Medizinethik Forschung mit Demenzkranken
Demenzpatienten sind im fortgeschrittenen Krankheitsstadium häufig nicht selbstbestimmungsfähig. Dennoch erlaubt ein 2017 erlassenes Gesetz die Forschung mit diesen Patienten.
Gegen Demenzerkrankungen gibt es bislang keine zufriedenstellende Behandlung. Die Suche danach ist ein Forschungsfeld mit großer Bedeutung für die Betroffenen und auch für die Gesellschaft, denn aufgrund des demografischen Wandels wird es immer mehr demenzkranke Menschen geben. Um auf dem noch weiten Weg voranzukommen, sind wissenschaftliche Studien mit Demenzpatienten notwendig. Was aber, wenn die Patienten aufgrund ihrer Demenz nicht mehr in der Lage sind, in die Teilnahme an einer Studie einzuwilligen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Forschungsprojekt, das seit 2016 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann, Medizinethiker an der Ruhr-Universität Bochum, ist mit seinem Team daran beteiligt.
Herr Professor Vollmann, was macht das Thema so aktuell?
Im Jahr 2017 hat es eine wichtige Gesetzesänderung gegeben: Bis dahin war die Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Probanden nur dann erlaubt, wenn die Teilnahme mit einem potenziellen eigenen Nutzen verbunden war. Das ist bei Demenzpatienten oft nicht der Fall: Diese Forschung wird in vielen Fällen erst dann Früchte tragen, wenn die Patienten, die daran beteiligt waren, selbst verstorben sind.
Die neue Gesetzgebung erlaubt die Teilnahme nicht einwilligungsfähiger Patienten auch dann, wenn es um den sogenannten Gruppennutzen geht. Das war in Deutschland über Jahrzehnte hinweg hoch umstritten, wohl auch, weil man aufgrund der Nazi-Vergangenheit die Gefahr des Missbrauchs einer solchen Regelung fürchtete.
Das geänderte Gesetz enthält deshalb auch eine bedeutende Einschränkung: Die gruppennützige Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Probanden ist nur dann erlaubt, wenn diese in Zeiten, in denen sie noch einwilligungsfähig waren, eine Forschungsvorausverfügung verfasst haben.
Wie könnte so eine Verfügung aussehen?
Das lässt das Gesetz offen. Und hieran arbeiten wir unter anderem. Man könnte ja auf die Idee kommen, dieselben Bedingungen an eine Forschungsvorausverfügung zu stellen wie an eine Patientenverfügung. Letztere muss im doppelten Sinne konkret sein: Es müssen konkrete Situationen und konkrete Maßnahmen beschrieben sein, die der Patient wünscht oder eben nicht.
Die Frage ist nun, wie setzt man das Gesetz um?
Ein Beispiel: Die Aussage „Ich will keine Medikamente“ ist viel zu pauschal. Es könnte zum Beispiel heißen: „Falls ich eines Tages an einer Demenz im Spätstadium leide, in dem ich meine Angehörigen nicht mehr erkenne, wünsche ich keine künstliche Ernährung zum Beispiel mittels einer PEG-Sonde.“ Dieses Maß an Konkretheit kann für eine Forschungsvorausverfügung nicht gelten, denn Forschung ist nicht vorhersehbar.
Die Frage ist nun, wie setzt man das Gesetz um? Ist die Hürde so hoch, dass sich am Ende doch gar nichts ändert? Um dem entgegenzuwirken, haben wir einen Vorschlag erarbeitet, wie eine solche Verfügung aussehen könnte: Sie sollte nur allgemeine Aussagen enthalten, etwa, dass jemand grundsätzlich bereit ist, für den Bereich der Alzheimer-Erkrankung an Forschung teilzunehmen. Einschränkungen sind natürlich auch möglich, zum Beispiel, jemand möchte nur an neuropsychologischen Tests teilnehmen, aber nicht an Medikamentenstudien oder umgekehrt.
Auf Grundlage dieser Verfügung muss dann im konkreten Fall der rechtliche Betreuer prüfen, ob der nicht einwilligungsfähige Patient an einer konkreten Studie teilnehmen darf.
Wie würde sich dieser Vorschlag niederschlagen, wenn Sie damit erfolgreich wären?
Wenn unser Vorschlag erfolgreich ist, könnte das Gesetz zum Beispiel präzisiert werden – was eher unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlicher ist, dass diese Regelungen in Form von Verordnungen festgehalten werden, die das zuständige Ministerium erlässt.
Auch könnten sich die Forscher selbst verpflichten, sich an solche Regeln zu halten, unabhängig davon, ob sie gesetzlich verankert sind oder nicht. Dann würden sie in Leitlinien festgehalten, die die medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften herausgeben.
Es geht darum, das Beste rauszuholen, was noch an Selbstbestimmung möglich ist.
Wie lässt sich denn eigentlich feststellen, ob ein Patient einwilligungsfähig ist oder nicht?
Die Grenze zwischen einwilligungsfähig und nicht einwilligungsfähig ist in der Praxis nicht immer leicht festzustellen. Demenzpatienten sind zum Beispiel morgens oft klarer als abends, wenn sie müde sind. Ein Gespräch, in dem die Einwilligungsfähigkeit für eine bestimmte Frage geklärt werden soll, sollte dann eher am Morgen stattfinden. Es sollte in ruhiger Umgebung und mit ausreichend Zeit stattfinden. Der Arzt oder die Ärztin sollte eine verständliche Sprache wählen, überprüfen, was der Patient verstanden hat, und gegebenenfalls die gegebenen Informationen wiederholen. Kurz gesagt, es geht darum, das Beste rauszuholen, was noch an Selbstbestimmung möglich ist.
Wichtig ist auch: Patienten können in manchen Dingen durchaus selbstbestimmungsfähig sein, in anderen aber nicht. Eine demenzkranke Frau kann natürlich selbst entscheiden, ob sie lieber Tomaten- oder Erbsensuppe essen möchte. Aber ob sie besser Medikament A oder B nehmen sollte, kann sie nicht mehr selbst entscheiden, diese Frage ist zu komplex.
Welche Zeichen kann man deuten, um herauszufinden, ob jemand selbstbestimmt entscheiden kann?
Eine gute Methode, um herauszufinden, ob jemand verstanden hat, was man ihm erklärt, ist, es ihn in seinen eigenen Worten wiedergeben zu lassen. Es geht dabei weder um einen Gedächtnistest noch um eine wortgleiche Wiederholung der ärztlichen Informationen.
Wer ferner eine Entscheidung nachvollziehbar begründen und die Vor- und Nachteile einer Behandlung beziehungsweise einer Studienteilnahme erkennen und kommunizieren kann, ist wahrscheinlich auch in der Lage, selbstbestimmt zu entscheiden.