unchristlicher Unversöhnlichkeit und Hass gegenüber Personen oder auch Gruppen und trug wohl erheblich zur ursprünglich nicht intendierten Spaltung der Kirche und schnellen Zersplitterung der Reformationsbewegung selbst bei. Es bedurfte aber sicher genau so eines starrsinnigen Radikalen, um die massive Korruption und die Doppelmoral der verkrusteten Kirchenstrukturen ernsthaft zu bedrohen.

Was war Ihrer Meinung nach die bedeutendste Folge der Reformation, die unsere Gesellschaft heute noch prägt?
Ich würde hier zwei nennen: zum einen die Aufwertung der Sexualität als etwas, das Gott dem Menschen als Teil seiner Natur mitgegeben hat. Sie bleibt außerhalb der Ehe zwar sündig, ist damit aber nur Teil des gesamten Sündenpakets, das jeder Mensch zeitlebens mit sich trägt, und wird darum nicht per se verteufelt. Zum zweiten Luthers wenigstens theoretisch konsequente Kritik an institutioneller Macht, die damit auch wissenschaftliche Denkverbote unterläuft. Seine Reaktion auf die Bauernkriege zeigt allerdings die Ambivalenz seiner Zwei-Regimente-Lehre, also die Trennung von religiöser und weltlicher Herrschaft. So forderte er vehement die Todesstrafe für alle, die unter Berufung auf christliche Brüderlichkeit gegen steuerlichen Missbrauch und die wachsende Unfreiheit in der Ständegesellschaft aufbegehrten.

Was glauben Sie, wie sich die christliche Kirche in Zukunft verändern wird?
Das wird mit davon abhängen, wie stark sich global evangelikale und traditionalistische Strömungen aller Konfessionen entwickeln. Verunsicherte Menschen und Menschen, die sich um ihre Teilhabe am Diesseits betrogen sehen, tendieren zur ideologischen oder religiösen Radikalisierung. Unhistorisch als göttliche Wahrheit verstandene Texte werden als klare Antworten auf unklare Zeiten verstanden. Letztlich war das auch Luthers Erfolgsrezept und Legitimation. Auch er ließ nur die biblischen Worte als Maßstab allen Handels gelten.

Zur Person

Prof. Dr. Maren Lorenz ist seit 2015 an der RUB und leitet dort den Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit und Geschlechtergeschichte. Im Mittelpunkt stehen die deutsche und europäische Kultur-, Sozial- und Wissensgeschichte vom Anfang des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts. Für die Analyse der modernen und vormodernen europäischen Gesellschaften spielt die Reformation eine entscheidende Rolle: Sie rückte das Ehepaar ins Zentrum der staatlichen Ordnung, wertete Körperlichkeit und Natürlichkeit auf und führte dazu, dass nun jedes Phänomen kritisch hinterfragt werden konnte.

500 Jahre Reformation

Im Jahr 2017 wird in Deutschland und anderen Ländern das 500. Reformationsjubiläum gefeiert. Auch wenn die Erneuerungsbewegung ein jahrzehntelanger Prozess war, gilt der 31. Oktober 1517 als ihr Auftakt. An diesem Tag soll Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche und die Käuflichkeit kirchlicher Ämter veröffentlicht haben. Die Bewegung führte nicht nur, wie anfangs beabsichtigt, zu einer Reformation der römisch-katholischen Kirche, sondern zur Spaltung des westlichen Christentums. Sie wirkte aber auch weit über den religiösen Bereich hinaus und beeinflusste Wirtschaft, Politik, Recht, Kunst, Sprache und Soziales.

Veröffentlicht

Montag
23. Oktober 2017
09:24 Uhr

Von

Julia Weiler

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