Neurologie Parkinson trotzen
Wie man die Bewegungseinschränkungen, die mit Parkinson einhergehen, abmildern oder sogar aufhalten kann, untersucht eine großangelegte Studie des St. Josef-Hospitals.
Ein Zittern der Hände, kleine Schritte, ein gebeugter Gang: Daran erkennt man meist Parkinson im fortgeschrittenen Stadium. Aber auch bereits ein unruhiger Schlaf, der Verlust des Riechorgans oder ein Gefühl der Niedergeschlagenheit können frühe Anzeichen dieser neurodegenerativen Erkrankung sein. Das Risiko, an Parkinson zu erkranken, nimmt mit zunehmendem Alter zu. In Deutschland sind etwa 400.000 Menschen davon betroffen – Tendenz steigend. „Das liegt an der demographischen Entwicklung unserer Bevölkerung mit Zunahme des Anteils älterer Menschen, aber auch an der immer präziseren Diagnostik“, erklärt Prof. Dr. Lars Tönges, Leiter der Sektion Parkinsonerkrankungen und Bewegungsstörungen der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum. Im St. Josef-Hospital arbeitet Lars Tönges daran, die Früherkennung, aber auch die Behandlung der Krankheit zu verbessern. Mit einer sogenannten Parkinson-Komplextherapie möchte der stellvertretende Klinikdirektor Parkinson-Patient*innen helfen, den Verlauf abzumildern. In der breit angelegten ProACT-Studie untersucht er aktuell, wie sich die Parkinson-Komplextherapie auf den Verlauf der Erkrankung auswirkt. Diese Studie ist eine innovative Untersuchung zur Wirksamkeit nicht-medikamentöser Therapien bei Parkinson-Erkrankungen und wurde maßgeblich durch Dr. Raphael Scherbaum, Post-Doc und Studienarzt am St. Josef-Hospital mitentwickelt.
Anzahl der Menschen mit Parkinson steigt
„Parkinson ist die häufigste Bewegungsstörung in der Neurologie. Sie ist primär auf eine Schädigung der Dopamin-haltigen Nervenzellen zurückzuführen“, erklärt Lars Tönges. Diese Nervenzellen unterliegen aus bisher nicht eindeutig geklärter Ursache einer vorschnellen Alterung und funktionieren damit nicht mehr vollständig. Beim Patienten führt das zu Bewegungsstörungen. Das Risiko an Parkinson zu erkranken, steigt mit dem Alter.
Die Verfahren zur Diagnostik sind besser und genauer geworden.
Lars Tönges
„Insbesondere in Europa ändert sich gerade die Altersstruktur der Bevölkerung deutlich. Daher nimmt auch die Zahl der Menschen mit Parkinson zu. Außerdem sind die Verfahren zur Diagnostik besser und genauer geworden“, erklärt der Neurologe. Neben der altersassoziierten Parkinson-Erkrankung gebe es zudem einige seltenere Parkinson-Formen, die auf Erbgutveränderungen zurückzuführen seien. Auch immunologische Veränderungen, etwa Entzündungen im Körper, sowie einige internistische Erkrankungen können sich auf das Nervensystem auswirken und das Risiko für Parkinson erhöhen. Zudem stehen spezielle Pestizide und andere Umwelttoxine im Verdacht Parkinson auslösen zu können.
Frühdiagnostik optimieren
In der neurologischen Klinik des St. Josef-Hospitals möchte man mithilfe von digitalen Bewegungsanalysen und neurobiologischen Untersuchungen von Blut und Nervenwasser noch früher die Erkrankung erkennen, deren Verlauf voraussagen und Diagnosen bestätigen können. Hierzu kommen Sensoren zum Einsatz, mit denen man schon vor dem manifesten Ausbruch der Krankheit Bewegungsveränderungen, die auf Parkinson schließen lassen, erfassen kann. „Diese digitalen Messmethoden möchten wir gerade für die Frühdiagnostik optimieren“, so Tönges.
Vor allem forscht man in Bochum auf Hochtouren zu neuen Therapieformen. „Eine Tablette zur Heilung von Parkinson gibt es noch nicht, aber wir arbeiten daran, die Behandlung von Parkinson in jeder Erkrankungsphase zu verbessern“, betont Tönges. Dabei geht es auch um die Frage, wie man Medikamente noch besser in der Therapie einsetzen kann. „Als eines der führenden Zentren in Deutschland nehmen wir an weltweit laufenden pharmakologischen Studien teil, die sich auch auf die Heilung genetisch-assoziierter Parkinsonerkrankungen fokussieren“, so der Neurologe. Ein weiteres Hauptaugenmerk in Bochum liegt auf den nicht-medikamentösen Behandlungsformen wie der Parkinson-Komplextherapie.
Verbesserung der Mobilität
In einer explorativen Pilotstudie mit 25 Patient*innen hat das Team um Lars Tönges bereits die Machbarkeit des Studiendesigns und die grundsätzliche Wirksamkeit der Behandlung bestätigt. „Unsere Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich nach der 14-tägigen Behandlung sowohl die Schrittgeschwindigkeit als auch die Schrittlänge unser Patient*innen verbessert hatte. Letztere verlängerte sich von anfänglichen 80 Zentimetern auf 85 bis 90 Zentimeter, was als sehr wichtige Verbesserung der allgemeinen Mobilität gewertet werden kann“, fasst Tönges zusammen.
Schrittlänge und Geschwindigkeit sind so bedeutend für unsere Lebensqualität.
Lars Tönges
Das Team hat mit dieser Studie außerdem zeigen können, dass die gewählten Parameter und die Analyse mithilfe von Bewegungssensoren bestens geeignet sind, um Verbesserungen in der Parkinson-Komplextherapie abzubilden und nachzuweisen. „Schrittlänge und Geschwindigkeit scheinen triviale Faktoren zu sein. Aber sie sind letzten Endes auch ein indirekter Indikator für die Lebensqualität, die so bedeutend für den Menschen ist. Unser Alltag verbessert sich entscheidend, wenn wir schneller und sicherer laufen können“, betont Tönges.
Studie mit 100 Patientinnen und Patienten
Das initiale Studiendesign wird nun in der ProACT-Studie auf 100 Patient*innen in einer kontrollierten Studie ausgeweitet. „Wir wollen noch genauer verstehen, was durch diese Form der Spezialbehandlung alles verbessert wird.“ Wie genau profitieren die Patient*innen von der Therapie? Wie verändert sich dadurch ihr Alltag? Welchen Unterschied macht es, wenn man mit der Behandlung frühzeitig anfängt? Und was bedeutet das im Umkehrschluss für Patient*innen, die länger auf eine solche Therapie warten müssen?
Übungen für die Motorik
Auf dem Stundenplan stehen 14 Tage lang Übungen für die Motorik, etwa im Rahmen von Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. „Wir organisieren auch Tischtennisturniere oder lassen sie motorisch anspruchsvolle Videospiele durchführen, die sich als besondere therapieeffizient gezeigt haben“, erzählt Lars Tönges. Auch medikamentös werden die Patient*innen neu eingestellt. Das Team der Neurologie arbeitet dabei auch mit Fachpersonal aus der Inneren Medizin, Orthopädie, Augenmedizin, Dermatologie und Psychiatrie zusammen. Diese Zusammenarbeit sei wichtig, denn die Bewegungseinschränkungen von Parkinson-Patient*innen gingen mit unterschiedlichen Begleitsymptomen einher.
Bewegung ist ein zentrales Element des Mensch-Seins.
Lars Tönges
„Bewegung ist ein zentrales Element des Mensch-Seins. Wenn das nicht mehr funktioniert, hat das gravierende Folgen. Einige Menschen reduzieren aus verschiedenen Gründen ihre Bewegungsaktivität und geraten in eine Abwärtsspirale. Es ist wichtig, spätestens dann mit der Behandlung anzusetzen und wieder nach vorne zu schauen“, weiß Tönges.
Vor und nach dem Intensivprogramm sowie sechs Monate später werden die Teilnehmer*innen der Studie klinisch untersucht. Zudem müssen sie mehrere praktische Übungen absolvieren. Eine besteht darin, eine 20 Meter lange Strecke möglichst schnell hinter sich zu legen; bei einer anderen sollen sie während des Gehens eine Rechenaufgabe lösen oder Kreuze setzen. Auch die Balance wird getestet. So sollen die Teilnehmenden 30 Sekunden lang auf einem Balancepad ihr Gleichgewicht halten – mit offenen und geschlossenen Augen.
Uns ist wichtig, dass wir in unserer Testumgebung die Realität so nah wie möglich abbilden.
Lars Tönges
Bei all diesen Übungen tragen die Patient*innen oberhalb des Hüftknochens und an den Fußgelenken Sensoren, die ihre Schrittgeschwindigkeit, Schrittlänge, die Flugphase des Fußes oder die Asymmetrien der Füße festhalten. „Uns ist wichtig, dass wir in unserer Testumgebung die Realität so nah wie möglich abbilden. Ablenkungen zum Beispiel gehören einfach zum Alltag dazu“, betont Tönges.
Eine Auszeit vom Alltag
Die ProACT-Studie ist bereits im vollen Gange. Schon jetzt zeichnen sich bei den ersten Studienteilnehmer*innen Erfolge ab. „Bei unseren Patient*innen spricht die Therapie gut an. Für viele sind die 14 Tage eine Auszeit vom Alltag“, berichtet Assistenzärztin Jennifer Schmidt-Fleischer. „Man merkt, wie sie den Aufenthalt genießen und sich voll auf ihre Therapien konzentrieren können“, ergänzt ihre Kollegin Annika Horstmann. „Viele schließen direkt an die Behandlung einen Urlaub an, weil sie sich danach so viel beweglicher und besser fühlen. Sie können viel intensiver an Aktivitäten teilnehmen. Sie fühlen sich gefestigter – mental und körperlich.“ Dafür sorgen insbesondere die optimierte Medikation und die enge Taktung der Anwendungen.
Mit den Ergebnissen der ProACT-Studie rechnet das Team bis Ende 2025. „Wir hoffen natürlich, dass die Betroffenen möglichst lange davon profitieren, dass die Behandlung nachhaltig wirkt und sie dazu motiviert, sich bewusst mehr zu bewegen“, fasst Tönges zusammen. Dem Neurologen geht es dabei um mehr als nur die Einnahme von Tabletten und regelmäßige Krankengymnastik. „Wenn wir sie dazu bewegen, ihren Lebensstil zu überdenken, Veränderungen im Alltag vorzunehmen, körperlich aktiver zu werden, dann haben wir es geschafft. Das ist dann das eigentliche Erfolgsgeheimnis.“
Das Rezept? Ein gesunder und aktiver Lebensstil.
Lars Tönges
Es mag vielleicht noch nicht die Pille gegen Parkinson geben, aber eines steht fest: Wir haben es in der Hand, das Risiko an Parkinson zu erkranken zu reduzieren beziehungsweise den Erkrankungseintritt zu verzögern. „Selbst bei einer erhöhten Risikokonstellation, kann man mit dem eigenen Verhalten dagegen steuern und dafür sorgen, dass die Krankheit gar nicht oder erst später ausbricht oder milder verläuft“, so Tönges. Das Rezept? „Ein gesunder und aktiver Lebensstil: gute Ernährung und körperliche Aktivität mit Ausdauersport, Kraft- und Koordinationstraining. Wenn man sich gut um sich kümmert, werden es einem Körper und Gehirn sicher danken.“