Wasserwirtschaft Künstliche Intelligenz hält Einzug in die Umwelt- und Agrarwirtschaft

Wie Landwirte und Wetterdienste digitale Lösungen einsetzen, um dem Klimawandel zu begegnen.

Temperaturen jenseits der 35-Grad-Marke im Sommer, dann wieder Stürme und Starkregen: Was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist ein Vorgeschmack auf die veränderte Wettersituation, die der Klimawandel hervorbringt. Die Folgen: Ernteausfälle, Einschränkungen in der Schifffahrt durch Niedrigwasser, Überschwemmungen und Sturmschäden in den Städten.

Den klimatischen Veränderungen kann man nur mit modernen Lösungen begegnen.


Benjamin Mewes und Henning Oppel

„Diesen klimatischen Veränderungen kann man nur mit modernen Lösungen begegnen“, sind sich Dr. Benjamin Mewes und Dr. Henning Oppel vom Lehrstuhl für Ingenieurhydrologie und Wasserwirtschaft der RUB sicher. Die beiden Ingenieure setzen in ihrem gemeinsamen Projekt „Okeanos“ auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Während sich Benjamin Mewes auf die bewässerte Landwirtschaft konzentriert, beschäftigt sich Henning Oppel damit, wie man Hochwasserereignisse besser vorhersagen kann.

Weltweit gesehen ist die Landwirtschaft der größte Frischwasserverbraucher. Rund 30 Prozent des genutzten Süßwassers werden laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen eingesetzt, um Felder, Obstbaumplantagen, Weinberge und andere landwirtschaftliche Flächen zu bewässern.

Landwirte verschwenden Hunderttausende Liter Wasser

„Die Entscheidung, wann und wieviel sie ihre Böden wässern, fällen die meisten Landwirte aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Fachwissens“, so Mewes. Doch auf diese Weise werden viele Hunderttausende Liter der wertvollen Ressource verschwendet. Abhilfe schaffen könnte eine Computeranwendung, die alle für die Bewässerung wichtigen Faktoren betrachtet und daraus eine Handlungsempfehlung ableitet – oder besser noch, gleich selbst die Bewässerungsanlagen steuert.

„Uns stehen heute viele sehr hilfreiche Umweltinformationen zur Verfügung, die von den Landwirten aber noch isoliert und nicht als Gesamtsystem betrachtet werden. Wir wissen, wie sich das Wasser und mit ihm der Dünger durch den Boden bewegen, wie unterschiedliche Pflanzen es aufnehmen, wir haben ziemlich genaue Wettervorhersagen und Sensoren, die die Bodenfeuchte messen“, sagt Benjamin Mewes.

Von Vorteil ist, dass die die meisten Landwirte offen für das Thema Digitalisierung sind. „Die Landwirtschaft ist der am stärksten digitalisierte Wirtschaftszweig in Europa“, sagt Mewes. Ob automatisiert fahrende Trecker, digital gesteuerte Futterautomaten oder Drohnenflüge über die Felder: Die Landwirte haben das Potenzial der modernen Technologien erkannt und hoffen, ihre Kosten mit ihrer Hilfe zu senken und gleichzeitig die Erträge zu steigern.

Jeder Landwirt kann das Modell auf seine speziellen Gegebenheiten anpassen

Mewes hat ein Agenten-basiertes Bodenwassermodell entwickelt. Agenten sind autonom handelnde Software-Einheiten, die auf Basis eines Regelwerks Entscheidungen treffen und durch ihre Interaktion untereinander komplexe Systeme und Verkettungen darstellen können.

In Mewes‘ Modell, das später jeder Landwirt auf seine speziellen Gegebenheiten anpassen können soll, stellt ein Agent eine bestimmte Menge Wasser dar. Diese kann sich bewegen, Düngemittel enthalten und mit ihrer Umwelt, also dem Boden, interagieren. Dadurch verändert der Agent die Umwelt für die nachfolgenden Agenten.

Ist der Boden, durch den das Wasser fließt, beispielsweise bereits mit Nährstoffen gesättigt, kann der Agent sein Düngemittel dort nicht abgeben, sondern erst in tieferen Bodenschichten. Außerdem kann Mewes auch Sonderfälle in das Modell einbauen, erklärt er: „Wenn ein Landwirt weiß, dass es auf seinem Acker eine 40-prozentige Wahrscheinlichkeit gibt, auf ein Mauseloch zu treffen, kann ich die in das Modell einbauen. Das kann relevant sein, denn durch die Löcher fließt das Wasser schneller als durch den umliegenden Boden.“ Das Modell ist also dynamisch, kann sich an individuelle Gegebenheiten anpassen und bietet somit jedem Landwirt eine auf ihn zugeschnittene Bewässerungsstrategie.

Wie sie sich in welcher Situation verhalten sollen, haben die Agenten durch maschinelles Lernen gelernt, also indem Mewes sie anhand von vielen Beispielen für die unterschiedlichsten Situationen trainiert hat und sie diese verallgemeinert haben. „Durch das Modell bekomme ich Informationen über Raum und Zeit, und ich kann tatsächliche Interaktionsprozesse abbilden. Den komplexen Prozessen im Boden wird so besser Rechnung getragen“, erklärt Mewes die Vorteile gegenüber herkömmlichen Modellen.

Präzisere Hochwasservorhersage durch künstliche Intelligenz

Mit einem wasserwirtschaftlichen Problem ganz anderer Art beschäftigt sich Henning Oppel. Er möchte präzisere Hochwasserwarnungen möglich machen. Auch er setzt dabei auf maschinelles Lernen. „Das ergibt deswegen Sinn, weil Hochwasser das Ergebnis von komplexen Zusammenhängen ist, die sich auf diese Weise gut simulieren lassen“, erklärt er.

Um das nachvollziehen zu können, muss man sich zunächst klarmachen, wie Wasser in einen Fluss gelangt: Wenn Regen oder Schnee fällt, fließt etwas davon auf Straßen und anderen versiegelten Flächen auf der Oberfläche ab. In Wäldern und auf Acker- und Grünflächen versickert ein weiterer, größerer Teil. Eine dritte Möglichkeit ist, dass sich das Wasser bis in tiefere Lagen des Bodens bewegt und das Grundwasser erreicht.

Der Weg des Wassers definiert dabei seine Geschwindigkeit. Auf der Oberfläche kann es in wenigen Minuten das nächste Gewässer erreichen, im Untergrund kann es mitunter mehrere Jahre bleiben.

Welchen Weg es nimmt, hängt aber nicht nur von der Landnutzung ab, sondern wird maßgeblich durch die Art des Regens gesteuert. Bei Starkregenereignissen fließt ein wesentlich größerer Anteil des Wassers auf der Oberfläche ab als bei langanhaltendem Dauerregen.

Hier fließt Wasser aus dem Boden in die Ruhr. Das Wasser wird zwar in die Ruhr geleitet, aber nicht von Planungsbehörden geplant, sondern aufgrund der Fließbewegung von Wasser in einem Hang. © Roberto Schirdewahn

Wenn man wissen will, wie sich der Wasserstand eines Flusses ändern wird, reicht es allerdings nicht, sich nur die lokalen Prozesse am Ort, für den eine Hochwasservorhersage benötigt wird, anzuschauen, sondern man muss auch das gesamte Gebiet dahinter betrachten. Das können viele Tausend Quadratkilometer sein, die das Einzugsgebiet des Flusses definieren, und die ganz unterschiedliche Oberflächen wie Asphalt, Waldboden oder Kiesflächen enthalten können – auf allen bewegt sich das Wasser mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. „Diese Vielzahl von aktiven Prozessen macht die Anwendung einer einzelnen Prozessgleichung schwer. Maschinelles Lernen eröffnet uns aber die Möglichkeit, neue Prozessbeschreibungen zu erarbeiten und bestehende Konzepte zu ergänzen“, sagt Oppel.

Als Daten für seine künstliche Intelligenz dienen ihm zwei Werte: Niederschlagsaufzeichnungen und Pegelstände. Diese bekam er für die drei Flüsse oberer Main, Regen und Iller, alle in Bayern gelegen. Die Behörden dort zeichnen die Messwerte seit 1970 stündlich auf.

„Ich stelle zwischen den Daten für Niederschlag und denen für die Pegelstände eine funktionale Beziehung her. Ich versuche der künstlichen Intelligenz beizubringen, wie schnell Niederschlag in verschiedenen Situationen zu Flusswasser wird. Dabei spielt auch eine Rolle, wie viel es vor Beginn des Ereignisses bereits geregnet hat oder ob noch Schnee liegt und eine Reihe anderer Randbedingungen“, so Oppel.

Interessant für Versicherer und Feuerwehren

Im Vergleich zu den aktuellen Vorhersagemodellen hat das Modell von Henning Oppel einen entscheidenden Vorzug: Es berücksichtigt den zu erwartenden Typ des Hochwasserereignisses. Es besteht also im Grunde aus drei Modellen: jeweils eins für sehr schnellen, mäßig schnellen und langsamen Wasserabfluss. Dafür muss das Programm natürlich vorab wissen, wie viel Regen zu erwarten ist. Daten, die entsprechende Wettervorhersagen liefern.

„Bisherige Modelle können nur einen Prozess abbilden. Wenn das Regenwasser also in der Vergangenheit überwiegend oberflächennah Richtung Fluss geflossen ist, dann wird die damit verbundene gemäßigte Fließgeschwindigkeit auch für die Gegenwart angenommen“, erklärt Oppel, warum bisherige Hochwasservorhersagemodelle mit neuen Phänomenen wie den klimawandelbedingten Starkregenereignissen in den Städten Probleme haben.

Von einem verbesserten Angebot in Form einer App könnten viele verschiedene Zielgruppen profitieren: Hochwassermeldedienste, Versicherungen, Feuerwehr oder Technischer Hilfsdienst, um nur einige zu nennen.

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Veröffentlicht

Mittwoch
25. September 2019
09:21 Uhr

Von

Raffaela Römer

Dieser Artikel ist am 4. November 2019 in Rubin 2/2019 erschienen. Die gesamte Ausgabe können Sie hier als PDF kostenlos downloaden. Weitere Rubin-Artikel sind hier zu finden.

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