Biologie Wie sich das Gehirn von Huftieren entwickelt
Meist wird die Hirnentwicklung an Nagetieren untersucht. Von diesen kann man aber nicht einfach auf alle Säugetiere schließen.
Huftiere müssen sofort nach ihrer Geburt mit ihren Herden ziehen und kommen daher mit nahezu komplett ausgereifter Wahrnehmung und Motorik auf die Welt. Über ihre Gehirnentwicklung ist bislang wenig bekannt. Denn diese ist überwiegend an unreif geborenen Spezies, beispielsweise Nagetieren, erforscht worden. Neue Einblicke in die Entwicklung des zentralen Nervensystems bei Huftieren hat ein Team der Ruhr-Universität Bochum um Laura Ernst und Prof. Dr. Petra Wahle aus der Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie gemeinsam mit Kollegen aus Heidelberg und Spanien sowie vom Regionalverband Ruhr Grün gewonnen. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Brain Structure and Function“ vom 9. August 2018 beschrieben.
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten die Gehirnentwicklung vom 35 Tage alten Embryonalstadium bis 30 Tage nach der Geburt an Föten des Europäischen Wildschweins. Die Föten stammten von Wildtieren, die im Rahmen der Populationskontrolle nach deutschem Jagdrecht erlegt worden waren.
Gehirnfurchen bilden sich früh
„Ausgewachsene Wildschweine haben ein hochgradig gefurchtes Gehirn. Das grundlegende Muster ist bereits im 60 Tage alten Embryo erkennbar, also etwa nach der Hälfte der 114-tägigen Tragezeit“, beschreibt Laura Ernst eines der Ergebnisse der Studie. Bis zur Geburt ist das Furchungsmuster weitgehend ausgereift.
Die Gruppe untersuchte auch die Entwicklung von bestimmten Nervenzelltypen und konzentrierte sich dabei auf die sogenannten NPY-Neurone, die ihren Namen der Produktion des Signalmoleküls Neuropeptid Y verdanken. Genauer gesagt schauten sie auf die embryonal vorhandenen NPY-haltigen Axonal-loop-Neurone, die in der kortikalen Subplate vorkommen, einer vorübergehend in der Großhirnrinde der Säugetiere vorhandenen Schicht, welche die ältesten kortikalen Neuronen enthält.
Annahme widerlegt
Bislang waren Forscher davon ausgegangen, dass diese Neuronen den hemmenden Botenstoff Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) herstellen würden; diese Annahme bestätigte sich jedoch nicht. Weitere Studien müssen zeigen, ob es sich um ein erregendes oder ein rein modulatorisches System handelt.
Das Neuronensystem der Subplate wird bis zur Geburt durch Zelltod eliminiert. Bereits 30 Tage vor der Geburt lassen sich in der Hirnrinde die Neuronentypen erkennen, die auch im erwachsenen Gehirn noch zu finden sind. Diese Neuronen produzieren, wie zuvor angenommen worden war, dann auch den Botenstoff GABA und sind in ihrer Wirkung hemmend. Bei Nagetieren und Fleischfressern lassen sich die NPY-Neuronentypen der adulten Hirnrinde erst etwa zwei Wochen nach der Geburt beobachten.
Zellen früh funktionell
Weitere Untersuchungen ergaben, dass die NPY-Neuronen bereits in den frühen fetalen Stadien funktionell sind. Ihre Axone besitzen ein beta-IV-Spektrin-positives Axoninitialsegment: Es ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Zellen elektrische Aktionspotenziale erzeugen können. Mit verschiedenen mikroskopischen Methoden wiesen die Neurobiologen nach, dass die Axoninitialsegmente beim Wildschwein bereits in frühen fetalen Stadien existieren und sich dann schnell entwickeln.
„Die Neuronentypen sind ihrem Erscheinungsbild nach bei Huftieren, Nagern und Carnivoren sehr ähnlich“, resümiert Petra Wahle. „Aber der zeitliche Verlauf der Reifung ist bei Huftieren in die Fetalperiode verlagert. Eine interessante Frage wäre nun, ob und wann bei Huftieren die Umwelt die plastische Hirnentwicklung beeinflusst, die bei Nagern so viel untersucht worden ist.“