Neurowissenschaft Was im Gehirn passiert, wenn sich die Sinne schärfen
Übung macht den Meister – zum Beispiel, wenn es darum geht, feine Unterschiede sehen oder hören zu können. Das klappt aber nur, weil Nervenzellen Teamplayer sind.
Maler sehen Farbschattierungen oft nuancierter als Laien, Musiker hören feinere Abstufungen in Tönen, und Radiologen können anhand feinster Schatten organische Veränderungen in medizinischen Aufnahmen erkennen. Was genau im Gehirn passiert, wenn sich die Sinneswahrnehmung auf diese Weise verbessert, hat ein internationales Forschungsteam mit RUB-Beteiligung untersucht. Die neuen Erkenntnisse über das sogenannte perzeptuelle Lernen beschreibt die Gruppe aus Großbritannien, Deutschland, Italien und den USA in der renommierten Zeitschrift Nature Communications vom 12. Oktober 2018.
Generalisten und Spezialisten
Auf Zellebene sind zwei Mechanismen des perzeptuellen Lernens denkbar: Es könnte hochspezialisierte Hirnzellen für verschiedene Wahrnehmungsleistungen geben, die mit entsprechendem Training immer besser werden. „Es könnte aber auch sein, dass die Generalisten unter den Nervenzellen durch adäquates Training plötzlich zu Spezialisten werden“, beschreibt Claudia Distler vom Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie der RUB.
Die Forscherinnen und Forscher interessierten sich auch dafür, ob einzelne Zellen durch das Training einen größeren Einfluss gewinnen oder ob sich die Wahrnehmungsleistung von vielen Zellen auf einmal verbessert.
Das Ensemble wird wichtiger als die Stars im Ensemble.
Claudia Distler
Frühere Studien hatte bereits Hinweise darauf erbracht, dass es in den visuellen Arealen des Gehirns hochspezialisierte Zellen gibt, die sich durch Übung weiter spezialisieren. Die aktuelle Untersuchung zeigt jedoch, dass das nicht der einzige Mechanismus ist: Anhand von Langzeitmessungen bei Rhesusaffen in einem Bereich der Sehrinde, V4 genannt, zeigten die Wissenschaftler, dass auch Generalisten zu Spezialisten werden könnten. Außerdem kooperieren Generalisten und Spezialisten nach dem Training mehr miteinander. „Man könnte auch sagen, dass sich das Leistungsgefälle im Team verringert“, erklärt Distler. „Das Ensemble wird wichtiger als die Stars im Ensemble.“ Dadurch gewinnt die Arbeit jeder einzelnen aktivierten Nervenzelle an Einfluss auf die Wahrnehmung und Entscheidungsfindung.
„Diese Veränderungen ermöglichen Wahrnehmungsleistungen, die das Leben verschönern im Bereich der Kunst, die Leben retten im Bereich der Medizin und die unseren Alltag einfacher machen, weil wir Dinge, mit denen wir häufig zu tun haben, schneller sehen, begreifen oder hören“, resümiert die Bochumer Neurobiologin.