„Der Synodale Weg kann Krise. Wir haben den Anschluss der katholischen Kirche an die reale Welt organisiert“, sagt Thomas Söding.
© RUB, Marquard

Synodaler Weg der katholischen Kirche Die Bischöfe bei ihrer Verantwortung gepackt

Thomas Söding berichtet im Interview über das beinahe Scheitern des Synodalen Weges, die erfolgte Kehrtwende und die Bereitschaft der Bischöfe, Laien dauerhaft mitbestimmen zu lassen.

Als Vertreter des zentralen Steuerungsorgans des Synodalen Weges hat Prof. Dr. Thomas Söding an der vierten Synodalversammlung vom 8. bis 10. September 2022 in Frankfurt teilgenommen. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament der RUB und Vizepräsident der Laienvertretung der katholischen Kirche, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Herr Prof. Söding, welches Ziel verfolgt der Synodale Weg?
Anlass seiner Gründung war die wissenschaftliche Untersuchung von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche. Wir wissen, dass sexualisierte Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, aber in der katholischen Kirche gibt es besondere Ausprägungen. Die Forschung hat die Ursachen sichtbar gemacht: mangelnde Transparenz, mangelnde Kontrolle und so etwas Männerbündisches, einen sehr starken Zusammenhalt von Klerikern, der den Schutz der Institution vor den Opferschutz stellt. Der Synodale Weg soll nun eine Strukturreform der katholischen Kirche umsetzen. In ihm hat die Bischofskonferenz nicht mehr allein das Sagen, sondern stimmt sich mit der Laienvertretung ab.

Mitglieder und Abstimmungen des Synodalen Weges

Die Deutsche Bischofskonferenz und das ZdK berufen insgesamt 230 Repräsentanten und Repräsentantinnen in den Synodalen Weg. Dabei versucht die Synodalversammlung, alle Mitgliedergruppen der katholischen Kirche in Deutschland abzubilden. Darunter sind Bischöfe und Priester, Vertreter der Priesterräte, Generalvikare und Ordensleute.

Hinzu kommen die Vertreter und Vertreterinnen der Verbände und Vereine sowie der geistlichen Gemeinschaften. Dabei sind der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, die Katholische Arbeitnehmerbewegung, der Familienbund der Deutschen Katholiken und die Katholische Frauengemeinschaft. Eine besonders wichtige Rolle spielen die Sprecher und Sprecherinnen der Betroffenenbeiräte, die unabhängig sind, aber Rederecht haben.

Grundlage für die Abstimmungen sind von vier Arbeitsgruppen (Foren) vorbereitete Texte, die konkrete Reformen vorschlagen. Bei der ersten Lesung eines Textes entscheiden die Synodalen demokratisch mit 50-Prozent-Mehrheit, ob er in die zweite Abstimmungsrunde kommt oder verworfen wird. Bei der zweiten Lesung wird darüber abgestimmt, ob ein Text zum Beschluss wird. Dafür ist eine Zweidrittel-Mehrheit aller Synodalen und darin die Zweidrittel-Mehrheit der Bischöfe und auf Antrag die Zweidrittel-Mehrheit aller Frauen und nicht-binären Mitglieder notwendig. Nach der Synode sollen die Bischöfe die gefassten Beschlüsse in ihren Bistümern umsetzen.

Welche Reformen haben die Synodalen abgelehnt?
Tatsächlich hat der Grundtext zum Thema Sexualität nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit auf der Bischofsbank erhalten. Die große Mehrheit hat ihm zugestimmt, aber es hat nicht gereicht. Die katholische Ethik kennt traditionell ein fixes Geschlechtermodell: männlich oder weiblich. Sie tut sich schwer, das zu integrieren, was in der Biologie und Medizin über Intersexualität und Transsexualität bekannt geworden ist.

Hinzu kommt, dass in dieser traditionellen Ausprägung katholischer Theologie jede Form von aktiver Sexualität außerhalb einer gültig geschlossenen Ehe als schwere Sünde gilt. Genau diese Engführung muss überwunden werden. Der Grundtext hat es ausgeführt. Etwa einem Drittel der deutschen Bischöfe ging das aber zu weit. Viele haben gesagt: „Die Richtung ist nicht ganz falsch, aber so kann man das nicht machen.“

Die Prinzipien werden hochgehalten, es ist aber klar, dass die Lebensrealität noch anderes fordert.

Die Ablehnung ist sehr bedauerlich: Sie hat Menschen verletzt und ist auch ein intellektuelles Desaster. Denn die katholische Theologie ist dringend darauf angewiesen, im Gespräch mit den Humanwissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaften zu bleiben. Der Grundtext hat dieses Gespräch zusammengefasst. Es muss weitergehen. Man darf das Abstimmungsergebnis aber nicht negieren.

Stand der Synodale Weg vor dem Scheitern?
Ja. Wir vom ZdK hätten nicht weitergemacht, wenn es nach der Ablehnung des Grundlagentextes zur Sexualethik nicht noch eine Kehrtwende gegeben hätte. Aber der Synodale Weg kann Krise. Wir haben es geschafft, uns zusammenzuraufen, um weiter die Menschen zu vertreten, die in der katholischen Kirche ihre Zukunft sehen.

Bekommen Wiederverheiratete weiterhin keinen Segen für ihre neue Ehe?
Segensfeiern gibt es vielerorts längst. Sie sind in den Gemeinden auch weitgehend akzeptiert, aber sie finden unterhalb des kirchenrechtlichen Radars statt. Das ist für katholische Kirchenpolitik nicht ungewöhnlich: Die Prinzipien werden hochgehalten, es ist aber klar, dass die Lebensrealität noch anderes fordert.

Mit dem Synodalen Weg möchten wir jedoch auf kirchenamtlicher Ebene die Zustimmung erreichen. Das würde bedeuten, dass zum Beispiel wieder verheiratete Geschiedene beim Empfang der Sakramente nicht mehr mit Verboten belegt würden, ebenso gleichgeschlechtliche Paare. Bei ihnen hat paradoxer-, aber glücklicherweise ein zur Unzeit kommendes Verbot aus Rom dazu geführt, dass gerade großflächig das Gegenteil von dem passiert, was das Verbot beabsichtigte: Kirchentürme im Zeichen des Regenbogens – ein gutes Bild für Stadt und Land.

Wie geht es mit dem Thema des abgelehnten Textes weiter? 
Die Bischofskonferenz hat sich dazu verpflichtet, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Außerdem haben wir den Grundlagentext zwar nicht als Ganzes verabschiedet. Wesentliche Impulse sind aber dennoch aufgenommen worden und jetzt verbindliche Beschlüsse der katholischen Kirche in Deutschland.

Welche Teile waren das?
Beim Arbeitsrecht und bei einer diskriminierungsfreien Beschreibung der Homosexualität haben wir die erforderlichen Mehrheiten, ganz satt, erreicht. Beispielsweise ist es zwar schon länger keine Praxis mehr, dass ein Chefarzt in einem katholischen Klinikum keine Leitungsposition mehr bekleiden darf, wenn er geschieden und wieder verheiratet ist, aber es fehlte die Rechtssicherheit. Diese wird nun geschaffen. Auch die Verurteilung praktizierter Homosexualität ist überwunden worden, zu spät, aber besser spät als nie.

Die Initiative „Out in Church“ war ein unglaublicher Gewinn.

Bedeutet das, niemand darf mehr aufgrund seiner sexuellen Orientierung von der Arbeit in der katholischen Kirche ausgeschlossen werden?
Ja, zum Beispiel hätte eine Pastoralreferentin, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebte, deswegen angezeigt werden können, insbesondere, wenn sie eine Lebenspartnerschaft eingegangen wäre oder eine Zivilehe geschlossen hätte. Zwar hat diese Denunziation seit zehn bis 20 Jahren faktisch kaum noch eine Rolle gespielt. Trotzdem hat das mögliche erpresserische Moment in dieser Situation das Klima in der Kirche vergiftet.

Deshalb war auch die Initiative „Out in Church“ ein unglaublicher Gewinn. Gläubige haben ihr „coming-out“ in Verbindung gebracht mit ihrem Bekenntnis: „Ich bin und bleibe in der Kirche.“ Deshalb muss sie sich ändern.

Was haben die Synodalen noch beschlossen?
Die Förderung von Frauen in Führungspositionen, beispielsweise in der kirchlichen Verwaltung und in der Rechtsabteilung. Das ist für das Überleben der katholischen Kirche absolut notwendig. Sie ist ja der größte Arbeitgeber in Deutschland. Dann ein Plädoyer für den Diakonat von Frauen – eine weltkirchlich breit angelegte Initiative.

Wir hatten uns auf dem Synodalen Weg mehr vorgenommen, als wir bislang bearbeiten konnten.

Beim Priestertum ist die Situation eine andere. Papst Johannes Paul II. hat eine Erklärung mit sehr hohem Autoritätsanspruch herausgegeben, nach der die katholische Kirche kein Recht habe, Frauen zu Priestern zu weihen. Da müssen wir noch mal ran. Die katholische Kirche in Deutschland – einschließlich der Bischofskonferenz – ist weltweit die erste, die sich auch an dieser Stelle für Frauen positioniert hat. Das hat viel Zustimmung erzeugt, aber auch Widerstand ausgelöst. Inzwischen sehen wir: Es ist ein weltweites Thema. Die katholische Kirche muss sich bewegen.

Haben Sie auch über eine Abschaffung des Pflichtzölibats beraten?
Das zuständige Forum hat den entsprechenden Handlungstext beschlossen. Für die katholische Kirche hat das Thema aber eine so tiefgreifende Bedeutung, dass wir entschieden haben, es mit mehr Ruhe auf der Synodalversammlung im März 2023 anzugehen. Wir brauchen überdies noch eine Verständigung über neue Priesterbilder und -rollen. Auch über Amtszeitbegrenzungen, die über die schon bestehenden Regelungen hinausgehen, konnten wir aus Zeitgründen nicht mehr beraten. Das Thema bleibt auf dem Schirm.

Wie weit sind Sie mit der Einführung eines verbindlichen finanziellen Controllings gekommen?
Sie ist im Grundsatz beschlossen. Die Ausführung muss noch folgen. Wir hatten uns auf dem Synodalen Weg mehr vorgenommen, als wir bislang bearbeiten konnten. Aber wir wissen, wie es weitergeht. Auch dass Amtsträger wie Bischöfe und Pfarrer öffentlich über ihre Amtsführung Rechenschaft ablegen müssen, muss noch ausgeführt werden. Damit wird eine ganz andere Form des Controllings möglich, als bislang üblich. Jeder Bischof darf das aber schon machen. Einige sind bereits dabei, zum Beispiel das Bistum Essen.

Frauen möchten nur mitmachen, wenn sich auch die Verbindlichkeit steigert, ihre Beschlüsse umzusetzen.

Warum gibt es innerhalb der katholischen Kirche so große Transparenzprobleme?
Ich habe mir das Organigramm vom zweitgrößten Bistum, Münster, genau angesehen. Es gibt sehr viele Kommissionen, die historisch gewachsen sind, aber in der Regel nur beraten, nicht auch entscheiden können. Ich bin kein Soziologe, aber ich sehe: Das kann nicht funktionieren. Natürlich gab es gute Gründe für jede einzelne Kommission, weil Themen und Gruppen repräsentiert sein sollen. Beispielsweise gibt es in fast jedem Bistum eine Frauenkommission. Was eine solche Kommission beschließt, ist aber nur ein Appell an den Bischof. Deshalb steigen viele Frauen aus. Sie möchten nur mitmachen, wenn sich auch die Verbindlichkeit steigert, ihre Beschlüsse umzusetzen. Genau das ändert sich gerade, da bin ich ganz zuversichtlich, wir brauchen aber verlässliche Regeln.

Wie geht es weiter mit den angestoßenen Reformen?
Der Synodale Weg ist auf begrenzte Zeit angelegt. Wir sind gerade dabei, die letzte Sitzung für März 2023 zu organisieren. Zudem haben wir eine Fortsetzung beschlossen, die in kompakterer Form die Synodalität auf Dauer stellt.

Es ist eine kleine Systemrevolution, dass sich die Bischofskonferenz dafür mit einspannen lässt. Sie ist das Leitungsorgan der katholischen Kirche auf Bundesebene. Es gibt die Vollversammlung und den Ständigen Rat, in dem alle 27 deutschen Diözesanbischöfe Mitglieder sind. Hier wird beraten und entschieden. Um diese Prozesse synodal zu organisieren, wird zunächst ein Synodaler Ausschuss und dann ein Synodaler Rat gebildet.

In der katholischen Kirche wird es Gremien geben, die nicht – wie bislang – nur beraten, sondern gemeinsam mit der pastoralen Leitung entscheiden können.

In den Synodalen Ausschuss gehen neben den 27 Diözesanbischöfen noch 27 Mitglieder des ZdK und 20 weitere aus verschiedenen Bereichen des kirchlichen Lebens. Sie nehmen in den nächsten drei Jahren gemeinsam die Leitungsaufgabe wahr und bereiten in dieser Zeit einen großen Synodalen Rat vor. Dieser wird nicht so oft tagen, aber seine Mitglieder werden die Entscheidungen über die Zukunftsfragen der Kirche gemeinsam treffen.

Welche Kompetenzen und Pflichten bekommt dieser zukünftige Synodale Rat?
Eine finanzpolitische Kompetenz auf Bundesebene sowie eine konzeptionelle und eine personelle Kompetenz. Auch der Weg dahin ist gebahnt. Es gibt verbindliche Absprachen. Alles, was wir aus Zeitgründen mit dem Synodalen Weg in der bisherigen Form nicht mehr schaffen, wird also weiterbearbeitet.

Grundsätzlich: In der katholischen Kirche wird es Gremien geben, die nicht – wie bislang – nur beraten, sondern gemeinsam mit der pastoralen Leitung entscheiden können. Auf Ebene der Diözese wäre das zusammen mit dem Bischof und auf Gemeindeebene mit dem Pfarrer. Zu dieser Veränderung kommt es nur, wenn der zuständige Bischof mitmacht. Wir können und wollen einen Bischof nicht dazu zwingen. Aber jeder Bischof ist gut beraten, sich nicht zu verweigern.

Wie erfolgreich war die aktuelle Synodalversammlung?
Die Scharte der Ablehnung eines wichtigen Grundtextes bleibt, aber wir haben die Kurve gekriegt, die Bischöfe bei ihrer Verantwortung gepackt und die Synodalität auf Dauer gestellt. Nachdem die eine Abstimmung schiefgegangen ist, haben die Bischöfe ihre Verantwortung wahrgenommen. Ich bin sicher, dass dabei viele über ihren eigenen Schatten gesprungen sind. Insgesamt haben wir den Anschluss der katholischen Kirche an die reale Welt organisiert und gleichzeitig das christliche Evangelium für das Jahr 2022 fortgeschrieben. Inzwischen hat sich die gesamte Weltkirche auf den synodalen Weg gemacht. Wir bringen uns aktiv ein und machen unsere Hausaufgaben in Deutschland.

Veröffentlicht

Donnerstag
10. November 2022
09:36 Uhr

Von

Carina Huber

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