Politikberatung Warum Transparenz wichtig ist
Helmut Karl über die Grenze zwischen wissenschaftlich fundierter Aussage und persönlicher Meinung.
Herr Professor Karl, denken Sie, dass Wissenschaftler, speziell Ökonomen, eine Verantwortung haben, sich am Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Gesellschaft zu beteiligen?
Politische Probleme vom Klimaschutz bis hin zur Flüchtlingspolitik können aufgrund ihrer Komplexität besser gelöst werden, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in den Diskussions- und Entscheidungsprozess einfließen. Insofern sollten nicht nur Ökonomen, sondern je nach Fragestellung Soziologen, Klimaforscher, Mediziner und andere Wissenschaftler Erkenntnisse in Politik und Gesellschaft transferieren.
Als Politikberater sind Sie gleichzeitig Wissenschaftler, ein von der Politik beauftragter Experte und eine Privatperson mit einer politischen Meinung. Kann man verhindern, dass diese Rollen verschwimmen?
Es wird immer versucht, Wissenschaftler für Gruppeninteressen und Meinungen zu vereinnahmen. Das ist auch nicht schlimm. Wissenschaftler sollten aber im Gegensatz zu anderen in der politischen Willensbildung überprüfbare Tatsachenaussagen einspeisen, etwa die Frage beantworten, welche Wohlfahrts-, Wachstums- und Verteilungswirkungen sich mit Freihandelsabkommen wie TTIP verbinden.
Empirische Untersuchungsergebnisse können sich allerdings widersprechen, zum Beispiel, wenn das Design der Studien unterschiedlich ausfällt. Beratungsbotschaften an Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit müssen daher hinsichtlich der Annahmen, Methoden und theoretischen Hintergründe transparent gemacht werden. Es kann ein Ideenwettbewerb darüber geführt werden, welcher Ansatz theoretisch und methodisch für ein wirtschaftspolitisches Problem geeignet ist.
Lässt sich das komplexe Sozial- und Wirtschaftsgefüge ausreichend theoretisch analysieren, um der Politik verlässliche Empfehlungen an die Hand zu geben?
Gerade weil es sich um ein komplexes und zudem dynamisches Gefüge handelt, gibt es auch fast 200 Jahre nach der Begründung der klassischen Ökonomie durch Adam Smith konkurrierende Erklärungsansätze zum Beispiel über die Effizienz und Stabilität von Märkten. Auf der anderen Seite gibt es einen umfangreichen Pool theoretisch gut erforschter Kausalzusammenhänge. Dies gilt etwa für die Wachstumsökonomik, deren Erkenntnisse in den Aufbau Ost und die Europäische Regionalpolitik eingeflossen sind.
Eine Meinung sollte nicht deshalb mehr Gewicht haben, weil es die eines Wissenschaftlers ist.
Wenn Sie zu einer wirtschaftspolitischen Frage Stellung nehmen, haben Sie diese dann zunächst aufwendig wissenschaftlich analysiert? Sollten Politikberater auch Antworten auf Fragen liefern, die nicht den Kern des eigenen Forschungsschwerpunktes treffen?
Über Kausal- und Tatsachenzusammenhänge wird man vermutlich in seinem Kerngebiet besser Bescheid wissen. Insofern muss ich nicht immer erst neu in den Elfenbeinturm, wenn ich Stellung nehme. Auch halte ich es für sinnvoll, sich nicht ausschließlich auf sein Kerngebiet zu beschränken, weil dann Vielfalt und Ideenwettbewerb zu kurz kommen. Aber am Ende muss ich auf der Basis empirisch nachweisbarer Kausalzusammenhänge argumentieren, ansonsten äußere ich eine Meinung. Diese sollte nicht deshalb mehr Gewicht haben, weil es die eines Wissenschaftlers ist.