Jura Straftaten in virtuellen Welten
Wer im Computerspiel die Schätze anderer Avatare plündert, verhält sich moralisch fragwürdig. Aber ist die Tat auch strafbar? Eine Antwort könnte sich im Fußball finden.
Computerspielwelten können komplex und gefährlich sein – für die Avatare, die sich in diesen Welten bewegen, aber manchmal auch für die Spielerinnen und Spieler, die die Avatare steuern. Denn nicht immer ist die Grenze zwischen realer und virtueller Welt leicht zu ziehen. Das zeigt ein Fall, der 2010 vor dem Amtsgericht in Augsburg landete. Ein 16-Jähriger hatte die Rüstung und Waffen von zwei Computerspielfiguren seiner Freunde verkauft, die ihm ihre Zugangsdaten in dem Glauben gegeben hatten, er würde helfen, ihre Avatare aufzuwerten. Stattdessen tat er genau das Gegenteil. Pikant, da die geschädigten Spieler die Ausrüstung der Avatare für reales Geld erworben hatten. Der Schaden im realen Leben wurde mit einer Strafe in selbigem bedacht: 80 Stunden gemeinnützige Arbeit.
„Als ich von diesem Fall gehört habe, war mein Interesse geweckt“, erzählt Ken Eckstein, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der RUB. Damals gab es eine Diskussion um die Rechtsnatur von Gütern in virtuellen Welten im Zivilrecht. Eckstein fragte sich hingegen, inwieweit auch das Strafrecht solche virtuellen Güter schützt.
Strafrecht und Zivilrecht
„Beim Augsburger Fall vermischen sich reale und virtuelle Welt, aber es gibt auch Handlungen, die innerhalb der virtuellen Welt begangen werden“, erklärt der Bochumer Jurist. Rechtsfrei ist diese virtuelle Welt keinesfalls. „Wenn jemand in einer virtuellen Spielewelt pornografische Bilder von Kindern verbreitet, dann ist das genauso eine Straftat, wie wenn er jemandem ein Heftchen mit solchen Bildern in die Hand drückt“, gibt Eckstein ein Beispiel. „Aber wenn ein Avatar den Avatar eines Mitspielers tötet, ist das natürlich nicht das Gleiche, wie wenn ein Mensch in der realen Welt einen anderen umbringt.“
Zwischen diesen extremen Beispielen gibt es viele andere Fälle von virtuellen Handlungen in Computerspielen, die anrüchig erscheinen. Aber wie vergleichbar sind sie mit dem wahren Leben? Und sollten sie strafbar sein?
Virtuelle Banken plündern
Mit dieser Frage hat Ken Eckstein sich intensiv auseinandergesetzt. Da er selbst kein Computerspieler ist, recherchierte er zunächst ausführlich nach typischen Fällen und informierte sich über die Hintergründe. Ein bekannter und häufig berichteter Fall stammt aus dem weit verbreiteten Spiel „World of Warcraft“. Darin können Spieler Gegenstände, sogenannte Items, für ihre Avatare erspielen, beispielsweise Waffen, Rüstungsstücke oder Gold.
„Weil die Spielewelt gefährlich ist, können sich Spieler zu einer Gilde zusammenschließen und eine Bank gründen, in der sie die Items sicher verwahren können“, schildert Eckstein. Sogenannte Gildenmeister verwalten den Besitz und können auf alle Items zugreifen. „Solch ein Reichtum verlockt nicht nur in der realen Welt“, erzählt der Wissenschaftler. „Es kommt anscheinend häufiger vor, dass der Gildenmeister die Bank plündert und die Mitspieler ihre sicher geglaubten Items verlieren.“
Betrug? Diebstahl? Das Zivilrecht ringt um die rechtliche Natur und den rechtlichen Schutz von Items. Da die Items in Computerspielen nur aus Daten bestehen und Daten wiederum keine körperliche Existenz haben und kopierbar sind, kann es sich juristisch gesehen dabei nicht um Eigentum handeln. Ein Diebstahl ist aber nur an fremdem Eigentum möglich. So wurde der 16-Jährige im Augsburger Fall auch nicht des Diebstahls schuldig gesprochen, sondern der unzulässigen Veränderung von Daten.
„Für die Spieler haben die Items einen riesigen Wert, auch wenn sie nicht real sind“, erklärt Eckstein. Anders als im Zivilrecht ist dieser Wert im Strafrecht leichter zu erfassen. Denn dieses arbeitet nicht nur mit dem Begriff des Eigentums, sondern schützt auch das Vermögen insgesamt. Strafrechtlich wären die Items also durchaus als Vermögen erfassbar, weil sie wirtschaftlichen Wert haben – und Fälle wie die Gildenbankplünderung wären somit theoretisch auch strafbar. Aber ist es auch sinnvoll, sie so zu behandeln wie eine Straftat im wahren Leben?
Im Fußball werden auch ständig die Regeln gebrochen, aber trotzdem wartet am Spielfeldrand nicht der Staatsanwalt.
Ken Eckstein
„Mein Eindruck ist nein“, sagt Ken Eckstein. „In virtuellen Welten sollte es für spielkonformes Verhalten einen straffreien Raum geben.“ Als spielkonform bezeichnet der Jurist dabei alles, was die Spielewelt sozusagen technisch möglich macht – auch wenn es die Regeln bricht. Seine Argumentation belegt er mit Beispielen aus Spiel und Sport im realen Leben.
„Im Fußball gibt es auch jede Menge Tricks und Fouls“, erzählt er. „Dabei werden ständig die Regeln gebrochen, aber trotzdem wartet am Spielfeldrand nicht der Staatsanwalt.“ Das Strafrecht hat für den Sportbereich einen straffreien Raum definiert. „Der ist wie folgt konstruiert“, erklärt Eckstein. „Die Spieler sind sich einig, dass das Spiel nicht ganz ungefährlich ist, und ihnen ist klar, dass man gefoult werden kann. Es gibt eine unausgesprochene Einwilligung, dass bestimmte Fouls nicht strafbar sind, obwohl sie die Regeln verletzen.“ Gleiches fordert Ken Eckstein auch für Computerspiele.
Das Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit
Seine vorgeschlagene Argumentation wurde mittlerweile von anderen Juristen aufgegriffen und weiterverfolgt. „Die Idee scheint anschlussfähig zu sein“, folgert der Bochumer Wissenschaftler, der sich nun dem nächsten Thema zuwendet: der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit im Fall von Überwachung der Bürgerinnen und Bürger durch den Staat. So fragt er sich aktuell, wie weit der Staat die Telekommunikation überwachen darf und ob es legitim ist, dass Computer von Verdächtigen mit einem staatlichen Trojaner infiziert werden können. Kann der Staat ohne diese Mittel nicht mit der Kriminalität Schritt halten? Was will die Gesellschaft zulassen? „Das ist ein ziemliches Dilemma“, lautet das erste Zwischenfazit von Ken Eckstein. „Ich werde mich noch eine Weile damit befassen müssen, um zu einem Fazit zu kommen.“