Interview Alt werden mit Technik
Wie technische Hilfsmittel und soziale Netzwerke der Vereinsamung im Alter und anderen Problemen entgegen wirken, haben Forscher in einem EU-Projekt untersucht.
Prof. Heinze, Sie waren die vergangenen vier Jahre in das EU-Projekt Mopact involviert. Worum ging es dabei?
Mopact steht für „Mobilising the potential of active ageing in Europe“. Dabei haben wir zusammen mit einem europaweiten Forschungsnetzwerk untersucht, wie Menschen auch in hohem Alter noch aktiv bleiben. Durch gute medizinische Versorgung und generell gesundheitsbewussteres Leben steigt die Lebenserwartung immer weiter. Die Lebensphase „Alter“ wird somit länger. Heutzutage ist es historisch gesehen erstmalig möglich, dass man sich mit 60 Jahren noch um die 90-jährigen Eltern kümmert. Diese neuen Lebensverhältnisse und die damit einhergehenden Chancen und Verantwortungen haben wir bei Mopact analysiert.
Was genau haben Sie und Ihr Arbeitskreis innerhalb des Projektes untersucht?
Unser Part war das Wohnen im Alter und die Rolle der technischen Assistenzsysteme. Wir haben uns gefragt: Wie eignen sie sich, um die Lebensqualität im Alter zu erhalten? Dabei ist Telemedizin ein wichtiges Thema: Statt ständig zum Arzt zu fahren, könnten Praxen auf digitalem Wege Blutwerte und andere Vitaldaten erhalten. Ältere Patienten müssten dann nur noch bei bedenklichen Befunden in die Sprechstunde kommen.
In den Niederlanden wird diese Form von telemedizinischer Hilfe zum Beispiel längst angewendet. Bei uns in Deutschland hapert es noch an der Umsetzung: Zwar sind wir technisch hervorragend aufgestellt. Doch was den praktischen Einsatz digitaler Assistenzsysteme für Alte und chronisch Kranke betrifft, bewegen wir uns im europäischen Vergleich eher auf Mittelmaß, wenn nicht sogar darunter.
Besonders berührt hat mich ein Bericht aus Estland.
Liegt die mangelnde Verbreitung solcher Assistenzsysteme an Vorbehalten von älteren Menschen gegenüber der Technik?
Natürlich ist für ältere Menschen die Einstiegshürde größer. Was mir klar wurde, ist, dass ältere Menschen nur dann positiv auf Technik reagieren, wenn sie den direkten Nutzen spüren: Wenn die Großeltern zum Beispiel merken, dass sie mit Videotelefonie ihr Enkelkind in Amerika sehen können, dann lernen sie auch mit der entsprechenden Technik umzugehen.
Besonders berührt hat mich ein Bericht aus Estland. Dort haben ältere Menschen geweint, als man ihnen das Tablet wegnahm, das sie bei einem dreijährigem Forschungsprojekt bekommen hatten. Sie hatten die Technik als Kommunikationsmittel dankbar angenommen, um sich weite Wege zu sparen und mit Freunden in Kontakt zu bleiben.
Wenn die Technikbereitschaft der Älteren vorhanden ist, was steht dann dem flächendeckenden Einsatz von Assistenzsystemen im Weg?
Ich glaube, dass wir in Deutschland oft zu stark auf die Hemmnisse und Sorgen gucken. Sicherlich sind ältere Menschen vielleicht nicht ganz so schnell wie Jüngere oder haben Angst, den neuen Fernseher selbst einzustellen. Aber deswegen dürfen wir sie nicht von den technischen Möglichkeiten ausgrenzen. Im Gegenteil: Wir müssen mehr bedürfnisorientierte Technik entwickeln und ältere Menschen aktiv dazu ermutigen, diese auch zu nutzen.
Ältere Menschen behalten so ein Stück Lebensqualität.
Sehen Sie denn auch Nachteile der zunehmenden Digitalisierung?
Viele Menschen befürchten, dass der zunehmende Technikeinsatz die Vereinsamung vorantreibt, die bei älteren Menschen ohnehin oft ein Problem ist. Aber bei Mopact haben wir genau das Gegenteil erlebt: Technik kann ein Schlüssel sein, um mehr zu kommunizieren. Ältere Menschen behalten so ein Stück Lebensqualität, wenn sie zum Beispiel über Tablets mit Freunden und der Familie in Kontakt bleiben.
Wir müssen weg von der negativen Vorstellung: Die Leute werden immer älter, kränker und sind ständig beim Arzt. Bis ins hohe Alter haben die Menschen Eigenverantwortung, die sie auch immer mehr ausleben wollen. Technische Hilfen wie eine Abschaltautomatik für die Herdplatte oder telemedizinische Pflege im eigenen Haus bieten ihnen Annehmlichkeiten und erleichtern ihren Alltag. Dabei kommt es darauf an, dass die Produkte bedarfs- und zielgruppengerecht sind. Um das zu verwirklichen, müssen Fachleute aus Technik, Sozialwissenschaft und aus den sozialen Diensten eng verzahnt zusammenarbeiten. Denn nur interdisziplinär gelingt es, fortschrittliche Technik bestmöglich mit den Bedürfnissen der Älteren zusammenbringen.